Tödliche Eiszeit: Darum starb das Wollnashorn aus
Lange rätselte die Wissenschaft über die Frage, warum das Wollnashorn vor rund 10.000 Jahren ausstarb. Ein Forschungsteam glaubt, die Antwort gefunden zu haben. Demnach tappten die mächtigen Pflanzenfresser in eine tödliche Falle.
Das Wollnashorn bewohnte einst weite Teile Europas.
Hunderttausende Jahre lang zogen sie durch die weiten Steppen Europas und Asiens. Mit ihrer dicken Haut und dem langen, wolligen Fell waren die mächtigen Pflanzenfresser perfekt an die kalten Temperaturen angepasst. Das lange Vorderhorn benutzten sie vermutlich, um trockene Gräser unter der dünnen Schneedecke freizukratzen.
Das Wollnashorn (Coelodonta antiquitatis) oder Wollhaarnashorn zählt zu den ikonischen Säugetieren der letzten Eiszeit. Es war etwa so groß wie das heutige afrikanische Breitmaulnashorn und beweidete die niedrige Vegetation in trockenen, offenen Landschaften. Fossilien zeigen, dass die Art bis vor etwa 35.000 Jahren in ganz Nordeurasien verbreitet war.
Weshalb das Wollnashorn vor etwa 10.000 Jahren für immer vom Erdball verschwand, war in der Forschung bislang umstritten. Lag es daran, dass sich das Klima änderte? Waren Seuchen oder ein Asteroideneinschlag die Ursache? Oder hatte schon damals der Mensch seine Finger im Spiel?
Tödliche Falle am Ende der Eiszeit
Ein internationales Forschungsteam hat sich auf Spurensuche begeben. Ein Ergebnis der Studie: Der menschliche Hunger auf Fleisch hat maßgeblich dazu beitragen, dass das Wollnashorn ausstarb. Die Forschenden erklären, dass die Tiere bereits vor etwa 30.000 Jahren durch Jagd und Klimaveränderungen in eine Sackgasse gerieten.
„Moderne Menschen, Neandertaler und andere Homininen lebten Zehntausende von Jahren mit den Wollnashörnern“, sagt Biogeologe Hervé Bocherens vom beteiligten Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (Shep) an der Universität Tübingen. „Im Schnitt dezimierten sie deren Population in jeder Generation um zehn Prozent.“
Vielleicht hätten die Wollnashörner dem Jagddruck standhalten können. Doch die Klimakapriolen der Eiszeit gaben ihnen den Rest. Die Eiszeit erreichte allmählich ihren Höhepunkt. Bocherens: „Durch kühler werdende Temperaturen und die anhaltende Jagd – in einigen Gebieten Eurasiens lieferten Wildtiere bis zu 30 Prozent der Proteinzufuhr der damaligen Menschen – schrumpften die Populationen und ihr Verbreitungsgebiet.“
Demzufolge drängten Klima und Mensch die Wollnashörner immer weiter nach Süden. Am Ende der Eiszeit saßen sie in der Falle. „Mit der erneuten Erwärmung der Temperaturen zu Beginn des Holozäns vor 11.000 Jahren waren die Wollnashörner dann in klimatisch für sie suboptimalen Gebieten ‚gefangen‘ und verschwanden am Ende vollständig“, so der Senckenberg-Forscher. Die geschwächten Populationen seien nicht mehr in der Lage gewesen, in günstigere Gebiete zu wandern.
Lebendrekonstruktion eines Wollnashorns im Naturhistorischen Museum Wien
Artenschutz: Was wir vom Wollnashorn lernen können
Wie aber konnten die Forschenden all das herausfinden? Für die Untersuchungen griff das Team auf Computermodelle, Fossilien und fossile DNA zurück. Auf diese Weise gelang es Bocherens zufolge, „die Metapopulationsdynamik der Wollnashörner über 52.000 Jahre kontinuierlich in bisher nicht gekannter Detailtiefe nachzuvollziehen“.
In den Ergebnissen der Studie sieht er auch wichtige Hinweise für den Schutz heutiger Wildtiere. Während im späten Pleistozän, also vor etwa 12.000 Jahren, noch 61 große Pflanzenfresser mit einem Gewicht von über 1.000 Kilogramm die Erde bevölkert hätten, gebe es heute nur noch acht solcher Arten.
„Fünf davon sind Nashörner, von denen vier gefährdet sind und drei sogar vom Aussterben bedroht“, erklärt Bocherens. Ihnen ergehe es ähnlich wie dem Wollnashorn kurz vor seiner Auslöschung: Sie lebten ihn stark zersplitterten, eher ungünstigen Verbreitungsgebieten. Durch die Klimaerwärmung werde sich ihre Situation weiter verschlechtern.
Bocherens appelliert: „Wir brauchen dringend verstärkte Schutzmaßnahmen, um zu verhindern, dass die heutigen Nashörner dasselbe Schicksal erleiden wie ihre Verwandten, die Wollnashörner.“