Braunkehlchen statt Grenzsoldaten: Seit der Wiedervereinigung blüht im ehemaligen Todesstreifen das Leben

Wo Deutschland einst in Ost und West geteilt wurde, leben heute über 600 bedrohte Tierarten.

Von Deborah Roth
Veröffentlicht am 3. Okt. 2019, 08:32 MESZ
Das Grüne Band hat eine Gesamtlänge von über 12.500 km und reicht dabei vom Eismeer im ...
Das Grüne Band hat eine Gesamtlänge von über 12.500 km und reicht dabei vom Eismeer im Norden Norwegens bis zum Schwarzen Meer an der Grenze zur Türkei. Dieses Luftbild zeigt das Grüne Band an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze bei Mitwitz zwischen Bayern und Thüringen.
Foto von Otmar Fugmann, BUND Grünes Band

Rund 30 Jahre ist es her, dass sich eine 1400 Kilometer lange Grenze durch Deutschland zog: Ein hochgesicherter Streifen mit automatischen Schussanlagen, Stacheldraht, Minenfeldern und Kolonnenwegen, die Tag und Nacht von Grenzsoldaten bewacht wurden. Vier Jahrzehnte lang teilte sie Deutschland in die BRD und DDR.

Statt Grenzsoldaten streifen heute Wildkatzen durch das Gebiet. Der ehemalige Todesstreifen ist zum größten Teil Naturschutzgebiet geworden - ein „grüner Streifen des Friedens“. Dort, wo Wachtürme und Stacheldraht das Land teilten, schlängelt sich heute der längste Biotop-Verbund des Landes. In den letzten 70 Jahren haben hier über 1200 bedrohte Tier- und Pflanzenarten eine Heimat gefunden, darunter viele Exemplare, die in Deutschland auf der Roten Liste sogar als „stark gefährdet“ eingestuft werden. Erst, weil aufgrund der Grenze kaum in die Natur eingegriffen wurde. Dann, weil das Grüne Band von Naturschützern weiter getragen und gepflegt wurde.

Das Grüne Band schlängelt sich von der Ostsee bis zum Bayerischen Wald und wurde 1989 ins Leben gerufen, feiert also in diesem Jahr gemeinsam mit dem Mauerfall 30. Jubiläum. Die insgesamt 150 aneinandergrenzenden Naturschutzgebiete bieten norddeutsches Flachland bis hin zu Mittelgebirgen. Es gibt Moore, Sümpfe, Heide, Brachflächen und Orchideenwiesen. Es beheimatet seltene Pflanzen wie Frauenschuh oder Arnika. In sogenannten Pionierwäldern wachsen Bäume und Sträucher natürlich - nicht, weil sie aufgeforstet wurden.

Wenn die Natur verbindet, was der Todesstreifen trennte: Das Grüne Band vereint Naturschutz und Erinnerungskultur auf 1.400 Kilometern.

Mit freundlicher Genehmigung von Klaus Leidorf, BUND Grünes Band

Tierisch gut: Die Entwicklung nach der Wende

Nach dem Fall der Mauer und dem Abzug der Truppen an den Grenzgebieten zählten Biologen und Botaniker des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) im Bereich der Landesgrenzen zwischen Bayern, Thüringen und Sachsen insgesamt 131 Brutvogelarten - fast die Hälfte davon stand auf der Roten Liste gefährdeter Arten Deutschland. Von den 40 Libellenarten fanden sich 26 auf der RL, von den 600 Pflanzenarten 120.

Dieter Leupold ist stellvertretender Landesvorsitzender beim BUND in Sachsen-Anhalt und leitet das Projekt Grünes Band. „Was für die Menschen grausam war, war für die Natur ein ideales Biotop-Management“, sagt er. „Zwischen dem Sprengmetallzaun und der Landesgrenze wurde immer wieder gemäht, um freies Sicht- und Schutzfeld zu haben. Es wurden weder Dünger noch Pestizide eingesetzt, daher wimmelte es vor Insekten.“ Ein sprichwörtlich gefundenes Fressen für Vögel, die den Grenzzaun mit seinen Grenzsäulen als Sitzwarten nutzen konnte.

BELIEBT

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    Aus den Subtropen Afrikas, seinem Winterquartier, kehrt das Braunkehlchen in sein Brutgebiet am Grünen Band zurück.
    Foto von Shutterstock

    Braunkehlchen und Fischotter

    Das Braunkehlchen ist der Charaktervogel des Grünen Bandes. Die Vogelart ist Bodenbrüter, aufgrund der starken landwirtschaftlichen Nutzung der Natur gibt es für sie kaum noch Raum für Fortpflanzung. Während die Bestände im Rest Deutschlands dramatisch zurückgehen, wachsen sie im Grünen Band. Schon zu DDR-Zeiten kam das Braunkehlchen im Grenzgebiet in hoher Dichte vor. Dass die Population auch heute noch wächst, liegt laut Leupold auch an Absprachen mit den Landwirten der Region: Sie setzen die Grünlandnutzung bis Mitte Juli aus und geben den Küken damit die nötige Zeit, flügge zu werden. „Zudem versuchen wir seit den Neunzigern kontinuierlich alle angrenzenden Ackerflächen aufzukaufen, um die Tiere vor der intensiven Landwirtschaft und dem Einsatz von Düngern und Pestiziden zu schützen", sagt Leupold. Investieren in die Natur kann hier jeder, dem sie am Herzen liegt: für 65 Euro beteiligt man sich am Aufkauf der Fläche und bekommt einen symbolischen Anteilschein.

