Koalas in der Einöde: Australiens Beuteltiere nach dem Inferno
Mehr als eine Milliarde Tiere starben in den Flammen. Die Überlebenden finden in der verkohlten Landschaft kaum Futter. Ob sich ihr Lebensraum je wieder ganz erholt, ist ungewiss.
Ein Koala, der die Buschfeuer überlebt hat, klammert sich an einen Eukalyptusbaum, während Wildhüter am Boden versuchen, seinen Zustand einzuschätzen. Schon vor den Bränden stufte die Weltnaturschutzunion Koalas aufgrund von Dürre, Entwaldung und Krankheiten als gefährdet ein.
Mehr als sechs Monate, nachdem katastrophale Buschfeuer in Australien gewütet haben, steigen die Schätzungen zu den Zahlen der getöteten einheimischen Tiere weiterhin an. Das Schicksal der überlebenden Wildtiere ist größtenteils unklar.
„Die Daten kommen immer noch rein. Aber die ursprüngliche Schätzung, laut der mindestens eine Milliarde Tiere gestorben sind, war deutlich konservativer, als mir klar war“, sagt Chris Dickman, ein Ökologe der Universität Sydney, der die vorläufige Zahl der Todesopfer errechnete. „Ich denke, es besteht kein Zweifel daran, dass einige Arten aussterben werden.“
Die weltweite Coronavirus-Pandemie unterbrach im März abrupt die meisten Rettungsbemühungen. Reisebeschränkungen und Auflagen zum Social Distancing führten dazu, dass viele Wissenschaftler ihr Haus nicht mehr verlassen konnten. Unzählige Arten mussten in regelrecht postapokalyptischen Landschaften allein ums Überleben kämpfen. Der Lockdown erfolgte, kurz nachdem die australische Regierung 119 Tierarten priorisierte, „bei denen dringender Handlungsbedarf“ bestehe.
Australiens hausgemachtes Artensterben
Australien hat weltweit die höchste Rate aussterbender Säugetiere zu verzeichnen. Die meisten Arten, die seit der Kolonialisierung verschwunden sind, waren Beuteltiere. Von den Säugetierarten, die seit den Bränden auf der Prioritätsliste der Regierung stehen, handelt es sich bei den meisten um Beuteltiere mit rückläufigen Populationen, deren Lebensraum von den Buschfeuern betroffen war.
Einige Wissenschaftler und Freiwillige konnten sich in Brandzonen begeben, um Koalas, Wombats und anderen Wildtieren zu helfen. Was sie dort vorfanden, offenbart das Ausmaß der Zerstörung – und die Herausforderungen, denen sich die einheimischen Tiere nun gegenübersehen. Die Brände wüteten so intensiv, dass sie in den am stärksten betroffenen Gebieten alles Leben ausgelöscht haben.
Die Feuer haben laut einem Bericht der Regierung auch offenbart, wie wenig über die Bestände selbst berühmter Arten wie dem Koala bekannt ist. Auch Schutzgesetze für gefährdete Arten boten ihnen letzten Endes nur wenig echten Schutz vor blindwütiger Abholzung, Bauprojekten und Klimawandel.
„Durch diesen Mangel an grundlegenden Daten wurde es erschwert, diese ersten Einschätzungen vorzunehmen und herauszufinden, worauf wir uns zuerst konzentrieren müssen“, sagt Sarah Legge. Die Wildtierökologin an der Australian National University wirkte an der Ausarbeitung einer Rettungsstrategie für die Regierung mit.
Koala-Evakuierung in den Blue Mountains
Wissenschaftler dachten zum Beispiel lange Zeit, dass in den Blue Mountains nur wenige Koalas leben würden. Das 2,5 Millionen Hektar großen Welterbe mit seinen hoch aufragenden Steilhängen, tiefen Schluchten und Eukalyptuswäldern liegt 130 Kilometer westlich von Sydney im Bundesstaat New South Wales.
Im Jahr 2013 begannen dann Forscher der gemeinnützigen Naturschutzorganisation Science for Wildlife, Erhebungen durchzuführen. So fanden sie heraus, dass eine große Anzahl von Koalas in der Region lebt. Das waren gute Nachrichten für eine bedrohte Art, die seit Langem aufgrund von Dürre, Entwaldung und Krankheiten im Rückgang befindlich ist. Noch besser war, dass die Population in den Blue Mountains nicht nur wuchs, sondern zu den genetisch vielfältigsten in Australien gehörte. Sie war auch weitgehend frei von Chlamydien – einer tödlichen Krankheit, die Unfruchtbarkeit verursacht und Koalas in ganz Australien befällt.
