Erste CRISPR-Babys könnten verminderte Lebenserwartung haben

2018 schockierte ein chinesischer Forscher die Welt mit seinem Eingriff in das Genom von zwei Babys. Die erzeugte Mutation könnte am Ende mehr schaden als nützen.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 5. Juni 2019, 10:50 MESZ
Wissenschaftler untersuchen eine fünf Tage als Blastozyste auf das Gen für Mukoviszidose. Mit einer Reihe von ...
Wissenschaftler untersuchen eine fünf Tage als Blastozyste auf das Gen für Mukoviszidose. Mit einer Reihe von Techniken, darunter auch Genomeditierung, versuchen sie, die genetischen Ursachen für die Krankheit zu behandeln. Wie aktuelle Forschungen zeigen, können solche vererbbaren Veränderungen am menschlichen Genom mit unerwarteten Risiken einhergehen.
Foto von David Liittshwager, Nat Geo Image Collection

Im November 2018 schockierte der chinesischer Forscher Jiankui He die Welt, als er die Geburt von zwei Babys verkündete, deren DNA er manipuliert hatte. Zum ersten Mal wurden damit Menschen geboren, deren Genom nachhaltig verändert wurde. Der Eingriff erfolgte mit der sogenannten CRISPR/Cas-Methode. He hatte erzählt, er hätte die Änderungen vorgenommen, um das Risiko der Babys zu senken, später an HIV zu erkranken. Dennoch entbrannten sofort nach Bekanntwerden ethische und medizinische Kontroversen über seine Arbeit und die genetische Veränderung von Menschen.

Nun hat eine Studie gezeigt, dass der Eingriff sich negativ auf die Lebenserwartung der Babys ausgewirkt haben könnte.

Forscher berichteten im Fachmagazin „Nature Medicine“, wie sie eine britische Datenbank durchkämmt und herausgefunden haben, dass Menschen mit einem angeborenen Merkmal, das dem künstlich erzeugten Merkmal der Babys ähnelt, ein 21 Prozent höheres Risiko haben, vor dem 76. Lebensjahr zu sterben.

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„Die Leute glauben gemeinhin vielleicht, dass eine Mutation auch nur einen Effekt hat. Tatsächlich kann eine einzelne Mutation aber viele unterschiedliche Folgen haben“, erzählt der Co-Autor der Studie Rasmus Nielsen, ein Biologe der University of California, Berkeley.

„Wenn wir darüber nachdenken, Menschen genetisch zu verändern, ist eines der vielen Dinge, die wir dabei berücksichtigen sollten, dass sich die Folgen mitunter nur schwer abschätzen lassen – dass eine Mutation, die in einem Kontext vorteilhaft sein kann, in anderen Kontexten schaden kann“, sagt er.

In seiner öffentlichen Ankündigung sagte He 2018, dass es sein Ziel gewesen sei, eine HIV-Resistenz zu erzeugen. Dafür brachte er eine Mutation in das Gen CCR5 ein, welches einen Rezeptor an der Außenseite von Immunzellen codiert. Damit hat das Gen einen großen Einfluss darauf, wie sich das Immunsystem verhält. Eine der am besten erforschten Varianten dieses Gens ist die ∆32-Variante, die kürzer als normal und im Grunde defekt ist. Dieser Defekt liefert einen Schutz vor dem HIV-Virus, der Immunzellen infiziert, indem er an das Rezeptorprotein andockt, welches von CCR5 codiert wird.

Allerdings wurden in der HIV-Behandlung mittlerweile so große Fortschritte gemacht, dass viele Experten 2018 fanden, der Eingriff sei medizinisch nicht notwendig. Darüber hinaus haben andere Krankheitserreger durch ein defektes CCR5-Gen einen Vorteil, was wiederum neue Risiken mit sich bringt. Schon 2015 zeigte beispielsweise eine Studie, dass Menschen mit ein oder zwei Kopien von CCR5-∆32 ein fast vierfach erhöhtes Risiko haben, an einer Grippe zu sterben.

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    Die Mutationen, die He erzeugt hat, sind zwar nicht völlig identisch mit ∆32, aber es scheint, als wären auch die CCR5-Gene der beiden Babys auf ähnliche Weise defekt. Um mehr darüber zu erfahren, was das für die Mädchen bedeuten könnte, durchsuchten Nielsen und der Forscher Xinzhu Wei von der University of California in Berkeley fast 410.000 Genome aus der UK Biobank, einem DNA-Archiv. Dabei wollten sie vor allem in Erfahrung bringen, was mit den Menschen geschah, die von Geburt an zwei Kopien von CCR5-∆32 hatten.

