Abnehmspritze: Wie Ozempic & Co. an gefährdeten Affenarten getestet werden

Tierversuche für die Figur: Sie sind das neue Wundermittel der Pharmaindustrie – doch Medikamente wie Wegovy wurden an von der IUCN als gefährdet eingestuften Makaken getestet. National Geographic hat in einer aufwändigen Recherche genauer hingeschaut.

Von Dina Fine Maron
Veröffentlicht am 7. Aug. 2023, 09:51 MESZ
Javaneraffenmutter mit einem Jungen.

Im Jahr 2022 hat die Weltnaturschutzunion (IUCN) Javaneraffen als gefährdet eingestuft. Sie sind die am häufigsten in die USA importierte Primatenart – mehr als die Hälfte der Tiere stammt aus Kambodscha.

Foto von Thomas Marent, Minden Pictures

Ozempic und Wegovy: Seit einiger Zeit herrscht ein regelrechter Hype um die beiden Medikamente zur Behandlung von Diabetes, die auf Social Media aber vor allem als sogenannte Abnehmspritzen gepriesen werden. Was die wenigsten wissen: Der Erfolg für die Schönheit geht dabei auf Kosten einer als gefährdet eingestuften Primatenart.

Denn die beiden Medikamente gehören zu den bekanntesten, die an Javaneraffen getestet werden – einer südostasiatischen Primatenart, die im vergangenen Jahr von der Weltnaturschutzunion (IUCN) als gefährdet eingestuft wurde. Das Expertengremium begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass die Tiere in hohem Maße in der biochemischen Forschung zum Einsatz kämen.

Javaneraffen haben graues oder braunes Fell, einen weißen Bauch und einen charakteristisch körperlangen Schwanz. Sie sind die am häufigsten in die USA importierte Affenspezies: Allein im Jahr 2022 waren es laut einem Bericht der National Academies of Science, Engineering, and Medicine fast 32.000 Tiere. Mehr als die Hälfte von ihnen stammt aus Kambodscha, doch auch Mauritius, Vietnam und Indonesien gehören zu den Ursprungsländern.

Inzwischen ist das Geschäft mit dem Export von Affen – insbesondere aus Kambodscha – in den Fokus der Gesetzeshüter gerückt. Im Jahr 2022 veröffentlichten die US-Behörden eine Anklageschrift, laut der Tausende Javaneraffen in freier Wildbahn gefangen und als in Gefangenschaft gezüchtete Tiere an Forschungseinrichtungen verkauft worden sein sollen.

Angkor-Park in Kambodscha.

Derzeit läuft ein Strafverfahren gegen einen hochrangigen kambodschanischen Beamten, dem vorgeworfen wird, in freier Wildbahn gefangene Javaneraffen als in Gefangenschaft gezüchtete Affen ausgegeben und an Forschungseinrichtungen verkauft zu haben. Der Anklage zufolge wurden so Tausende von Javaneraffen kambodschanischen Nationalparks und Schutzgebieten wie dem Angkor-Park entrissen.

Foto von TANG CHHIN, Sothy, AFP, Getty Images

Doch der Etikettenschwindel ist nicht auf kambodschanische Javaneraffen beschränkt. Auch unter den rund 4.000 Tieren, die 2021, und den 2.285 Tieren, die 2020 aus Mauritius in die USA kamen, waren laut dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen (CITES), das den internationalen Handel mit Tieren überwacht, Primaten aus freier Wildbahn.  

Die laufenden straf- und zivilrechtlichen Ermittlungen der US-Behörden, ein neues Gesetz zu Tierversuchen in der Pharmaindustrie und der hochgestufte IUCN-Status haben dazu geführt, dass der Affenhandel nun unter strengerer Beobachtung steht.