Ein gerettetes Östliches Graues Riesenkänguru steht im Februar 2020 auf dem verbrannten Gelände einer Tierauffangstation. Kurz zuvor waren die Brände über die Stadt Goongerah im australischen Bundesstaat Victoria hinweggefegt. Victoria, New South Wales und South Australia waren von der Brandsaison 2019-2020 am stärksten betroffen. Schätzungen zufolge kamen mehr als eine Milliarde Tiere ums Leben.
Als im Dezember 2019 Buschfeuer die Blue Mountains zu verschlingen begannen, organisierte die Geschäftsführerin von Science for Wildlife, Kellie Leigh, eine Rettungsaktion für die Koalas. Einige von ihnen waren zuvor mit Funkhalsbändern ausgestattet worden. Die Behörden gaben ihrem Team nur zwei Tage Zeit, sie zu evakuieren.
„Wir dachten, wenn schon alles niederbrennt, könnten wir wenigstens ein paar gute Gene retten“, sagt Leigh.
Das Suchteam durchkämmte die sengende und verrauchte Wildnis und erklomm bis zu 40 Meter hohe Eukalyptusbäume, um die Tiere zu bergen. Sie retteten zehn ausgewachsene und zwei Jungtiere. Ein Koala namens Houdini musste zurückgelassen werden, da keine Zeit war, ihn aus einer tiefen Schlucht herauszuholen.
Die Brände vernichteten 80 Prozent der Blue Mountains. Auf der Grundlage ihrer früheren Untersuchungen geht Leigh davon aus, dass bei den Bränden etwa tausend Koalas ums Leben kamen. Ein am 30. Juni vom Parlament von New South Wales veröffentlichter Bericht schätzt, dass die Buschfeuer mindestens 5.000 Koalas getötet– ein Drittel des Bestandes im Bundesstaat – und 24 Prozent ihres Lebensraums auf öffentlichem Land zerstört haben.
Das Parlament kam zu dem Schluss, dass die Koalas im Bundesstaat bis 2050 aussterben könnten. In New South Wales leben etwa 10 Prozent der australischen Gesamtpopulation der Art. Aufgrund fehlender Erhebungen weichen die Schätzungen zur Zahl der Koalas im Bundesstaat und auf nationaler Ebene aber voneinander ab. Eine Studie aus dem Jahr 2016 bezifferte den landesweiten Bestand auf 329.000 Koalas.
In ganz Australien starben nach Angaben von Experten mindestens 30.000 Koalas bei den Bränden.
„Das war ziemlich niederschmetternd und ist es immer noch“, sagt Leigh. „Man geht hinaus in die schlimm verbrannten Gebiete und dort lebt einfach nichts mehr.“
Nach den Bränden suchte ihr Team auf Satellitenbildern nach Wäldern mit einem ausreichenden Restbaumbestand. Anschließend suchten sie mit einem Koala-Spürhund namens Smudge nach überlebenden Tieren in potenziellen Wiederansiedlungsgebieten.
„Er fand eine Menge verbrannten Kot, aber auch einige frische Spuren. Wir haben nun also eine vage Vorstellung davon, wo und wann sich Koalas durch das Gebiet bewegten“, sagt Leigh.
Eine Koalamutter und ihr Junges werden in einem staatlichen Wald in Victoria freigelassen, nachdem sie wegen Verbrennungen behandelt wurden. Da die Buschfeuer ihr Zuhause zerstörten, mussten sie in ein 110 Kilometer entferntes Waldgebiet umgesiedelt werden.
Ihre Mitarbeiter und mehr als 140 Freiwillige verbrachten zwei Monate mit dem Bau und dem Aufstellen von Futter- und Trinkstationen für überlebende Koalas. Im März brachten sie die geretteten Beuteltiere dann in die Blue Mountains zurück.
Leigh hat die Koalas während der gesamten Pandemie weiterhin über Funk verfolgt und beobachtet. „Sie sind nicht in bester körperlicher Verfassung, aber es geht ihnen gut“, sagt sie. Aber „wenn ein Großteil ihres Lebensraums verbrannt ist, werden sie nicht genug Ressourcen haben, um längerfristig zu überleben“.
