Mysteriöse Walstürze: Warum gibt es so viele Walskelette vor Los Angeles’ Küste?
Mehr als 60 Walkadaver haben Forschende auf dem Meeresgrund vor Südkalifornien bei Untersuchungen entdeckt. Das sind mehr als seit 1977 auf der ganzen Welt zusammen gefunden wurden.
Ein Walsturz, der bis auf sein Skelett zersetzt wurde. Viele dieser Kadaver befinden sich vor Kaliforniens Küste.
Als die Ozeanograph*innen Sophia Merrifield und Eric Terrill 2023 mit ihrem Team den Meeresboden vor der südkalifornischen Küste inspizierten, hatten sie nicht mit dieser Entdeckung gerechnet. Eigentlich wollten die Forschenden von der University of California in San Diego, USA, die Einflüsse der Industrie auf den Ozean untersuchen, als sie zwischen Tonnen ausrangierter militärischer Munition und Industrieabfällen auf mehrere Walkadaver stießen.
Laut ihrer Sonardaten könnten mehr als 60 dieser sogenannten Walstürze auf dem Meeresboden vor Kalifornien liegen. So nennt man es, wenn Walkadaver zum Grund sinken und dort langsam zersetzt oder von Sediment überlagert werden. Insgesamt würden damit vor Kaliforniens Küste mehr Walkadaver existieren, als seit 47 Jahren auf der ganzen Welt zusammen gefunden wurden. Wieso gibt es gerade dort so viele?
Todesursache Industrieabfälle?
„Die Anzahl der Walstürze scheint an der Küste vor Kalifornien im Vergleich zu früheren Modellen recht hoch zu sein“, sagt der Meeresbiologe Greg Rouse, der ebenfalls an der Meeresbodenuntersuchung beteiligt war. Laut seiner Analyse gehören die per Unterwasserkamera gefundenen Überreste zu Grau-, Blau-, Buckel-, Finn-, Pott- und Zwergwalen.
Einer der Walstürze vor der Küste Kaliforniens, der von der Unterwasserkamera der Forschenden eingefangen wurde.
Sterben vor Kaliforniens Küste also vielleicht einfach mehr Wale als anderswo? Schließlich war das untersuchte Gebiet Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein beliebter Ablageort für Industrieabfälle. Ein großer Teil der bei der Untersuchung gefundenen Objekte stellte sich als Fässer heraus, die das verbotene Pestizid DDT und seine giftigen Nebenprodukte enthielten. Die Wale könnten also durch die tödlichen Substanzen umgekommen sein.
Daran glauben die Forschenden jedoch nicht. Stattdessen bringen sie die Schifffahrt als mögliche Todesursache ins Spiel: Die beiden verkehrsreichsten Häfen der Vereinigten Staaten, Los Angeles und Long Beach, liegen nordöstlich des Untersuchungsgebiets, die Schifffahrtsrouten erstrecken sich über die gesamte Region. Dadurch könnte es häufiger zu Zusammenstößen zwischen Walen und Schiffen kommen als anderswo – und in der Folge auch zu mehr toten Tieren.
Walkadaver könnten viel länger auf dem Meeresboden liegen als üblich
Die überdurchschnittlich hohe Zahl an Kadavern auf dem Meeresgrund kommt aber nicht nur durch mehr Todesfälle zustande, sondern möglicherweise auch durch eine verlangsamte Zersetzung der Kadaver. „Die Skelette befanden sich hauptsächlich in sehr sauerstoffarmen Zonen“, sagt Rouse. Normalerweise dauert die Zersetzung von Walkadavern etwa 12 Jahre. Dabei helfen unter anderem verschiedene Arten von Krebsen, Aalen und Quallen. Sogar die Knochen der Wale werden durch knochenfressende Würmer verwertet.
Letztere kommen den Untersuchungen der Forschenden zufolge aber vor der südkalifornischen Küste kaum bis gar nicht vor – schuld daran ist der Sauerstoffmangel im Wasser. Das würde die vielen intakten Skelette erklären.
Auch die Verschüttung durch Sedimente, die normalerweise passiert, ist in diesem Fall vermutlich langsamer verlaufen. In der Nähe fließen keine Flüsse in den Ozean – dadurch wird weniger Sediment eingetragen, das versunkene Objekte bedecken könnte, so der Meeresbiologe. „Das alles würde bedeuten, dass sich die Walstürze dort über viele Jahrzehnte angesammelt haben könnten“, sagt Rouse.
Tierische Kriminalarbeit
In einer nachfolgenden Expedition wollen die Forschenden noch einmal mit einem ferngesteuerten Fahrzeug zurückkehren, um mehr Bildmaterial von den Walstürzen zu sammeln und Knochenproben von den Skeletten zu entnehmen. So will das Team nicht nur die Arten der verendeten Wale genauer bestimmen, sondern auch ihre Todesursachen final rekonstruieren.