Das Rennen ist gelaufen

In Florida sind Hundewetten aus Tierschutzgründen seit Ende 2020 verboten. In den USA geht damit die Ära der Greyhound-Rennen ihrem Ende entgegen.

Von Craig Pittman
bilder von Erika Larsen
Veröffentlicht am 12. März 2021, 13:13 MEZ
Greyhounds beim Hunderennen

August 2020: Die schlanken Greyhounds jagen um das sandige Oval von Derby Lane in St. Petersburg, Florida. Die älteste kontinuierlich betriebene Hunderennbahn der USA sowie zwei weitere Rennbahnen in Florida wurden im Dezember geschlossen. 

Foto von Erika Larsen

Ein Samstagabend im August, es ist 20.30 Uhr. Der Mond hängt tief am Himmel Floridas, doch sein Schein verblasst neben den Leuchtreklamen. „WINDHUNDRENNEN“ steht da. „DERBY LANE“.

Auf Tribünen, auf denen einst Tausende Platz fanden, verlieren sich etwa 300 Zuschauer. Sie plaudern zur Musik aus den Lautsprechern, Big Band und Rockabilly. Als Frederick Davis die Greyhound-Parade herausführt, wird es still. Vor den Tribünen verkündet der Ansager den Namen des ersten der acht windschnittigen Tiere: „TNT Sherlock“. Jeder Hund trägt eine enge Weste, „Decke“ genannt, an der eine Zahl befestigt ist. „Tailspin“, ruft der Ansager, „Charlotte York, ...“

Dann führen Davis und seine Helfer die Tiere in die Startboxen. Ein mechanischer Hase schnellt vorbei, quietschend und blaue Funken sprühend. Die Türen fliegen auf, und die Greyhounds stürmen davon, ein Wirbel von Körpern. Ihre Pfoten schleudern Sand in die Luft, während sie 30 Sekunden lang um das Oval jagen. Sie erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 72 Stundenkilometern. (...)

Im Dezember 2020 lag die älteste ununterbrochen betriebene Hunderennbahn der Vereinigten Staaten in den letzten Zügen. Noch zwei Jahre zuvor hatte es in Florida mehr Hunderennbahnen gegeben als in jedem anderen US-Bundesstaat: Elf von landesweit 17 Rennbahnen lagen hier. Ende 2020 waren es noch drei. Etwa 2000 Hunde gingen an den Start.

Sorge um Tiermisshandlungen im Unterhaltungsgeschäft 

Im Jahr 2018 erhielten Floridas Wähler die Möglichkeit, einer Verfassungsänderung zuzustimmen, um Hundewetten zum 31. Dezember 2020 zu verbieten. Die Hunderennbranche setzte darauf, dass die Bürger ablehnen würden, doch der Änderungsantrag wurde mit großer Mehrheit angenommen. Hauptgrund war die wachsende Sorge über die Misshandlung von Tieren, die im Unterhaltungsgeschäft auftreten, nicht nur in Zirkussen.

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Das letzte Rennen von Derby Lane war für den 27. Dezember 2020 angesetzt. Der 41-jährige Frederick Davis war nur einer von vielen bald arbeitslosen Mitarbeitern mit einer unsicheren Zukunft. Seit 14 Jahren arbeitete er an der Rennbahn. Es war sein Traumjob. „Ich liebe Hunde“, sagte er, „und ich liebe es, an der frischen Luft zu sein.“

Er war nicht der einzige Mitarbeiter von Derby Lane, der sich Gedanken über die Zukunft machte. „Es ist eine Schande, nach 95 Jahren schließen zu müssen“, meint Richard Winning, 64, der Geschäftsführer der Rennbahn. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 1925 gehörte Derby Lane seiner Familie. Wenn die Strecken in Florida erst einmal geschlossen seien, prophezeit er, würden die anderen Bundesstaaten folgen. „Wird sich in 20 Jahren überhaupt noch jemand daran erinnern, was Greyhound-Rennen einst waren?“

Das ist der einzige Punkt, in dem er mit Carey Theil übereinstimmt. Dessen Interessengruppe Grey2K USA hat die Kampagne für Änderungsantrag 13 angeführt: Schließt Floridas Rennstrecken, und die Hunderennbranche verschwindet. „Florida war im Grunde die Branche“, sagt Theil. (...)

Im Haus von Sharon Dippel in Florida verlässt ein pensionierter Greyhound namens Fly to Barcelona – heute Roxanne – den Swimmingpool. Dippel leitet eine Greyhound-Adoptionsagentur. Ihr Mann und sie besitzen selbst acht adoptierte Hunde.

Foto von Erika Larsen

Grey2K hat fast 20 Jahre lang Berichte über das Wohlergehen von Greyhounds gesammelt. Doping war nur eines der Argumente der Rennsportgegner gewesen. Die Organisation behauptet, dass selbst Standardpraktiken Misshandlungen darstellen. Es heißt, dass die Hunde unter Bedingungen rennen, die schwere Verletzungen verursachen können, darunter gebrochene Beine und Rücken, Schädel- und Wirbelfrakturen und sogar Stromschläge durch den Köder. Eine weitere Sorge gilt den Hunden, die nicht an Rennen teilnehmen.

Doping ist nur eines der Argumente der Rennsportgegner

1952 hieß es im „Greyhound Racing Record“, dass nur 30 Prozent der für Rennen gezüchteten Tiere auch antreten würden. Das Schicksal der anderen 70 Prozent blieb offen. Rennhunde sind nur bis zu einem Alter von etwa vier Jahren konkurrenzfähig. Grey2K hat Geschichten über Greyhounds gesammelt, die eingeschläfert oder an Labore verkauft wurden. Zwei der schlimmsten Skandale ereigneten sich jedoch in den Zweitausenderjahren.

Im Jahr 2002 wurde ein ehemaliger Wachmann der Pensacola-Rennbahn verhaftet, als die Behörden herausfanden, dass er 1000 bis 3000 Windhunde getötet und auf seinem Grundstück in Alabama begraben hatte. Er gab an, dass er zehn Dollar pro Hund bekommen habe, den er erschoss. Der Wachmann starb, bevor er vor Gericht gestellt werden konnte. 2010 ließ ein Trainer auf einer Rennbahn in der Stadt Ebro in Florida nach Ende der Rennsaison Dutzende von Hunden verenden. Er bekannte sich der Grausamkeit schuldig und wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Skandale schmälerten die Popularität des Hunderennsports, während in der Öffentlichkeit die Sorge um das Tierwohl wuchs. Gleichzeitig lockten neue Glücksspielbetriebe Kunden von den Hunderennen fort. (...)

In den letzten zehn Jahren ist der Gewinn durch den Hunderennsport von einst 117 Millionen Dollar auf weniger als 40 Millionen pro Jahr gesunken. Allein in Derby Lane fiel er von zwölf auf 4,3 Millionen Dollar. Die Branche versuchte, sich anzupassen, und erhielt 1996 die gesetzliche Genehmigung, Pokerräume und Liveübertragungen einzurichten, sodass Zuschauer auf Rennen an einem anderen Ort wetten konnten. Die Pokerräume sind voll geblieben. Nach dem Ende der Hunderennen zogen die Liveübertragungen neue Fans an. Die Rennstrecken konnten sie nicht retten.

Ein Jahrzehnt lang hat Grey2K versucht, die Gesetzgeber in Florida davon zu überzeugen, die Hunderennen zu reformieren – ohne Erfolg. Schließlich wandte sich die Gruppe an die Verfassungsrevisionskommission des Staates, die alle zwei Jahrzehnte tagt. Die Organisation brachte die Ausschussmitglieder dazu, einen Vorschlag zur Beendigung der Rennen zu unterstützen.

Grey2K und ihre Mitstreiter investierten drei Millionen Dollar, um für Änderungsantrag 13 zu werben, sagt Theil. Den Großteil des Geldes steckten sie in Fernsehspots, die misshandelte Rennhunde zeigten. Zwei Gruppierungen, die sich gegen den Änderungsantrag wandten, gaben nur 534 000 Dollar aus. Eine ihrer Anzeigen hielt Grey2K vor, die Gefahr zu übertreiben. „Die große Mehrheit der Hunde wird gut trainiert, gut behandelt und geliebt“, sagte Jack Cory von der Florida Greyhound Association. Für ihn sind Grey2K „pathologische Lügner“. Doch der Verband konnte keine Unterstützung jenseits seiner Fangemeinde gewinnen. Fast 70 Prozent der Wähler stimmten für den Änderungsantrag.

"Greyhounds sind 70-Stundenkilometer-Stubenhocker"

Neben den Rennbahnangestellten, die ihren Job verloren, waren auch Trainer und Zwingerbesitzer von der Schließung betroffen. John Farmer sagte, er würde nach West Virginia umziehen, einem der drei verbleibenden Staaten, die noch durchgängige Rennsaisons haben.

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Grey2K USA setzt sich für ein Verbot von Rennen in diesen Staaten ein, ebenso wie in Australien, Irland, Mexiko, Neuseeland, Großbritannien und Vietnam. Greyhound-Adoptionsagenturen begannen, ein neues Zuhause für die Hunde in Florida zu suchen, die im Dezember 2020 noch Rennen liefen. Eine dieser Organisationen ist GST’s Sun State Greyhound Adoption, geleitet von Sharon Dippel. Sie und ihr Mann Brian besitzen selbst acht adoptierte Hunde.

Laut Dippel standen Interessenten, die Hunde adoptieren wollten, Schlange. Als Haustiere rennen Greyhounds im Freien weiterhin gerne, auch ohne eine mechanische Beute zum Jagen. Und wenn sie wieder im Haus sind? Dippel sagt: „Sie sind 70-Stundenkilometer-Stubenhocker.“

Aus dem Englischen von Dr. Katja Mellenthin

Craig Pittman ist Autor von fünf Büchern über seinen Heimatstaat Florida und Co-Moderator des Podcasts „Welcome to Florida“. Erika Larsen dokumentiert als Fotografin Kulturen, die eine enge Verbindung zur Natur pflegen.

Dieser Artikel erschien in voller Länge in der März 2021-Ausgabe des deutschen NATIONAL GEOGRAPHIC Magazins. Keine Ausgabe mehr verpassen und jetzt ein Abo abschließen!

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