Pelzige Gärtner: Hummeln beißen Pflanzen, damit sie eher blühen

Wie genau der Mechanismus funktioniert, ist noch unbekannt. Doch falls er imitiert werden kann, könnte das ein Gewinn für die Landwirtschaft sein.

Von Virginia Morell
Veröffentlicht am 25. Mai 2020, 13:37 MESZ
Eine Dunkle Erdhummel auf Nahrungssuche in England. Viele Hummelarten verzeichnen aufgrund des Klimawandels einen rückläufigen Bestand.

Eine Dunkle Erdhummel auf Nahrungssuche in England. Viele Hummelarten verzeichnen aufgrund des Klimawandels einen rückläufigen Bestand.

Foto von Stephen Dalton, Minden Pictures

Hummeln schwirren nicht einfach nur planlos im Garten oderi n der Natur umher. Sie sehen sich die Pflanzen genau an, stellen fest, welche Blumen den meisten Nektar und Pollen enthalten, und hinterlassen eine Duftmarke, an der sie erkennen, welche Blüten sie bereits besucht haben.

Aber nicht nur das: Die Hummeln lösen bei Pflanzen eine vorzeitige Blüte aus, indem sie in ihre Blätter beißen und dort winzige Einschnitte hinterlassen. Wissenschaftler sind von der Entdeckung ebenso überrascht wie begeistert.

„Meine erste Reaktion war: Wow!“, sagt Neal Williams, ein Bienenbiologe an der University of California, Davis. „Dann habe ich mich gefragt: Wie konnten wir das übersehen? Wie kann es sein, dass das noch niemandem aufgefallen ist?“

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Die Ökologieprofessorin Consuelo De Moraes von der ETH Zürich hatte dieselbe Reaktion, als ihre Studentin Foteini Pashalidou beobachtete, wie Dunkle Erdhummeln in die Pflanzen ihres Gewächshauses bissen. Die Insekten schienen die abgetrennten Blätterteile aber nicht zu fressen oder zu ihrem Nest zurückzutragen.

Sie vermuteten schon, dass die großen Bienen die Pflanzen zum Blühen anregten, also bereitete das Team eine Reihe von Experimenten vor. Die Ergebnisse waren eindeutig: Wenn Pollenquellen Mangelware sind – beispielsweise in einem Gewächshaus oder zu Frühlingsbeginn – können Hummeln die Blumen dazu bringen, bis zu vier Wochen eher zu blühen.

Diese Erkenntnisse sind gleich aus zwei Gründen vielversprechend. Zum einen zeigen sie, dass Hummeln Blumen manipulieren können – eine besonders nützliche Fähigkeit in Zeiten des Klimawandels. Aufgrund der steigenden Temperaturen werden viele Bestäuber immer zeitiger aktiv, ehe die meisten Pflanzen blühen. Die Insekten sind zu Frühlingsbeginn fast vollständig auf Pollen angewiesen, um sich selbst und ihre Larven zu ernähren.

Darüber hinaus verbirgt sich darin womöglich ein potenzieller Gewinn für die menschliche Nahrungsversorgung: Wenn Landwirte ihre Nutzpflanzen dazu bringen könnten, eher zu blühen, könnte damit in manchen Fällen die Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden.

Der grüne Daumen der Hummel

Für ihre Studie platzierten De Moraes, die Hauptautorin Pashalidou und ihre Kollegen blütenlose Tomatenpflanzen und Schwarzen Senf zusammen mit Erdhummelkolonien in Käfigen, die mit feinmaschigem Netz umspannt waren. Nachdem die Hummeln fünf bis zehn Löcher in die Blätter geschnitten hatten, entnahmen die Forscher die Pflanzen wieder.

Durch die Einschnitte blühte der Schwarze Senf zwei Wochen eher als sonst und die Tomaten sogar einen ganzen Monat früher, schrieben die Autoren in ihrer Studie, die in „Science“ erschien.

Die Wissenschaftler verglichen außerdem das Verhalten von Hummelkolonien, die mit Pollen gefüttert wurden, und Kolonien, die keinen Zugang zu Pollen hatten. Beide wurden jeweils mit noch nicht blühenden Pflanzen in Netzkäfigen gehalten. Die Hummeln aus den mit Pollen gefütterten Kolonien beschädigten die Pflanzen nur selten, während die Hummeln aus den pollenlosen Kolonien fleißig Löcher hineinbissen.

