Was man in „Tiger King“ nicht über die Großkatzen-Industrie erfährt

Der Netflix-Hit verspricht zwar viel Drama, aber die Hintergründe zu den Zucht- und Haltungsproblematiken in privaten Anlagen werden vernachlässigt.

Von Rachael Bale
Veröffentlicht am 3. Apr. 2020, 15:23 MESZ
Sibirischer Tiger

Dieser Sibirische Tiger wurde im Henry Doorly Zoo in Omaha fotografiert. Der Zoo beteiligt sich an einem Arterhaltungsprogramm für den Sibirischen Tiger: Über ein gut organisiertes Zuchtprogramm soll dabei eine genetisch diverse und selbsterhaltende Population für den Notfall geschaffen werden.

Foto von Joël Sartore, Nat Geo Image Collection

Die Mini-Dokuserie „Tiger King“ auf Netflix verspricht einen ziemlich wilden Ritt: Raubkatzen, ehemalige Häftlinge, ein kurzer Präsidentschaftswahlkampf, Polygamie, ein Plot um einen Auftragsmord und ein großer Cast an exzentrischen Charakteren. Das Werk dreht sich um Joseph Maldonado-Passage, besser bekannt als „Joe Exotic“. Er ist der Besitzer des Greater Wynnewood Exotic Animal Park in Oklahoma, der zu seinen Hochzeiten ein berühmter Privatzoo und eine Zuchstätte war, in der Besucher junge Tiger streicheln konnten. Nun sitzt Maldonado-Passage eine 22-jährige Haftstrafe ab, weil er mutmaßlich versuchte, eine seiner Kritikerinnen umbringen zu lassen. Außerdem hat er fünf Tiger getötet und mehrere Exemplare illegal verkauft.

Wissen kompakt: Tiger
Tiger sind ein Sinnbild für Eleganz, Kraft und die Bedeutsamkeit des Artenschutzes. Lernt fünf spannende Fakten über die gestreiften Großkatzen und erfahrt unter anderem, was es mit weißen Tigern auf sich hat und wie sich die Tiere an ein Leben am Wasser angepasst haben.

Die Serie lebt vor allem von den Charakteren und verwendet daher nicht allzu viel Zeit auf die zugrundeliegenden Problematiken des Tierwohls und der Handels- und Zuchtindustrie für Tiger in Gefangenschaft. Exotische Haustiere, Großkatzen und Wildtierschmuggel sind bei National Geographic allerdings ein großes Thema. Zeit also, ein wenig Kontext für die Serie zu liefern.

BELIEBT

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    Hilft die Tigerzucht dem Artenschutz?

    Einige private Tigerzüchter behaupten gern, sie würden einen Beitrag zum Erhalt der Art leisten, die als stark gefährdet gilt. Aber ihre Tiere können nicht ausgewildert werden – einerseits, weil sie gar nicht wissen, wie sie in der Wildnis überleben können, andererseits aufgrund ihrer Gene. Es gibt verschiede Unterarten des Tigers, die alle an ihren spezifischen Lebensraum angepasst sind. Ein Indischer Tiger (Panthera tigris tigris) ist kein Sibirischer Tiger (Panthera tigris altaica) ist kein Sumatra-Tiger (Panthera tigris sumatrae). Die meisten Tiger, die sich in den USA in Privatbesitz befinden, haben entweder eine gemischte oder unbekannte Abstammung. Deshalb kommen sie für akkreditierte Zuchtprogramme von Zoos und anderen Institutionen, die Tiere für die Vergrößerung des wilden Bestands züchten, nicht infrage.

    Stattdessen besteht erfolgreicher Tigerschutz aus politischem Willen mit entsprechenden finanziellen Mitteln, um das natürliche Habitat der Raubkatzen zu schützen und einer engen Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Umweltschutzorganisationen, Politik und der lokalen Bevölkerung, so Tigerexpertin Kathrin Samson des WWF

    Was zeichnet einen seriösen Zoo oder ein seriöses Schutzzentrum aus?

    Laut der Global Federation of Animal Sanctuaries, einer Akkreditierungsorganisation, bestehen richtige Schutzzentren zu dem Zweck, misshandelte, ausgesetzte oder anderweitig hilfsbedürftige Tiere ein Leben lang zu pflegen und zu versorgen. Ein richtiges Schutzzentrum züchtet keine Tiere, erlaubt keine physischen Interaktionen mit den Tieren und hält hohe Pflege- und Betriebsstandards ein.

    Junge Tiger und Liger – Nachwuchs von einem männlichen Löwen und einem weiblichen Tiger – in der Anlage Myrtle Beach Safari. Die Einrichtung in South Carolina gehört Bhagavan „Doc“ Antle. Die Jungtiere sind eine wichtige Einnahmequelle. Ab etwa zwölf Wochen gelten sie jedoch als zu groß und zu gefährlich, um mit Touristen zu interagieren.

