Niedlich & todkrank: Bulldoggen gehen am Rassestandard zugrunde

Schon 2017 zeigte eine Analyse, dass Englische Bulldoggen eine besorgniserregend geringe genetische Vielfalt aufweisen.

Von Aaron Sidder
Veröffentlicht am 9. Juli 2020, 15:13 MESZ
Englische Bulldoggen

Englische Bulldoggen sind eine der beliebtesten Rassen der westlichen Welt. Aber viele ihrer charakteristischen Merkmale, die sie so beliebt machen – kurze Gesichter, gedrungene Körper und faltige Haut – sind Ursache zahlreicher Gesundheitsprobleme bei der Rasse.

Foto von Nick Norman, National Geographic

Die Bulldogge war lange ein Symbol für Stärke und Robustheit – aber mehr als ein Jahrhundert der selektiven Zucht hat den einst zähen Hund stark geschwächt.

Die Hunde haben Probleme mit der Atmung, den Knochen und der Haut. Schlimmer noch: Viele können sich nicht mehr natürlich paaren oder gebären. Wenn sie frühzeitig Atembeschwerden entwickeln, ist es unwahrscheinlich, dass sie das fünfte Lebensjahr überstehen.

Schon im Jahr 2017 zeigte die erste vollständige Analyse der Bulldoggengenetik, die in „Canine Genetics and Epidemiology“ veröffentlicht wurde, dass die Rasse eine sehr geringe genetische Vielfalt aufweist.

Galerie: 20 Fotos vom besten Freund des Menschen

Dieser Mangel an Genen stellt eine große Herausforderung für Züchter dar, die hoffen, auf natürliche Weise gesündere Merkmale in die Population einzuführen, sagte Studienleiter Niels Pedersen, ein Veterinärforscher an der University of California in Davis.

„Unserer Einschätzung nach wird es schwierig und vielleicht sogar unmöglich sein, umzukehren und die Hunde rückzuzüchten“, so Pedersen.

Nach Angaben des American Kennel Club waren Englische Bulldoggen 2017 die viertbeliebteste Rasse in den USA.

Genetischer Flaschenhals

Forscher sammelten und analysierten die DNA von 139 Bulldoggen, darunter eine Kontrollgruppe gesunder Welpen, die in Nordamerika, Europa und Argentinien leben. Zusätzlich entnahmen sie DNA von einer weiteren Gruppe von Hunden, die wegen verschiedener Krankheiten in die Tierklinik der UC Davis eingeliefert wurden.

Die Ergebnisse waren niederschmetternd.

In einer gesunden, vielfältigen Population würde man erwarten, dass jedes Individuum eine weitgehend individuelle Genomstruktur hat. Aber im Falle der Bulldoggen waren große Regionen des Genoms bei jeder einzelnen Stichprobe gleich.

BELIEBT

    mehr anzeigen

    Darüber hinaus stellten die Forscher einen besorgniserregenden Mangel an Vielfalt in jener Region des Genoms fest, die das Immunsystem der Hunde reguliert. Die Wissenschaftler konnten in dieser Hinsicht keine Unterschiede zwischen den gesunden Hunden und den kranken Haustieren in der Klinik feststellen.

    Teils liegt die geringe genetische Vielfalt darin begründet, dass moderne Bulldoggen wahrscheinlich allesamt von einer Population aus nur 68 Individuen abstammen, mit der die Rasse gegründet wurde. Aus diesem flachen Genpool der Bulldoggen schwand noch mehr Vielfalt, da sie selektiv auf kurze Gesichter, gedrungene Körper und faltige Haut gezüchtet wurden.

    Zu Tode geliebt

    Besonderes Pech für die Bulldogge: Viele der körperlichen Merkmale, die sie begehrenswert machen, machen sie auch krank.

    Ein Beispiel ist das platte Knautschgesicht, das viele als niedlich empfinden. Die Züchtung von flachen Gesichtern hat zu einer extremen Form von Brachycephalie geführt – einer Verkürzung des Schädels –, die heute die häufigste Todesursache bei Bulldoggen ist. Die Erkrankung führt zu einer Vielzahl von Atembeschwerden und Überhitzung.

    Die verformten Köpfe beeinträchtigen auch die Fortpflanzung, denn Bulldoggenwelpen passen oft nicht durch den Geburtskanal der Mutter und müssen per Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden. Pedersen schätzt, dass 80 Prozent der Bulldoggengeburten auf künstliche Besamung und Kaiserschnitt zurückzuführen sind.

    Die Bulldogge, die 1790 vom Künstler Philip Reinagle gemalt wurde, weist nur noch entfernte Ähnlichkeit zu ihren heutigen Nachfahren auf.

    Foto von Philip Reinagle 1749-1833

    Für Adam Boyko, einen Genetiker am Cornell University College of Veterinary Medicine, zeigt die neue Forschung eine „klassische Geschichte der Hundezucht“.

    „Sehen Sie sich mal an, wie die vor 100 bis 150 Jahren aussahen“, sagt Boyko, der an der Studie von 2017 nicht beteiligt war. Abbildungen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigen Bulldoggen mit längeren Gesichtern, geradem Schwanz und nur minimaler Faltenbildung.

    „Es gab eine intensive Selektion bei Bulldoggen, und am Anfang auch einen genetischen Flaschenhals. Das reduzierte die genetische Vielfalt. Wenn dann noch Inzucht hinzukommt, kann das eine ganze Reihe von Problemen schaffen.“

    „Groteske Kreaturen“

    Mit der steigenden Popularität von Bulldoggenwelpen – einige Exemplare werden laut Pedersen für bis zu 30.000 Dollar verkauft – reagieren die Züchter offensichtlich auf die Marktnachfrage nach „niedlicheren“ Tieren.

    Aber die Öffentlichkeit und die Züchter müssen gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um die Bulldogge zu retten.

    Hunde haben andere Mimik, wenn sie von Menschen beobachtet werden

    Offizielle Verbände wie der American Kennel Club könnten dabei helfen, indem sie ihre Rassestandards lockern. Offene Standards würden auch neue Merkmale erlauben, die durch Einkreuzungen eng verwandter Rassen entstehen.

    „Die Züchter müssen anerkennen, dass sie ein Problem haben“, sagt Pedersen.

    Andernfalls könnten wir „am Ende etwas haben, das einige Leute eine groteske Kreatur nennen würden – und für andere wäre es wiederum das Schönste, das je gezüchtet wurde“.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

    Hunde

    Von Feind zu Freund: Wie Hunde und Pferde kommunizieren

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved