Riskante Überlebensstrategie: Hitzetorpor bei Fledermäusen

Tropische Fledermäuse haben eine Überlebensstrategie gegen die immer heißer werdenden Temperaturen entwickelt: Sie versetzen ihre Körper vorübergehend in eine Art Energiespar-Modus.

Von Barbara Buenaventura
bilder von Stephanie Reher
Veröffentlicht am 23. Feb. 2021, 12:01 MEZ
Tropische Fledermäuse verfallen bei Hitze in einen Hitzetorpor.

Die Commerson-Rundblattnase ist in den trockenen Teilen der Tropen sehr hohen Temperaturen und zugleich niedriger Luftfeuchtigkeit ausgesetzt.

Foto von Stephanie Reher

Wenn in tropischen Gegenden die Temperaturen über 40 oder 45 Grad steigen, ist das nicht nur für die Bevölkerung eine Herausforderung: Auch die Tiere leiden unter Hitze und Trockenheit. Fast jedes Jahr werden Massensterben von Flughunden und Fledermäusen verzeichnet, die als kleine Säugetiere mit Überhitzung und Dehydrierung besonders zu kämpfen haben: Mit der Umgebungstemperatur steigt unweigerlich auch die Körpertemperatur. Fehlt ein Rückzugsort ins Kühle, muss Wasser aufgebracht werden, um Überhitzung entgegenzuwirken. Fledermäuse speicheln dann beispielsweise ihre Unterarme ein, um Verdunstung zu ermöglichen und so für Kühlung zu sorgen. Diese Strategie ist jedoch nur begrenzt wirksam: Eine Temperatur um 41 Grad kann bereits lebensgefährlich für die kleinen Säuger werden.

Sind Fledermäuse machtlos gegen die immer weiter steigenden Temperaturen? Nicht ganz: Eine im ostafrikanischen Inselstaat Madagaskar ansässige tropische Fledermausart, die Commerson-Rundblattnase (Macronycteris commersoni), hat eine Überlebensstrategie entwickelt, die sie zumindest vor akuter Überhitzung schützt. Die Fledermäuse verfallen vorübergehend in einen Zustand der körperlichen Lethargie und stellen bestimmte Körperfunktionen fast vollständig ein.

Diese auch Torpor genannte Starre wird von vielen Tieren angewandt, doch sie geht in der Regel mit Kälte oder Nahrungsmangel einher und wird gebraucht, um Energie und Wasser zu sparen: So können je nach Tierart und Anlass etwa Atmung, Urinproduktion und andere Körperfunktionen eingeschränkt oder temporär komplett ausgesetzt und so Energie- und Wasserverbrauch bis zu 90 Prozent gesenkt werden.

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Anpassung einer Überlebensstrategie an hohe Temperaturen

Die Commerson-Rundblattnase wendet den Torpor auch bei extremer Hitze an: Stoffwechsel- und Energieumsatzprozesse des Tiers werden dabei kurzfristig auf ein Minimum reduziert, das Kühlen des Körpers fast vollständig eingestellt. Dennoch können die Fledermäuse – wenngleich langsamer und eingeschränkt – noch auf ihre Umgebung reagieren. Dank dem Torpor kann die Körpertemperatur des Tiers so auf bis zu 42,9 Grad Celsius steigen, ohne dass Wasser zum Kühlen investiert werden muss.

Nachgewiesen wurde diese neuartige physiologische Reaktion der Fledermäuse auf extreme Hitze von einem Forschungsteam der Universität Hamburg im Rahmen von Feldstudien im Westen von Madagaskar. „Wir wollten untersuchen, wie eine Fledermaus, die nicht geschützt den Tag in einer Höhle verbringt, sondern einfach im Laub an dünnen Ästen hängt, mit Hitze umgeht“, erklärt Stephanie Reher, Autorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Zoologie der Universität Hamburg. „Da Fledermäuse nachtaktiv sind, sind sie in den trockenen Teilen der Tropen gerade um die Mittagszeit sehr hohen Temperaturen und gleichzeitig niedriger Luftfeuchtigkeit ausgesetzt.“

Mit kleinen Sendern von nicht mal einem Gramm Gewicht, die den Fledermäusen angelegt wurden, maß das Team aus Hamburger und madagassischen Forschern die Hauttemperatur der Tiere als Proxy für ihre Körpertemperatur, mittels Bestimmung des Sauerstoffverbrauchs konnte auf Stoffwechselrate und Energieverbrauch geschlossen werden.

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    Die Commerson-Rundblattnase kann sich - an Ästen hängend - nur schwer selbst kühlen. 

    Foto von Stephanie Reher

    Das erstaunliche Ergebnis: An besonders heißen Tagen verbrachten die Fledermäuse bis zu 436 Minuten am Stück im Torpor. Doch auch der so genannte Mikro-Torpor faszinierte die Forscher – kurze Starre-Phasen von durchschnittlich 12 Minuten, die in der Regel mehrmals nacheinander auftraten und von „Pausen“ unterbrochen wurden, in denen die Fledermäuse wieder zu ihrem normalen Ruhestoffwechsel zurückkehrten: „Die Tiere können dabei den Stoffwechsel in kürzester Zeit herunterregulieren und profitieren von den Energie- und Wassereinsparungen, sind aber gleichzeitig auch regelmäßig hellwach und können ihre Umgebung im Auge behalten – ein sehr großer Vorteil, weil sie sehr exponiert hängen“, so Stephanie Reher.

    Ganz risikolos ist diese Überlebensstrategie allerdings nicht. Die Rückkehr aus dem Torpor in den Normalzustand, auch „Arousal“ genannt, ist generell mit großem Energieaufwand verbunden: Bei niedrigen Temperaturen müssen Herzfrequenz und Stoffwechsel auf maximale Raten hochgetrieben werden, was bei den Tieren zu oxidativem Stress führen kann. Dieser Effekt ist bei hohen Temperaturen zwar deutlich abgeschwächt, dennoch wurde beim Hitzetorpor der Commerson-Rundblattnase eine Schwierigkeit beobachtet: „Das Problem an der Sache ist, dass das Erhöhen des Stoffwechsels, um beispielsweise doch einen schattigeren Schlafplatz zu suchen, mit der Produktion körpereigener Wärme einhergeht, was die Körpertemperatur weiter erhöhen würde. Gleichzeitig darf die Umgebungstemperatur aber auch keinen tödlichen Grenzwert überschreiten“, sagt Ökologin Reher. Die torpiden Fledermäuse sind also im Zweifel darauf angewiesen, dass die Umgebungs- und somit auch die Körpertemperatur wieder sinkt.

    Stephanie Reher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe „Funktionelle Ökologie“ am Institut für Zoologie der Universität Hamburg und Autorin der Studie über den Hitzetorpor der Commerson-Rundblattnase.

    Foto von Stephanie Reher

    Hitzetorpor als letzte Option

    Den Hitzetorpor der tropischen Fledermäuse beschreibt Reher als „letzte Option“ und „sehr risikoreiche Strategie“, die nur an besonders heißen Tagen beobachtet wurde. Gegen extreme Hitzeperioden wie in Australien, bei denen etwa 2019 Spitzenwerte von bis zu 47,7 Grad Celsius gemessen wurden, dürfte die Strategie der Commerson-Rundblattnase jedoch nicht ankommen. Stephanie Reher sagt: „Wir wissen, dass die Fledermäuse zwar aktuell mit ihrer Hitzetorpor-Strategie gut klarkommen, die höchsten Körpertemperaturwerte an sehr heißen Tagen aber auch schon bedenklich nahe an den Maximalwerten liegen, die ein Säugetier überleben kann.“

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