Blutsbrüder: Vampirfledermäuse pflegen sehr menschliche Freundschaften

Die blutsaugenden Säugetiere verfolgen bei ihren Beziehungen eine Investmentstrategie, die zu lebenslangen Freundschaften führen kann.

Von Mary Bates
Veröffentlicht am 24. März 2020, 16:39 MEZ
Gemeine Vampire in einer Höhle in Costa Rica.
Gemeine Vampire in einer Höhle in Costa Rica.
Foto von Nick Hawkins, Minden Pictures

Vampirfledermäuse bauen ihre Freundschaften genauso auf wie Menschen: Sie fangen langsam an und vertiefen ihre Beziehungen im Laufe zu Zeit zu teils lebenslangen Freundschaften – so das Ergebnis aktueller Forschungen.

Die enorm sozialen Tiere, die in Mittel- und Südamerika heimisch sind, waren bereits dafür bekannt, jahrzehntelange Freundschaften zu pflegen. Bisher wussten Forscher aber nicht genau, wann diese Beziehungen beginnen.

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Eine Studie, die am 19. März in „Current Biology“ erschien, lieferte endlich Antworten: Die einzigen hämatophagen Säugetiere der Welt bauen über die gegenseitige Fellpflege zuerst Vertrauen zu fremden Individuen auf. Früher oder später fangen sie dann an, Blut hochzuwürgen, um ihre Mahlzeit mit ihren Freunden zu teilen – eine bedeutsame Geste des Altruismus für ein Tier, das alle drei Tage fressen muss. Dieses Teilen beruht auf Gegenseitigkeit: Fledermäuse teilen ihr Blut eher mit einem Partner, der ihnen zuvor auch etwas abgegeben hat.

„Wir haben herausgefunden, dass bei Beziehungen von Vampirfledermäusen die Interaktionsgeschichte und die soziale Umgebung von Bedeutung sind“, sagt der Studienleiter Gerry Carter, ein Verhaltensökologe der Ohio State University.

Die Ergebnisse untermauern auch die relativ neue „Raising the Stakes“-Theorie, der zufolge Tiere altruistisches Verhalten zunächst mit eher „günstigen“ Verhaltensweisen austesten – beispielsweise Fellpflege. Bei Erfolg erhöhen sie dann ihre Investition und teilen im Falle der Vampirfledermäuse auch Mahlzeiten.

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    Diese Theorie, die erstmals 1998 aufgestellt wurde, könnte auch auf andere soziale Tiere zutreffen – zum Beispiel auf Menschen.

    Deshalb könnte die Erforschung der pelzigen Blutsauger auch neue Einsichten in die Komplexitäten menschlicher Freundschaften gewähren.

    Blutsbrüder

    Um herauszufinden, wie diese Beziehungen entstehen, fingen Carter und seine Kollegen an zwei Orten in Panama 27 Gemeine Vampire (Desmodus rotundus) – eine der drei Arten von Vampirfledermäusen. Die nachtaktiven Fledermäuse hoppeln auf allen Vieren über den Boden, um sich ihrer Beute anzunähern. Mit ihren rasiermesserscharfen Zähnen durchdringen sie dann schmerzlos die Haut und beißen in eine Vene des Opfers – für gewöhnlich ein Rind oder anderes großes Tier. Das herausquellende Blut lecken sie dann mit ihrer Zunge auf.

    Im Labor hielten die Wissenschaftler die Fledermäuse dann entweder in gemischten Paaren (jeweils eine von einem der Standorte in Panama) oder in kleinen gemischten Gruppen. Je eines der Tiere wurde seltener gefüttert, damit die Forscher beobachten konnten, wie es mit seinen Artgenossen interagierte.

    Nach 15 Monaten zeigten sich einige Muster. Viele der einander fremden Fledermäuse hatten über die gegenseitige Fellpflege Beziehungen etabliert. Aber nur ein paar von ihnen teilten ihre Mahlzeiten, indem sie Blut hochwürgten.

    Die Fellpflege ging den geteilten Mahlzeiten zwischen fremden Fledermäusen immer voraus. Bevor ein Tier zum ersten Mal Blut für ein anderes hochwürgte, intensivierte sich das Putzverhalten. Nach der geteilten Mahlzeit nahm es langsam wieder ab.

    Fremde Fledermäuse schlossen außerdem eher Freundschaft miteinander, wenn keine anderen Artgenossen in der Nähe waren. Wenn die Tiere als Paare gehalten wurden, entwickelten sich zwischen ihnen schneller und häufiger Beziehungen als zwischen den Tieren in größeren Gruppen.

    Beziehungsrisiko minimieren

    Die „Raising the Stakes“-Theorie ist recht einfach erklärt: Man möchte nicht zu viel darin investieren, jemandem zu helfen, der einem nicht auch hilft, sagte Tom Sherrat, einer der Entwickler des Modells und ein Biologe an der Carleton University in Ottawa, Kanada.

    „Man testet mit geringen Investments zunächst, wie vertrauenswürdig der potenzielle Partner ist, und schaut, ob er den Gefallen erwidert“, erklärt Sherratt. Falls nicht, entsteht keine Beziehung und man hat nicht viel verloren.

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    „Das ist eine sehr wirksame Strategie. Man kann damit schrittweise eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen, verliert aber auch nicht zu viel, wenn man ein unkooperatives Individuum trifft.“

    Allerdings hat es sich als schwierig erwiesen, diese Theorie an Tieren zu demonstrieren. Um so ein Muster zu erkennen, müsste man einander fremde Tiere bekannt machen und über einen langen Zeitraum hinweg beobachten, was danach passiert. Genau das haben Carter und seine Kollegen erfolgreich getan, sagt Sherratt, der an der Fledermausforschung nicht beteiligt war.

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    Eine Hand wäscht die andere

    Manche Menschen würden das vielleicht nicht gern zugeben, aber Gegenseitigkeit ist auch ein essenzieller Teil menschlicher Beziehungen, so Carter.

    „In menschlichen Freundschaften gibt es subtile Schuldenverhältnisse und Erwartungen, aber es liegt in niemandes Interesse, das explizit zu machen“, sagt er. „Was würde wohl passieren, wenn einer Ihrer Freunde plötzlich völlig unzuverlässig wird?“, fragt Carter.

    „Wenn nur noch Sie in ihre Freundschaft investieren und nie etwas zurückbekommen, wie lange dauert es dann, bis sie es sein lassen und anfangen, stattdessen an anderen Beziehungen zu arbeiten?“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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