Historisches Schiffswrack in der Nordsee gefunden

Sturmfluten haben im Wattenmeer vor der nordfriesischen Hallig Süderoog ein altertümliches Wrack freigespült. Nun wird es auf Alter und Herkunft untersucht.

Von Deborah Roth
Veröffentlicht am 18. März 2022, 14:01 MEZ, Aktualisiert am 23. März 2022, 13:17 MEZ
Luftaufnahme des freigespülten Wracks am Strand während es von zwei Männern begutachtet wird.

Der Schiffs-Archäologe Dr. Daniel Zwick und Ranger der Hallig Holger Spreer-Wree begutachten das Holzwrack im Morgenlicht.

Foto von Martin Hain / www.archaeologia-navalis.org

Die Sandbänke der Nordsee-Halligen stellen seit jeher ein Hindernis und eine Gefahr für die Schifffahrt dar. Immer wieder strandeten hier in den vergangenen Jahrhunderten Schiffe, von denen nur noch Wracks aus Holz und Metall übrig sind, die von Zeit zu Zeit während der Ebbe sichtbar werden.

Starke Unwetter haben jetzt vor der Hallig Süderoog ein Schiffswrack in der Nordsee freigespült, von dem zuvor nur die Spanten aus dem Wasser ragten. Dass ein Wrack in so großen Teilen freigelegt wird, kommt selten vor. Holger Spreer-Wree, der Ranger der Hallig, hat das Fundstück gemeinsam mit dem Schiffsarchäologen Dr. Daniel Zwick untersucht.

Anatomie des Schiffs

Das Wrack ist knapp 30 Meter lang. Abgesehen vom Rumpf sind nur noch einige Kleinteile erhalten, darunter zwei sogenannte Jungfern, die auf altertümlichen Schiffen dafür benutzt wurden, die Seile zu befestigen, mit denen die Segelmasten versteift wurden. Am Vorderteil des Rumpfs entdeckten Spreer-Wree und Zwick Rostflecken, die vermuten lassen, dass an dieser Stelle einst eine Eisenkette befestigt war, die das Schiff zwischen Mast und Rumpf zusätzlich stabilisiert hat.

Der Einbaum am Strand

Bei genauerer Betrachtung fiel Zwick auf, dass die sogenannte Steven-Sponung des Schiffs – also der Teil im Schiffsgerüst, in dem die Planken befestigt werden – fast rechtwinklig ist. Dies deutet darauf hin, „dass wir es mit einer rundgattigen Rumpfform zu tun haben, die typisch für plattbödige Seeschiffe wie Kuffen und Galioten ist”, sagt er über den Fund.

Beide Schiffsarten waren sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden gängig. Da laut Zwick jedoch auch auf der Ostsee derartige Schiffe zum Einsatz gekommen seien, lässt sich der Ursprung des Wracks noch nicht mit Sicherheit bestimmen.

Segler aus dem 18. oder 19. Jahrhundert

Neben der Herkunft ist auch die Frage des Alters von Interesse. Bisher können darüber nur Vermutungen angestellt werden. „Ich würde das Schiff anhand der Bauweise grob in das 19. Jahrhundert einordnen”, sagt Zwick, „aber auch das 18. oder sogar das frühe 20. Jahrhundert erscheinen möglich.“

Um herauszufinden, aus welcher Ära das neuentdeckte Wrack stammt, ist Zwick zufolge  eine dendrochronologische Untersuchung der Holzproben erforderlich. Die Dendrologie – also die Holzaltersbestimmung – ist die einzige naturwissenschaftliche Methode, mit der die Fälljahre von historischen Hölzern bestimmt werden können. Sind im Holz noch alle Jahresringe bis zur Rinde erhalten, kann der Fällzeitraum mit ihrer Hilfe sogar noch präziser in Frühjahrs- bzw. Sommerfällung (etwa März bis Juni oder Juli) und Winterfällung unterschieden werden.

Dadurch ist es Forschenden möglich, die Wachstumszeit des Baumes zu ermitteln, aus dessen Holz das Schiff besteht. Das lässt wiederum Rückschlüsse auf den Zeitraum zu, in dem es gebaut wurde. Mit dieser Information kann dann unter Hinzuziehen von Strandungslisten, einem Archiv von Wracks, definiert werden, um welches havarierte Schiff es sich bei dem Wrack vor der Hallig Süderoog handelt.

BELIEBT

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    Übersichtskarte Wrackfunde an Schleswig-Holsteins Nordseeküste.

    Übersichtskarte: Die bislang bekannten neuzeitlichen Wracks bzw. Wrackteile an Schleswig-Holsteins Nordseeküste konzentrieren sich an den Außensänden und exponierten Küstenabschnitten des Nordfriesischen Wattenmeers. Die hier gezeigten Punkte stellen lediglich die bekannten Fundstellen dar, die im besten Fall archäologisch untersucht und publiziert wurden und im schlechtesten Fall lediglich als lakonische Notiz ihren Weg in die ‚Archäologische Landesaufnahme‘ gefunden haben.

    Die Dunkelziffer der Wrackteile, die entweder unentdeckt blieben oder nicht gemeldet wurden, dürfte weitaus größer sein. Die ersten archäologisch untersuchten Wracks aus dem Bereich des Wattenmeers stammen beide aus Deichbruchstellen, und zwar ein 1969 entdecktes Wrack am Hedwigenkoog und ein 1994 entdecktes Wrack bei Uelvesbüll (letzteres Wrack ist heute im Nordfriesischen Schifffahrtsmuseum in Husum ausgestellt).

    Eines der beiden neuentdeckten Wracks auf Süderoogsand wurde bereits 2020 von Holger Spreer-Wree gemeldet, von dem anfangs nur die Spanten aus dem Sediment ragten (hier als Süderoogsand-Wrack 2 dargestellt).

    Foto von Dr. Daniel Zwick / archaeologia-navalis.org

    Schwierige Forschung in der Gezeitenzone

    Da das Wrack bei Flut wieder in der Nordsee verschwindet, können nur während der Ebbe Untersuchungen durchgeführt werden. „Man muss sich genau überlegen, welche Details man dokumentieren möchte, um die Zeit so gut wie möglich auszunutzen“, erklärt Zwick.

    Zudem haben Wind und Wasser eine enorme Kraft: Laut Zwick haben Sturm und Gezeitenströmungen binnen weniger Tage deutlich mehr als 200 Kubikmeter Sand – also über 400 Tonnen – bewegt und das Wrack so freigespült. Dieser Prozess hinterließ jedoch auch zerstörerische Spuren an dem alten Schiff: So hat sich eine Bordwand von mehreren Metern Länge aus dem Rumpf gelöst und wurde von den Fluten mitgerissen. Es ist zu erwarten, dass die Elemente das Wrack weiter beschädigen werden.

    Schiffsarchäologe Daniel Zwick geht davon aus, dass sich zuvor schon andere Teile des Wracks gelöst haben. Dafür sprechen Funde aus den vergangenen Jahren: Bereits im Jahr 2020 hatte er eine 18 Meter lange Bordwand im Blaubachpriel östlich des Süderoogsands untersucht, die ihm zufolge von einem niederländischen Schiff aus dem frühen 18. Jahrhundert stammte. Im Jahr 2017 hatte er auf dem Japsand westlich von Hallig Hooge zwei Wrackteile aus dem 17. Jahrhundert untersucht, die rund 500 Meter voneinander entfernt lagen, sich aber wie Puzzleteile zusammenfügen ließen.

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