Wombat-Bauten boten Schutz vor Flammen
Während die Notlage der Koalas weltweit viel mediale Aufmerksamkeit erhielt, wurde über das Schicksal der Wombats kaum berichtet.
Am 5. Januar nach Mitternacht brachen Brände im Hochland südlich von Sydney aus. „Als dann die Sonne aufging, war da nichts – und ich meine wirklich nichts – außer absoluter Schwärze soweit das Auge reichte“, erzählt John Creighton. Der Wombatpfleger in der Stadt Bundanoon hatte erwartet, am Morgen Hunderte von verletzten Tieren vorzufinden. „Es war unheimlich still. Es gab keine Vögel, keine Wallabys, keine Kängurus.“
Aber es gab Wombats.
„Sie waren die einzigen Tiere, die das Feuer überlebt hatten“, sagt Creighton. Die stämmigen Beuteltiere, die wie kleine Bären aussehen, verbringen die meiste Zeit in tiefen Höhlen. „Die Wombats saßen an ihren Höhleneingängen, desorientiert und schockiert, dass alles weg war, was sie kannten.“
Er hatte die Wombats bereits mit zusätzlichem Wasser und Nahrung versorgt, da sie aufgrund einer jahrelangen Dürre nur wenig zu essen und zu trinken hatten. Nach den Bränden vergrößerte er die Rationen noch, da die Tiere in der wüsten Landschaft vor dem Hungertod standen.
Creighton und Freiwillige richteten auf dem Gelände eines buddhistischen Klosters, das an einen abgebrannten Nationalpark grenzt, Verpflegungsstationen ein. Wombats haben einen sehr guten Geruchssinn und machten sich schon bald machten auf den Weg zu Nahrung und Wasser. Als Einzelgänger, hinter deren kuscheliger Fassade sich eine eher kratzbürstige Persönlichkeit verbirgt, kamen die Tiere unter diesen besonderen Umständen in ungewöhnlich großen Gruppen zusammen.
Ein Straßenschild steht inmitten einer verbrannten Landschaft im Bundesstaat Victoria. Laut Experten brannten die Feuer an einigen Orten so heiß, dass sich einige Ökosysteme möglicherweise nie wieder erholen werden.
„Wir hatten teils acht Wombats rund um eine Futterstation“, sagt Creighton. „Die standen praktisch Schlange, um zu fressen.“
Wochen nach den Bränden fand er ein Wombatweibchen, das dem Tod nahe war. „Sie bestand nur noch aus Haut und Knochen, hatte aber den größten Kopf, den ich je gesehen habe. Sie wäre die Königin dieses Waldes gewesen“, sagt Creighton. „Solche Wombats überlebten die Brände, nur um dann an Hunger und Durst zu sterben.“ Es gibt zwar keine wissenschaftlichen Schätzungen zur Zahl der Wombats, die während und nach den Bränden starben, aber ihm zufolge seien wahrscheinlich „Abertausende“ umgekommen.
Dann kamen sintflutartige Regenfälle. Sie löschten die Brände endlich, fluteten aber die Bauten der Wombats und töteten zahlreiche Tiere.
Die Freiwilligen füttern immer noch etwa hundert Wombats im Kloster. „Die Region wird langsam wieder grüner und die Tiere kehren dorthin zurück“, sagt Creighton. „Aber die verbrannten Gebiete sind immer noch trostlos, und es ist schockierend, wie wenig Futter wächst.“
Ökosysteme könnten nachhaltig geschädigt sein
Evan Quartermain ist der Programmleiter der Humane Society International Australia. Er war auf Kangaroo Island in South Australia, nachdem Feuerstürme die Hälfte der 50.000 Koalas der Insel getötet hatten. Laut ihm sei ungewiss, ob die Insekten, Pilze, Samen und Mikroben, die zur Erholung des Ökosystems benötigt werden, die Temperaturen von teils 815 °C überlebt hätten. „Es kann sein, dass einige Bausteine des Ökosystems sich nicht erholen werden“, sagt er.
Ein Koalaweibchen wird im Januar 2020 in einer mobilen Wildtierstation wegen Verbrennungen dritten Grades an den Pfoten behandelt. Selbst für jene Tiere, die die Flammen überlebt haben, bleibt die Gefahr der Dehydrierung und des Verhungerns in der verwüsteten Landschaft bestehen.
