Ausgrabungsstätte Dmanissi: Auf den Spuren urzeitlicher Wildhunde

In der berühmten prähistorischen Ausgrabungsstätte Dmanissi haben Wissenschaftler Hinweise auf eine Hundeart gefunden, die vor 1,8 Millionen Jahren weit verbreitet war. Über ihre genaue Zuordnung wird jedoch noch gerätselt.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 2. Aug. 2021, 14:36 MESZ
Zähne und ein Kieferfragment, entdeckt in der 1,85 Millionen Jahre alten Ausgrabungsstätte in Dmanissi in Georgien. ...

Zähne und ein Kieferfragment, entdeckt in der 1,85 Millionen Jahre alten Ausgrabungsstätte in Dmanissi in Georgien. Die Fossilien wurden einer ausgestorbenen Hundeart namens Canis (Xenocyon) lycaonoides zugeordnet, und sind die ältesten bisher gefundenen ihrer Art.

Image by S. Bartolini-Lucenti

Sie ist das Eldorado der Paläontologen: Die verlassene mittelalterliche Stadt Dmanissi liegt auf einem Plateau im Süden Georgiens, in der Nähe Armeniens, und ist seit 1983 eine äußerst ergiebige, wortwörtliche Fundgrube. Im Jahr 1991 wurden hier, in etwa 1,85 Millionen Jahre alten Sedimentschichten, die ersten homininen Fossilien von Dmanissi entdeckt. Sie gelten als nicht nur als die ältesten Fossilien aus dem Formkreis der Homini, die außerhalb Afrikas gefunden wurden, sondern auch als Bindeglied zwischen dem afrikanischen Homo und dem asiatischen Homo erectus.

Aktuelle Ausgrabungen förderten nun eine Entdeckung zutage. Im Kaukasus kreuzten sich die Wege der Dmanissi-Homininen mit dem eines bisher nicht belegten vierbeinigen Reisenden. Einem riesigen, ausgesprochen sozialen Wildhund mit gefährlichen Reißzähnen. Sein Name: Canis (Xenocyon) lycaonoides.

Der prähistorische Hund entwickelte sich vermutlich vor etwa 1,8 Millionen Jahren in Ostasien, vor rund 800.000 Jahren starb die Art aus. Die Knochenfragmenten aus Dmanissi umfassen einige Zähne und das Stück eines Unterkiefers. Sie lassen darauf schließen, dass der Hund, von dem die Fragmente stammen, circa 30 Kilogramm wog und vermutlich im jungen Erwachsenenalter gestorben ist.

Laut den Autoren der Studie, die diesen Fund beschreibt und in der Zeitschrift „Scientific Reports“ erschienen ist, handelt es sich bei den Knochen aus Dmanissi um das älteste bisher entdeckte Fossil von C. (Xenocyon) lycaonoides. Manche Forscher, darunter auch die Co-Autoren der Studie, sind sogar der Meinung, dass C. (Xenocyon) lycaonoides ein Vorfahre des Afrikanischen Wildhundes (Lycaon pictus) gewesen sein könnte. Wenn das der Fall ist, wären die neuen Fossilien die ersten, die diese spezifische Verbindung belegen.

Die Entdeckung liefert keine Hinweise, aus denen man ableiten könnte, dass die Dmanissi-Menschen die entdeckten Wildhunde vor fast 2 Millionen Jahren als Haustier gehalten haben. Die frühesten Beweise für die Domestizierung von Hunden sind weiterhin nicht älter als 40.000 Jahre. Die Studie könnte sich aber als hilfreich bei der Ordnung der unübersichtlichen Entwicklungsgeschichte der Hunde herausstellen.

