Europa in der Eiszeit: Als der Mensch beinah ausstarb

Wie überlebten unsere frühen Vorfahren die dramatischen Klimaveränderungen während der Eiszeit? Eine neue Studie zeigt: In großen Teilen Europas stand die Menschheit vor dem Untergang.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 24. Sept. 2024, 09:50 MESZ
Drei Jäger und Sammler im eiszeitlichen Europa (künstlerische Rekonstruktion)

Jäger und Sammler im eiszeitlichen Europa (künstlerische Rekonstruktion)

Illustration Tom Björklund

Europa vor 45.000 Jahren: Die ersten modernen Menschen betreten den Kontinent. Sie sind über den Nahen Osten aus Afrika eingewandert. Ihren neuen Lebensraum teilen sie sich mit dem Neandertaler, der schon seit rund 400.000 Jahren in Europa heimisch ist. 

Es ist das Zeitalter des Jungpaläolithikum – der letzten Eiszeit, die vor etwa 11.500 Jahren endete. Kalte und wärmere Phasen wechseln sich ab. Während der Kälteperioden bedecken Gletscher einen Großteil Nord- und Mitteleuropas.

Homo sapiens lebt als Jäger und Sammler. Doch mit jedem Klimawechsel verändert sich die Pflanzen- und Tierwelt. Und so stehen die frühen Menschen immer wieder vor massiven Herausforderungen, die ihre Existenz bedrohen.

Dramatischer Rückgang der Eiszeit-Menschen

Tatsächlich kommt eine neue Studie zu dem Ergebnis, dass unsere Vorfahren in Westeuropa beinahe ausgestorben wären. Offenbar führte der Klimawandel zu einem dramatischen Rückgang der nomadisch lebenden Populationen.

„In der Archäologie wird schon lange diskutiert, welchen Einfluss klimatische Veränderungen und die damit einhergehenden neuen Umweltbedingungen auf die Demografie der damaligen Jäger und Sammler hatten“, sagt Studienautor und Senckenberg-Forscher Hannes Rathmann.

Wegen der wenigen gut erhaltenen Fossilien sei es aber schwierig, bei den Forschungen auf DNA-Analysen zurückzugreifen. Das internationale Team um Rathmann setzte deshalb auf eine andere Methode: Es untersuchte die versteinerten Zähne von Frühmenschen. 

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    Das Rätsel der versteinerten Zähne

    „Zähne sind das härteste Gewebe im menschlichen Körper und daher die am häufigsten gefundenen fossilen Skelettelemente“, erklärt der Bioarchäologe. Auf diese Weise habe man den bislang größten Datensatz an menschlichen Fossilien aus dem eiszeitlichen Europa sammeln können.

    Rathmann: „Unsere neu zusammengestellte Sammlung umfasst Zahndaten von 450 prähistorischen Menschen aus ganz Europa, die den Zeitraum zwischen 47.000 und 7.000 Jahren abdecken.“

    Bei den Untersuchungen konzentrierte das Team sich auf die äußeren Zahnmerkmale, zum Beispiel die Anzahl und Form der Kronenhöcker oder die Muster auf der Kaufläche. „Diese Merkmale sind vererbbar, was bedeutet, dass wir sie nutzen können, um genetische Beziehungen unter den Eiszeit-Menschen zu verfolgen, ohne gut erhaltene alte DNA zu benötigen“, so Rathmann.

    Drei etwa 8.500 Jahre alte Schädel aus Süddeutschland. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Familie: ein Mann (links), eine Frau (rechts) und ein Kind (mittig).

    Foto von Osteologische Sammlung, Universität Tübingen

    Glaziales Maximum: Ende des Paradieses

    Im Zusammenspiel mit einer Computermethode, die auf einem maschinellen Lernalgorithmus basiert, gelang es den Forschenden schließlich nach eigenen Worten, die Bevölkerungsentwicklung im eiszeitlichen Europa zu rekonstruieren. 

    Dabei zeigte sich: Bis vor rund 28.000 Jahren waren die Menschen in West- und Osteuropa noch genetisch gut vernetzt. Das eiszeitliche Klima war damals recht mild.  

    Offene Steppenlandschaften bedeckten weite Teile des Kontinents. Dort grasten große Herden von Säugetieren – die Hauptnahrungsquelle der Jäger und Sammler. Es gab genug zu essen. Diese guten Bedingungen begünstigten die Vernetzung der Populationen. Doch im Laufe der Zeit wurde das Klima immer rauer.

    In der nachfolgenden Kälteperiode, dem „Späten Pleniglazial“ vor 28.000 bis 14.700 Jahren, erreichten die Gletscher ihre maximale Ausdehnung in Europa. Aus Steppen wurden Tundren. Während der großen Kaltphase, dem glazialen Maximum, war der größte Teil Nord- und Mitteleuropas vereist. Die Lebensräume von Tieren und Pflanzen änderten sich erheblich – und damit auch die der Jäger und Sammler.

    Homo sapiens kehrt zurück

    Die Zahnuntersuchungen zeigen: Während dieser unwirtlichen Zeit gab es keine genetischen Verbindungen mehr zwischen den Menschen in West- und Osteuropa. Und nicht nur das: Die Analysen deuten darauf hin, dass die Populationen in beiden Regionen deutlich schrumpften.

    „Dieser drastische demografische Wandel wurde wahrscheinlich durch massive Klimaveränderungen verursacht“, sagt Rathmann. Das vorrückende Eis hatte die Menschen nach Süden getrieben und die einzelnen Populationen zunehmend voneinander isoliert.

    Das führte zum Verlust der genetischen Vielfalt und bedrohte schließlich den Fortbestand der menschlichen Spezies im Westen Europas. Ganze Populationen starben aus – bis die Temperaturen nach dem Späten Pleniglazial wieder anstiegen. 

    Die Gletscher schmolzen, Steppen und Wälder eroberten das ehemals lebensfeindliche Terrain. Und auch Homo sapiens kehrte zurück. Aus dem Osten wanderten neue Menschen in die einstmals verlassenen Gebiete ein.

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