Darüber hinaus gibt es Vorstöße einer Reihe von Tierschutzgruppen – angeführt von PETA –, die fordern, die Spezies unter den US Endangered Species Act zu stellen. Sollte das gelingen, würde es nur sehr schwer möglich sein, eine Genehmigung für Tierversuche mit Javaneraffen zu erhalten. Bei Schimpansen ist dies bereits der Fall.

Im April legten die Gruppen der US-amerikanischen Natur- und Artenschutzbehörde (USFWS) eine Petition vor, in der sie für Javaneraffen in den USA den Status als bedrohte oder gefährdete Spezies forderten. Die Behörde muss sich dazu bis Ende Juli äußern.

Laut Lisa Jones-Engel, leitende wissenschaftliche Beraterin bei PETA, drängt die Zeit. „Als Primatenforscherin habe ich meine Karriere der Erforschung von Krankheiten gewidmet, die zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Primaten übertragen werden. Es ist die einzig richtige Entscheidung, den Export und Import von nicht-menschlichen Primaten sofort zu beenden – aus ethischer und wissenschaftlicher Sicht, aber auch hinsichtlich der Bevölkerungsgesundheit“, sagt sie.

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    Javaneraffe

    Ein Javaneraffe sammelt an einem Tempel in der Nähe von Angkor Wat Lotusblumen.

    Foto von Soe Zeya Tun, Reuters, Redux

    Die US-amerikanischen Akademien der Wissenschaft (NAS) haben jedoch vor Kurzem einen Bericht veröffentlicht, laut dem es derzeit keinen gleichwertigen Ersatz für Tierversuche mit Primaten gibt. Die Autoren kritisieren den Import der Affen als nicht nachhaltig und raten dazu, mehr in die Zucht der Tiere in den USA zu investieren.

    Kenneth Ramos, Vorsitzender des Komitees, betont die wesentliche Bedeutung von Primatentests. Insbesondere in Fällen, in denen Parallelen zum menschlichen Organismus gegeben sein müssen und das Zusammenspiel verschiedener Organe im Mittelpunkt stünde, seien Versuche an Tieren in der biochemischen Forschung alternativlos.

    Ihm zufolge sei es aber möglich, dass fortschrittlichere Methoden in der Forschung es in den kommenden Jahren erlauben, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren oder sie ganz auszusetzen.

    Dem Menschen ähnlich

    Weil ihre Physiologie der menschlichen ähnelt, werden Javaneraffen besonders oft von Pharmakonzernen eingesetzt, wenn Nebenwirkungen für das Fortpflanzungssystem oder mögliche Risiken für den Fötus bei der Einnahme von Medikamenten während der Schwangerschaft getestet werden sollen. So auch im Fall von Ozempic, Wegovy und dem Asthmamittel Tezspire. Bei toxikologischen Tests kommen sie ebenfalls bevorzugt zum Einsatz.

    Laut John Pippin, Direktor für akademische Forschung und Bildung der Non-Profit-Organisation Physicians Committee for Responsible Medicine und Unterzeichner der PETA-Petition, ist die Arbeit mit den Primaten einfach und aufgrund ihres weitreichenden Einsatzes weiß man inzwischen viel über sie.

    Doch dieser weitreichende Einsatz in der Forschung, sowohl in den USA als auch in anderen Teilen der Welt, haben neben dem Verlust von Lebensraum und der Bejagung laut der IUCN dazu geführt, dass der Javaneraffenbestand in Südostasien in den vergangenen vier Jahrzehnten um 40 Prozent zurückgegangen ist.

    Javaneraffe auf einer Freifläche

    Seit der FDA Modernization Act 2.0 im Jahr 2022 verabschiedet wurde, müssen neue Medikamente in den USA nicht mehr zwangsläufig an Tieren getestet werden. Zu diesen zählen auch Javaneraffen wie dieser, der in Angkor Wat in Kambodscha fotografiert wurden.

    Foto von Tobias Gerber, laif, Redux

    „Die Forschungsindustrie muss sich der Bedeutung ihres Handelns für wildlebende nicht-menschliche Primatenpopulationen bewusstwerden und Verantwortung übernehmen“, schreibt die Organisation in ihrer Begründung für den Gefährdungsstatus.