Canis oder Xenoyon? Zuordnung bleibt unklar

Die Knochen von Dmanissi sind nicht die ersten fossilen Überreste von Canis (Xenocyon) lycaonoides, sowohl in Sibirien, als auch in Spanien und sogar in Südafrika wurden Fragmente entdeckt. In Anbetracht dieser weiten Verbreitung irritierte es die Forscher sehr, dass in Dmanissi bisher keine der Art zugehörigen Fossilien aufgetaucht waren. Die Erdschichten der Ausgrabungsstätte sind außergewöhnlich ergiebig: In den vergangenen Jahrzehnten wurden hier Überreste von zwei Dutzend verschiedenen Säugetierarten aus dem Pleistozän gefunden, darunter Hyänen, Bären, Schimpansen und Säbelzahntiger, sowie einige entfernte Verwandten der heutigen Wölfe und Hunde.

„Wir empfanden es als äußerst seltsam, dass wir in Dmanissi in einem Zeitraum von 30 Jahren keinen einzigen Hinweis auf die Existenz von Lycaon finden konnten“, sagt Bienvenido Martínez Navarro, Co-Autor der Studie und Paläontologe an der Katalanischen Institution für Forschung und fortgeschrittene Studien (ICREA) in Spanien. „Aber hier ist er nun endlich! Wir hatten großes Glück.“

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BELIEBT

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    Laut Saverio Bartolini Lucenti, Paläntologe an der Universität von Florenz, ist es trotz der neuesten Entdeckung unfassbar schwierig, den Platz einzelner hundeartiger Fleischfresser im taxonomischen Stammbaum der Familie zu bestimmen.

    Grund dafür ist die relativ konservative Evolution innerhalb der Familie der Hunde. Ihre Form und Gestalt veränderte sich im Laufe der Entwicklung kaum, anders als in der Familie der Katzen, in der sich so illustre Exemplare wie der Säbelzahntiger finden. Um die Verwirrung komplett zu machen, weisen selbst sehr weit entfernte Verwandte in Bezug auf ihre Merkmale große Ähnlichkeiten auf. Das macht die Bestimmung des Verwandtschaftsgrades anhand von Knochen und Zähnen zur Herausforderung.

    Wissenschaftler sind deswegen noch unsicher, ob die Hundeart, von der jetzt auch Fossilien in Dmanissi gefunden wurden, der Gattung der Canis zugeordnet werden soll, der auch die modernen Wölfe und Haushunde angehören, oder der heute ausgestorbenen Untergattung Xenoyon. Bis diese Frage geklärt ist, trägt sie die Bezeichnung Canis (Xenocyon), um die Möglichkeit der Zuordnung zu Gattung oder Untergattung offen zu lassen.

    Die unklare Benennung mag zunächst merkwürdig erscheinen, doch die Vorsicht ist berechtigt. Erst Anfang 2021 stellte sich heraus, dass der ausgestorbene Schreckliche Wolf (Aenocyon dirus), den man zunächst als Schwesterspezies des modernen Wolfs eingeordnet hatte, überhaupt nicht der Gattung Canis angehört.

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    Mensch und Hund – im Rudel stärker

    Zumindest in Bezug auf die Ernährung der vermeintlichen Wildhunde besteht Sicherheit. Um einschätzen zu können, wie viel Fleisch das Tier zu sich nahm, vermaßen die Forscher die gefundenen Zähne und verglichen sie mit denen anderer Hundearten. Die Proportionen decken sich mit denen anderer Hyperkarnivoren, einer Gruppe, zu der sowohl ausgestorbene als auch lebende Arten wie den Afrikanischen Wildhund zählen, und deren Ernährung zu mindestens 70 Prozent aus Fleisch besteht.

    Die Studie deckt außerdem einige faszinierende Parallelen zwischen der Entwicklung von C. (Xenocyon) lycaonoides und Homo erectus auf. Zum Beispiel verbreiteten sich beide Arten weitläufig über mehrere Kontinente: Homo erectus hatte seinen Ursprung in Afrika und zog von dort Richtung Osten auf die Inseln Südostasiens, C. (Xenocyon) lycaonoides stammte wahrscheinlich aus Asien und verbreitete sich von dort über Europa und Afrika.