    Foto von Steve Winter, National Geographic

    Für eine Akkreditierung müssen Zoos in den USA die Grundvoraussetzungen der Regierung in den Bereichen Gesundheit, Tierwohl, Besucherpädagogik, Sicherheit, Schriftverwaltung usw. übererfüllen. Der Artenschutz wird für gewöhnlich als wichtiges Ziel eines Zoos beworben.

    Anlagen ohne Akkreditierung haben vermutlich niedrige oder zumindest problematische Betriebs- und Pflegestandards.

    Was steckt hinter den Tiger-Streichelzoos?

    Der Impuls, ein niedliches Tigerjunges streicheln zu wollen, ist durchaus nachvollziehbar. In den USA gibt es zahlreiche private Einrichtungen, die diesen Service gegen entsprechendes Entgelt anbieten. Dabei sollte man sich jedoch fragen, wie es kommt, dass manche Anlagen anscheinend jederzeit junge Tiger haben. Oder was mit den Raubkatzen passiert, wenn sie nicht mehr so klein und niedlich sind.

    Einrichtungen, die ihren Besuchern körperliche Interaktionen mit jungen Tigern oder Hybriden anbieten – darunter Fütterungen, Spiel-Sessions und die dazugehörigen Erinnerungsfotos –, züchten ihre Raubkatzen oft ohne Pause, damit ein konstanter Nachschub gewährleistet ist, wie National Geographic schon im Dezember berichtete. Sobald ein Wurf geboren wird, werden die Jungen kurz darauf von der Mutter getrennt, damit sie schneller wieder paarungsbereit ist und neuen Nachwuchs produzieren kann.

    Ein weiblicher Sumatra-Tiger im Zoo Atlanta beobachtet seinen Nachwuchs beim Spielen.

    Foto von Joël Sartore, Nat Geo Image Collection

    Für die jungen Tiger bedeuten die Interaktionen mit Menschen Stress. Sie sind noch viel zu klein, ihre Mutter ist nicht da und sie werden in grellem Licht und unter viel Lärm herumgereicht – und zwar von Menschen, die in ihren jungen Augen genauso gut Raubtiere sein könnten.

    Die Jungtiere sind kommerziell nur für kurze Zeit nützlich, nämlich im Alter von acht bis zwölf Wochen. Danach gelten sie als zu gefährlich, um mit Besuchern zu interagieren. Manche von ihnen werden dann selbst zur Zucht eingesetzt oder ausgestellt. Es gibt Hinweise darauf, dass einige getötet werden.

    Liger und Tigon: Hybridzüchtungen

    In privaten Zoos und Menagerien gibt es zahlreiche Hybriden, also Kreuzungen zwischen verschiedenen Arten. In der Wildnis kommen Hybriden aus Löwen und Tigern nicht vor – vor allem, da sich ihre Lebensräume nicht überschneiden. Die Hybridzucht in Gefangenschaft hat oft Gendefekte und gesundheitliche Probleme zur Folge, sagt Luke Hunter. Der auf Katzen spezialisierte Wissenschaftler und Umweltschützer sprach 2017 mit National Geographic über Großkatzenhybriden.

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    Weiße Tiger sind zwar keine Hybride, aber wirklich natürlich sind sie auch nicht – zumindest nicht in der Menge, in der sie in privaten Einrichtungen anzutreffen sind. Es handelt sich einfach um normale Tiger mit weißem Fell, die in der Wildnis aber nur selten vorkommen. Um möglichst viele weiße Tiger zu züchten und zu verkaufen, kam es im Laufe der Jahre zu einer starken Inzucht. Infolgedessen leiden viele dieser Tiere unter Geburtsfehlern und sind ihr Leben lang auf Pflege angewiesen, schrieb Dan Ashe, der Geschäftsführer von AZA, kürzlich in einem Post.

    Woran erkennt man eine artgerechte Haltung?

    Wer einen Zoo, ein Schutzzentrum oder eine ähnliche Einrichtung besuchen möchte, sollte auf einige Dinge achten, die gute Indikatoren für eine ethische und verantwortungsvolle Tierhaltung sind. Tiger sind große, nachtaktive Einzelgänger und das bedeutet, dass sie auch in Gefangenschaft ein paar spezielle Bedürfnisse haben, erklärt die Forscherin Leigh Pitsko vom Smithsonian’s National Zoo. Sie brauchen viel Platz, um sich ausreichend bewegen zu können, und sollten nicht mit anderen Tigern in beengten Verhältnissen gehalten werden. Außerdem benötigen sie einen Ort, an den sie sich zurückziehen können, wenn sie gestresst sind und ihnen der Besuchertrubel zu viel wird. Schattige Plätze und Wasser sollten stets verfügbar sein. Spielzeuge, Beschäftigung und Klettermöglichkeiten halten die Tiger geistig fit. Ihr Gehege sollte außerdem einen natürlichen Untergrund haben – also nicht betoniert sein. Das ist nicht nur gesund für ihre Pfoten und ihre Haut, sondern auch insgesamt gut für ihr Wohlbefinden. Je ähnlicher ihr Gehege ihrem natürlichen Habitat ist, desto besser.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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