Viele wichtige Wildnisgebiete waren allerdings schon vor den Bränden durch Bauprojekte zerstört worden. Eine parlamentarische Nachfrage zum Zustand der Koalas in New South Wales ergab, dass die Entwaldung ihres Lebensraums trotz schützender Gesetze zunahm. Der Grund: Umweltauflagen wurden nicht streng genug befolgt. Die Regierung des Bundesstaates genehmigte zum Beispiel den Bau eines Kohlebergwerks inmitten von ausgezeichnetem Koala-Lebensraum in New South Wales. Der sich beschleunigende Klimawandel und die schwere Dürre erhöhten den Druck auf die Lebensräume zusätzlich.
Eine vom WWF Australien in Auftrag gegebene Wildtierstudie ergab, dass der Bestand von bodenbewohnenden Tieren in jenen Teilen von New South Wales, die Anfang März untersucht wurden, um 90 Prozent zurückgegangen war. Andernorts sind die Wissenschaftler vor allem um das Überleben bereits gefährdeter Arten besorgt, darunter der Braunkopfkakadus und die Känguru-Insel-Schmalfußbeutelmaus. Der begrenzte Lebensraum des Nagers fiel den Bränden zum Opfer.
Die Wildtierpflegerin Rena Gaborov füttert im Januar 2020 einen jungen männlichen Nacktnasenwombat namens Kip. Gaborov evakuierte Kip und andere Tiere aus ihrer Tierauffangstation in Victoria, bevor sie durch die Buschfeuer zerstört wurde. Weltweit wurden viele Millionen Dollar gespendet, um der australischen Tierwelt zu helfen.
Aber auch nicht ganz so stark gefährdete Arten wie das Schnabeltier und der in Eukalyptusbäumen heimische Südliche Großflugbeutler sind durch die abgebrannten Wälder nun in Gefahr. Im Bundesstaat Western Australia löschten die Brände den Lebensraum der Quokkas aus. Die dortigen Tiere sind eine der letzten Populationen der Art auf dem Festland. In den Flammen starben außerdem wahrscheinlich einige tausend Kängurus. Bei einer geschätzten Population von 50 Millionen sind die Wissenschaftler um das Überleben der Art zum Glück aber nicht besorgt.
Hoffnung und Hilfe für Australiens Beuteltiere
Durch die schrittweise Lockerung der Pandemie-Beschränkungen können die Forscher nun langsam ins Feld zurückkehren. Freiwillige Helfer setzen die zig Millionen Dollar an internationalen Spenden ein, um der Tierwelt zu helfen. Die Bundesregierung hat zudem 200 Millionen Australische Dollar für die Rettung von Wildtieren bereitgestellt.
Die Forschungen der Biologin Valentina Mella von der Universität Sydney ergaben, dass Koalas bei Dürre und Hitzewellen Trinkstationen nutzen. Sie arbeitet jetzt mit der Wildtier-Rettungsgruppe WIRES zusammen, um 800 Trinkstationen in ganz Australien zu verteilen. WIRES vergibt auch Zuschüsse an Gemeinden für die Wiederherstellung von Lebensräumen, während die Humane Society International Wildtierpfleger finanziell unterstützt und ihnen hilft, sich auf die kommenden Brände vorzubereiten. Laut Quartermain wurden Koalas, die auf Kangaroo Island gerettet und später wieder freigelassen wurden, mit Mikrochips versehen und sollen überwacht werden, um ihren Zustand zu überprüfen.
Science for Wildlife startet unterdessen eine sechsmonatige Überprüfung des Lebensraums der Koalas in den Blue Mountains. Leigh ist erleichtert, bereits einen ganz bestimmten Koala gefunden zu haben: Houdini, den Koala mit dem Funkhalsband, den sie während der Brände nicht retten konnte.
Houdini verdiente sich seinen Namen, weil er sich immer wieder Einfangversuchen entzog. Zum Glück erwies er sich als ebenso geschickt darin, den Bränden zu entgehen. „Er befand sich in einer steilen Schlucht mit riesigen Bäumen, die nicht so leicht brennen“, sagt Leigh. „Er hat uns ein wenig Hoffnung gemacht, dass wir in anderen steilen Schluchten mit ähnlich geringer Brandintensität noch mehr Koalas finden könnten, die überlebt haben.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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