    Beide Spezies waren den Forschern zufolge außerdem äußerst sozial, wenn nicht gar selbstlos. Auf den ersten Blick scheint es unmöglich, das Verhalten ausgestorbener Tiere von Millionen Jahre alten Knochen abzuleiten. Tatsächlich lassen aber bestimmte Krankheitsmerkmale an den alten Schädeln durchaus Rückschlüsse auf ihr soziales Wesen zu. Fehlende Zähne etwa oder verformte Kiefer, die das Erlegen von Beute erschweren, wären für einen einsamen Hund einem Todesurteil gleichgekommen. Kann aber neben den Fehlbildungen des Fossils festgestellt werden, dass das Tier gesund und lange gelebt hat, ist das laut den Wissenschaftlern ein Hinweis darauf, dass es durch andere Individuen versorgt wurde.

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    Eine Ausgrabung in Spanien lieferte einen derartigen Beleg in Form eines asymmetrischen Schädels, der C. (Xenocyon) lycaonoides zugeordnet werden konnte. Er wies mehreren Zahnfehlstellungen und einen fehlenden Eckzahn auf, trotzdem erreichte der Hund, zu dem der Schädel gehörte, vermutlich ein Alter von sieben bis acht Jahren, was darauf schließen lässt, dass andere Tiere in seinem Rudel ihr Futter mit ihm geteilt haben.

    Ähnlich verhält es sich auch mit Homo erectus. In Dmanissi fanden Forscher den Schädel eines älteren Homininen, der nur noch einen Zahn im Gebiss trug, Untersuchungen ergaben, dass er nach dem Zahnverlust noch mehrere Jahre gelebt hat. Er muss also die Unterstützung seiner Artgenossen gehabt haben.

    Es ist wissenschaftlich belegt, dass Angehörige einer Hundeart, deren Masse 21 Kilogramm übersteigt, Beutetiere erlegen müssen, die größer als sie selbst sind. Nur so können sie ihren Kalorienbedarf decken. Die Aufgabe lässt sich am besten im Rudel lösen. Aufgrund der Messergebnisse von Schädel und Zähnen von C. (Xenocyon) lycaonoides in Dmanissi und an anderen Fundorten kann man davon ausgehen, dass die Spezies in Hinblick auf ihre Körpermasse die Voraussetzungen für ein kooperatives Leben im Rudel auf jeden Fall erfüllte.

    Bisher gibt es jedoch keinen konkreten Hinweis für soziale Strukturen, in denen Dmanissi-Hunde gelebt haben. „Unter den modernen Fleischfressern kann die soziale Neigung selbst innerhalb einer Art variieren“, sagt die Paläontologin Mairin Balisi, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fossillagerstätte La Brea Tar Pits in Kalifornien, die nicht an der Studie beteiligt war. „Ich gehe davon aus, dass diese Variationen unter den ausgestorbenen Arten ebenso existierten, nur sind sie natürlich sehr viel schwerer zu belegen.“

    Weitere fossile Überreste von C. (Xenocyon) lycaonoides in Dmanissi könnten Licht in dieses Dunkel bringen. Im selben Maße sind neue Arten molekularer Beweise möglicherweise dazu in der Lage, neue Erkenntnisse bezüglich der korrekten Zuordnung der Hundeart in den taxonomischen Stammbaum zu liefern. Im Jahr 2019 gelang es Forschern Proteine aus einem Nashornhorn zu entnehmen und zu sequenzieren. Laut Bartolini Lucenti wurde dieselbe Methode auch auf die fossilen Überreste des Dmanissi-Hunds angewandt. Der Versuch verlief jedoch ohne Erfolg.

    Mairin Balisi verfolgt gespannt, wie zukünftigen Untersuchungen bei der Entwirrung der komplexen Entwicklungsgeschichte der Gattung Hund helfen werden. „Je mehr Teile des Puzzles wir finden, desto besser.“

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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