Luftverschmutzung kann das Gehirn schädigen

Forschungen zufolge wirkt sich schlechte Luft langfristig auf unsere kognitiven Fähigkeiten aus.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 31. Aug. 2018, 17:58 MESZ
Rauch steigt aus einem großen Stahlwerk in China auf. Die WHO schätzt, dass neun von zehn ...
Rauch steigt aus einem großen Stahlwerk in China auf. Die WHO schätzt, dass neun von zehn Menschen weltweit schlechte Luft einatmen.
Foto von Kevin Frayer, Getty Images

Schmutzige Luft schädigt unsere Lungen – neue Forschungen haben aber gezeigt, dass sie auch unsere Art zu denken verändern könnte.

Eine Studie, die im September 2018 in „Proceedings for the National Academy of Sciences“ erschien, deutet darauf hin, dass eine Langzeitbelastung durch Feinstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid bei den Studienteilnehmern zu einer Verminderung der kognitiven Leistungen führte. Insbesondere Männer und Personen mit niedrigem Bildungsstand waren von den Auswirkungen betroffen und hatten mit zunehmendem Alter schlechtere Ergebnisse bei Sprach- und Mathematiktests.

Wissenschaftler und Gesundheitsbehörden versuchen nach wie vor herauszufinden, wie genau sich Schadstoffe aus der Luft auf das Gehirn auswirken.

„Wir vermuten, dass die Luftverschmutzung die weiße Substanz im Gehirn stark schädigt, die mit der Sprachkompetenz assoziiert wird“, erklärt Xin Zhang. Der Forscher der Pädagogischen Universität Peking ist der Autor der aktuellen Studie.

Bei vorherigen Studien hatte man herausgefunden, dass weibliche Gehirne im Schnitt über mehr weiße Substanz verfügen. Das würde bedeuten, dass Männer einem größeren Risiko des kognitiven Verfalls ausgesetzt wären, da sie weniger weiße Substanz haben.

„Es ist noch mehr Forschung nötig, um diesen Mechanismus zu verstehen“, sagt Zhang.

Die chinesische Studie hat zwar einen wichtigen Zusammenhang aufgezeigt, allerdings müssten die Ergebnisse repliziert werden, damit man messen kann, in welchem Umfang sich die Luftverschmutzung auf das Gehirn auswirkt, findet Jonathan Samet, der Dekan der Colorado School of Public Health. In den letzten Jahren wurde vermehrt im Bereich Luftverschmutzung und Hirngesundheit geforscht, wie er sagt. Mittlerweile versteht man besser, wie kleine Teilchen in die Lunge eindringen und sich an den Lungenwänden festsetzen.

„Die Lunge ist das Eingangstor“, so Samet. „Die Lungenoberfläche hat die Größe eines Tennisplatzes. Das ist also eine ziemlich große Oberfläche, die getroffen werden kann. Wir atmen tagtäglich 10.000 Liter [Luft] ein.“

Ebenso wie Zhang ist auch Samet der Ansicht, dass weitere Forschung nötig ist, um die genauen Mechanismen hinter dem Eindringen der Schmutzpartikel in das Gehirn zu verstehen.

„Sie könnten über den Riechnerv von der Nase aus ins Gehirn oder ins Blut gelangen“, so Samet. Er vermutet, dass die Schäden auch durch eine Entzündung entstehen könnten.

Andere Studien haben zudem einen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Herzproblemen oder Diabetes festgestellt.

„Es ist überraschend, wie viele Organe davon betroffen sind“, fügt Samet hinzu.

Der Toxikologe Dan Costa von der University of North Carolina begründet das damit, dass die einzelnen Bereiche im Körper stark vernetzt sind. Es wurde bereits nachgewiesen, dass sich Luftverschmutzung in geringem Maße nicht nur auf die Lungen, sondern auch auf Herz, Gehirn und Fortpflanzungssystem auswirkt.

„Wenn etwas potenziell Giftiges [in den Körper] eindringt, zeigen sich die Folgen überall“, sagt er. Er vermutet, dass die Schadstoffe das Gehirn über den Blutkreislauf erreichen.

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    Das Blut, welches die Lungen verlässt, wird durch das Herz gepumpt und von dort aus im Rest des Körpers verteilt. Costa vermutet, dass dadurch das Immunsystem aktiviert wird und eine Entzündung entsteht. Im Laufe der Zeit könnten zu viele Schadstoffe eine zu große Entzündungsreaktion bedingen, wodurch das Gehirn schneller altern könnte.

    Allerdings sei es nach wie vor schwierig, das Gehirn zu untersuchen, wie Costa sagt. Hinzu kommen die zahlreichen Variablen, die sich auf die Hirnchemie auswirken können.

    „Das Gehirn verfügt über so ein komplexes Netzwerk aus Prozessen“, so Costa. „Es hat einen höheren Funktionalitätsgrad als alle anderen Organe.“

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    Heutzutage leben die Menschen länger als noch vor 70 Jahren, als die Luft noch schwer von schwarzem Ruß aus den Industrieschornsteinen und häuslichen Kohleöfen war. Costa zufolge könnte das zumindest in Teilen ein Grund dafür sein, dass die Ärzte erst jetzt erkennen, auf welch vielfältige Weise sich Luftverschmutzung im Körper auswirkt.

    „Wir konnten die ganzen Feinheiten nicht erkennen, die sich jetzt erst zeigen“, sagt er.

    Laut Costa sei Feinstaub der gefährlichste Luftschadstoff für unsere Gesundheit. Er kann aus zahlreichen Quellen stammen, von Waldbränden bis hin zur Verbrennung fossiler Brennstoffe. Es gestaltet sich jedoch oft schwierig, die Auswirkungen eines bestimmten Schadstoffs festzustellen, da Regionen mit schlechter Luftqualität oft durch mehrere Schadstoffe belastet sind.

    Ein Bericht der WHO aus dem 2010 zeigte, dass weltweit neun von zehn Menschen schlechte Luft einatmen.

    „Wir kommen langsam an den Punkt, an dem viele einfache Maßnahmen bereits umgesetzt wurden“, sagt Samet. Kohlekraftwerke und Dieselgeneratoren sind nach wie vor zwei der bedeutendsten Quellen für Luftverschmutzung.

    Samet schätzt, dass die Bekämpfung anderer Formen der Luftverschmutzung ein Umdenken im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs und der Stadtplanung voraussetzt.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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