    In vielen Teilen Deutschlands gilt der Fischotter nach wie vor als ausgestorben. Am Grünen Band findet er einen sicheren Hafen.
    Foto von Shutterstock

    Ein weiterer Nutznießer der besonderen Gegebenheiten im Grünen Band ist der Fischotter. Ihn gab es vor der Wende nur noch vereinzelt östlich der Elbe. Nach der Wiedervereinigung breitete sich die Art wieder deutlich nach Westen aus. „Das war allein durch die Ausbreitungskorridore im Biotopverbund möglich“, erklärt Leupold. Der wanderfreudige Fischotter konnte so bis in die Altmark wandern, wo er sicher von einer Fläche zur Nächsten kam – fernab von lebensbedrohlichen Landstraßen und Autobahnen. „Für den Fischotter ist es wichtig, sichere Querungswege vorzufinden“, sagt Leupold. „Wenn er keinen trockenen Landgang findet, schwimmt er nicht etwa unter den Flusswegen einer Straße durch, sondern verlässt das Gewässer und rennt über die Straße“, so der Biologe.

    Tagsüber tarnt sich der nachtaktive Vogel regungslos auf einem Ast oder auf dem Waldboden. Dem Ziegenmelker wurde im Volksmund nachgesagt, er würde nachts Ställe aufsuchen, um an den Eutern von Ziegen oder Kühen zu saugen - so kam die Nachtschwalbe zu ihrer Bezeichnung.
    Foto von Shutterstock

    Der Ziegenmelker, Zugvogel und Insektenfresser, ist aus vielen Regionen in Zentraleuropa komplett verschwunden. In Deutschland wird der Bestand auf 2000 bis 5000 Paare geschätzt, einige von ihnen leben im Grünen Band. Der Vogel braucht Sand, Dünen und Heide, der geeignete Lebensraum musste durch den Verbund erst wiederhergestellt werden, indem Fichten und Jungbüsche abgeholzt wurden. Denn ganz sich überlassen wird die Natur dort nicht: Biologen und Botaniker sowie die ehrenamtlichen Mitarbeiter des BUND machen geeignete Lebensräume für bedrohte Tierarten zugänglich und erhalten sie.

    Die Wildkatze und ihre Jungen finden ungestörten Lebensraum am Grünen Band.
    Foto von Thomas Stephan, BUND Grünes Band

    Auch für die Wildkatze: Nach Angaben des BUND gibt es noch 5000 bis 7000 Tiere in Deutschland. Für den Erhalt der Art hat der BUND im Grünen Band ebenfalls aktiv eingegriffen. Junge Wälder mit artenarmen Fichten und Kiefern wurden gerodet, um den Artenbestand durch Magerweiden und Heiden sicherzustellen. Wildkatzen meiden offene Acker- und Grünflächen und brauchen Korridore, wo sie Versteckmöglichkeiten in Büschen und Baumgruppen findet. „Mit sogenannten ‚halb-offenen Strukturen’ funktioniert ein Biotopverbund am Besten. Wir setzen auf eine Mischung aus Gehölzen, Baumgruppen, Grünland und brachliegenden Streifen“, so Leupold.

    “Viele denken, dass die Prognosen erst in 20 bis 30 Jahren eintreffen werden. Die Zeit haben wir aber nicht mehr.”

    von Dieter Leupold, Leiter Projekt Grünes Band Sachsen-Anhalt

    Stressfaktor Umwelt – Bedrohung durch den Klimawandel

    Das Grüne Band spielt gleich drei grundlegende Rollen in der deutschen Landschaft. Es ist ein kulturelles Mahnmal, das für zukünftige Generationen erlebbar und greifbar bleiben soll, etwa durch Erlebniswanderungen oder ehrenamtliches Engagement in den entsprechenden Regionen. Es ist außerdem das längste Biotopverbund Deutschlands und eine tragende Säule für Natur-, Pflanzen- und Tierschutz. Das Bestreben des BUND: 30 Jahre nach der Öffnung der innerdeutsche Grenze soll das Grüne Band Deutschland als Nationales Naturmonument komplett unter Schutz gestellt sowie seine Ausweisung als UNESCO-Welterbe vorangetrieben werden.

    Die großen Herausforderungen für den Erhalt der biologischen Vielfalt sieht Leupold in einer Agrarwende und dem Einstellen von CO2-Emissionen: Seit den vergangenen zwei Sommern herrscht immer mehr Dürre in den Biotopen. Dem Deutschen Dürreatlas zufolge, ist die Altmark eine der am stärksten gebeutelten Regionen: „Der Wald leidet sehr unter der extremen Trockenheit - und je mehr Pflanzen sterben, desto schwieriger wird es auch für die Tiere“, so Leupold. Nicht nur die Fichten sterben großflächig ab, besonders erschreckend ist es bei der Rotbuche, die momentan massiv zurückgeht. „Wenn die Emissionen nicht bald runtergefahren werden, ist es zu spät für Natur und Tiere und wir können hier nur noch dem Verfall zusehen“, sagt er. „Viele denken, dass die Prognosen erst in 20 bis 30 Jahren eintreffen werden. Die Zeit haben wir aber nicht mehr.“ Das Grüne Band steht für Leben und das Zusammenwachsen - es steht für die deutsche Wiedervereinigung und wird hoffentlich noch viele Jubiläen feiern.

    Deutschland

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