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    Um sicherzustellen, dass die Ergebnisse nicht durch die künstlichen Laborbedingungen verfälscht wurden, platzierten die Wissenschaftler Ende März 2018 ein paar Hummelkolonien und eine Reihe noch nicht blühender Pflanzen auf dem Dach ihrer Hochschule in Zürich.

    Die in Europa heimischen Dunklen Erdhummeln durften auf der Nahrungssuche nach Lust und Laune umherfliegen. Trotzdem machten sie sich daran, die Blätter aller noch nicht blühenden Pflanzen in unmittelbarer Nähe ihres Baus zu beschädigen. Erst gegen Ende April, als mehr lokale Blumen zu blühen begannen, hörten sie damit langsam wieder auf. Das untermauerte laut den Wissenschaftlern die Vermutung, dass diese Verhaltensweise von der Pollenverfügbarkeit gesteuert wird.

    Sie setzten ihr Experiment auf dem Dach noch bis in den Juli hinein fort. Dabei entdeckten sie, dass auch wilde Exemplare von zwei anderen Arten (Steinhummeln und Hellgelbe Erdhummeln) den Weg zu ihrem Blumenbeet fanden und dort in die Blätter der noch nicht blühenden Pflanzen bissen.

    Noch weiß den Autoren zufolge niemand, wie verbreitet dieses Verhalten unter anderem Hummelarten ist, von denen es weltweit mehr als 250 gibt.

    Von Bienen und Blumen

    Blumen gibt es schon seit etwa 130 Millionen Jahren. Die Pflanzen liefern den Insekten Nahrung, die im Gegenzug die Blüten bestäuben.

    Aber keiner von beiden hat einen Vorteil davon, wenn ihr Rhythmus nicht aufeinander abgestimmt ist. Deshalb haben sie Möglichkeiten entwickelt, um miteinander zu kommunizieren.

    „Genau das zeigt diese Studie“, sagt Lars Chittka. Der Verhaltensökologe der Queen Mary University of London schrieb ein begleitendes Essay zu der Studie. „Auf gewisse Weise signalisiert die Hummel: Hey, ich brauche Nahrung. Beeil dich mal mit dem Blühen und dann bestäube ich dich.“

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    „Das ist eine sehr raffinierte Art der Kommunikation“, findet Santiago Ramirez, ein Ökologe der University of California in Davis, der an der Studie nicht beteiligt war. „Scheint so, als hätten sie den Code geknackt, der Pflanzen zum Blühen bringt.“

    Allerdings sind noch viele Fragen offen. Wie genau lösen diese Einschnitte die Pflanzenblüte aus?

    Chittka fragt sich außerdem: „Führt diese frühe Blüte zu einer höheren Fitness der Pflanzen – haben sie also mehr Nachkommen?“

    Landwirtschaftliche Nutzung denkbar

    Als die Studienautoren mithilfe von Metallpinzetten und Rasierklingen die Einschnitte der Hummeln imitierten, blühten sie ebenfalls früher als sonst – aber nicht so früh, wie sie es infolge der Hummelbisse tun.

    „Sie machen irgendwas, das wir noch nicht wirklich entdeckt haben“, sagte der Co-Autor Mark Mescher, ein Ökologieprofessor an der ETA Zürich. „Sie könnten irgendeinen biochemischen oder olfaktorischen Reiz auslösen“, mutmaßt er. „Wir hoffen, dass wir das noch rausfinden.“

    Daraus könnte sich auch eine ganz neue Möglichkeit ergeben, um Pflanzen zu kultivieren – und ein potenziell riesiger Vorteil für die Landwirtschaft.  

    Für Bienenforscher ist eine der größten Überraschungen an der Studie, dass sie mit einfacher, altmodischer Beobachtung begann.

    „Schon Charles Darwin hat Hummeln in der Natur beobachtet“, sagt Williams. „Jeder, der sich für Hummeln interessiert, hat Stunden damit zugebracht, sie auf Blumen zu beobachten. Aber eben vermutlich nicht auf Pflanzen, die noch nicht blühen.“

    Pashalidou hat genau das getan – und damit ein bis dato völlig unbekanntes Phänomen entdeckt.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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