    Laut Pippin, dessen Organisation sich gegen Tierversuche einsetzt, hätte man die Versuche mit den Tieren schon längst einstellen müssen. Die inländische Zucht von Javaneraffen löse keine Probleme in der Forschung, zumal die Ergebnisse der Tests sich oft nicht erfolgreich auf den Menschen übertragen ließen. Außerdem würden menschliche Gewebeproben, Multi-Organ-Chips und Stammzellen für die Versuche zur Verfügung stehen und gleichwertige Alternativen darstellen.

    Ohnehin steht die Javaneraffen-Forschung in der Diskussion, weil der genetische Ursprung der Tiere möglicherweise vielfältiger ist, als bisher gedacht.

    Strafverfahren wegen Affenschmuggel

    Im November 2022 machte der internationale Javaneraffenhandel Schlagzeilen, weil ein hochrangiger Beamter der kambodschanischen Wildtierbehörde unter Verdacht geriet, am gewerbsmäßigen Schmuggel von wildlebenden Javaneraffen beteiligt zu sein. Masphal Kry wurde auf dem Weg zu einem globalen Wildtiergipfel verhaftet, ebenso ein anderer Beamter.

    Laut der Staatsanwaltschaft des Southern District of Florida waren die beiden Männer Teil eines über einen langen Zeitraum operierenden Schmugglerrings, der in freier Wildbahn gefangene Javaneraffen als gezüchtete ausgab. Kry soll die wilden Primaten persönlich an Einrichtungen geliefert, ihre Herkunft aus der Zucht beglaubigt und dafür Zahlungen von Schmugglern erhalten haben.

    Der Fall hat in der Forschung mit Affen große Wellen geschlagen. Auftragsforschungsinstitute spüren schon jetzt die Auswirkungen und gehen davon aus, dass es in Zukunft schwerer werden wird, Affen zu Forschungszwecken zu beschaffen.

    Eines von ihnen, Charles Rivers, arbeitete im Jahr 2022 mit rund 16.000 Primaten verschiedener Spezies und gab an, dass die meisten dieser Tiere aus Kambodscha stammten. Gegen das Unternehmen wird derzeit ermittelt. Inzwischen hat Charles Rivers die Lieferungen aus Kambodscha freiwillig gestoppt, bis sichergestellt ist, dass es sich dabei um Zuchttiere handelt.

    Adler gehören zu den Tieren, die in den gestellten Rettungsvideos oft als Angreifer dargestellt werden.

    Ein anderes Auftragsforschungsinstitut, Inotiv, teilte im vergangenen Jahr mit, dass gegen Mitarbeiter seines Hauptlieferanten für Primaten aus Kambodscha Anklage erhoben wurde, weil sie versucht hätten, nicht-menschliche Primaten illegal in die USA einzuführen.

    Handel mit Versuchstieren: Ein lukratives Geschäft

    Das Geschäft mit Javaneraffen ist lukrativ: Die Lieferungen von lebenden Tieren hatten zwischen den Jahren 2010 und 2019 einen Gesamtwert von über einer Milliarde US-Dollar.

    Novi Nordisk, der Hersteller von Ozempic und Wegovy teilte National Geographic mit, die Beschaffung von Affen zu Forschungszwecken erfolge über ein externes Auftragsforschungsinstitut, die Affen kämen jedoch nicht aus Kambodscha.

    „Novo Nordisk achtet seit Jahren streng darauf, dass alle nicht-menschlichen Primaten, die bei der Forschung eingesetzt werden, aus geprüften und zugelassenen Einrichtungen aus den beiden Bezugsländern Vietnam und Mauritius stammen“, heißt es in Novo Nordisks Statement. Dazu, mit welchem Auftragsforschungsinstitut kooperiert wird, wollte das Unternehmen keine Angaben machen.

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht

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