    Um einer möglichen Stichprobenverzerrung Rechnung zu tragen, verglichen Wei und Nielsen die Daten mit denen von 1.000 zufällig generierten Proben. Die beiden Forscher fanden heraus, dass für Menschen mit zwei Kopien von CCR5-∆32 ein 3 bis 46 Prozent höheres Risiko bestand, vor dem Alter von 76 Jahren zu sterben, wobei das mittlere Risiko bei 21 Prozent lag.

    Wei und Nielsen geben aber zu bedenken, dass ihre Ergebnisse nicht überinterpretiert werden sollten, weil heutige DNA-Datenbanken unter anderem eine geografische Verzerrung aufweisen. Die Forschungen der beiden bezogen sich ausschließlich auf Genome von Freiwilligen in Großbritannien, nicht auf Chinesen. Eine ähnliche Verzerrung findet sich auch in der Forschungsarbeit, die He heranzog, um seinen Eingriff in die DNA der Babys zu rechtfertigen: Frühere Studien hatten Hinweise darauf gefunden, dass CCR5-∆32 in europäischen – nicht ostasiatischen – Populationen vor HIV schützen kann.

    „Ich möchte ausdrücklich betonen, dass der Effekt der Mutation vom genetischen Hintergrund und den Umgebungsfaktoren abhängt und dass wir nicht genügend Informationen haben, um über ihren Effekt in Ostasiaten zu spekulieren“, schrieb der Hauptautor der Studie, Wei, in einer E-Mail.

    Nachhaltige Wirkung

    Die neuen Erkenntnisse dürften wohl auch die Aufmerksamkeit wieder auf die ethischen Fragestellungen richten, die Hes Forschungen aufwarfen. Schon zuvor hatten sich Forscher aus aller Welt für ein einstweiliges Verbot von erblichen Veränderungen am menschlichen Genom ausgesprochen. In einem Essay, das im Mai in „Nature“ erschien, hatten berühmte chinesische Bioethiker Hes Forschungen verurteilt und eine grundlegende Erneuerung der Forschungsethik in China gefordert. Im Januar wurde er von der Universität für Wissenschaft und Technologie in Shenzhen entlassen, an der er angestellt war.

    Allerdings verweisen Forscher darauf, dass die Debatten um Hes Arbeit das medizinische Potenzial von CRISPR nicht einfach abtun sollten. Die Genschere lässt sich in vielen therapeutischen Anwendungen auch so einsetzen, dass die erzeugten Veränderungen nicht vererbt werden. Um eine genetische Erkrankung zu behandeln, können Wissenschaftler beispielsweise Zellen aus dem Organ eines Menschen entnehmen, deren Gene mit CRISPR reparieren und die modifizierten Zellen dann wieder in das Organ einsetzen, wo sie sich selbstständig vermehren. Auf dieselbe Weise könnten Forscher CCR5-∆32 bei einer HIV-Behandlung nutzen, indem sie die Immunzellen einer infizierten Person so modifizieren, dass sie resistenter gegen den Virus sind.

    “Das ist ein großer Unterschied, so als würde man ein ganzes Betriebssystem auf einem Computer verändern, anstatt nur eine einzige Software zu modifizieren, die zu einem bestimmten Zweck installiert wurde.”

    von XINZHU WEI, UNIVERSITY OF CALIFORNIA, BERKELEY

    He veränderte die Genome der Mädchen allerdings bereits, als sie noch befruchtete Eizellen waren. Das bedeutet, dass die Veränderungen nun in fast jeder Zelle ihres Körpers vorhanden sind, darunter auch in ihren Eizellen. Wenn die beiden später in ihrem Leben selbst einmal Kinder aus ihren eigenen Eizellen haben wollen, werden ihre Nachkommen daher mindestens eine defekte Kopie von CCR5 haben.

    „Das ist ein großer Unterschied, so als würde man ein ganzes Betriebssystem auf einem Computer verändern, anstatt nur eine einzige Software zu modifizieren, die zu einem bestimmten Zweck installiert wurde“, schrieb Wei in einer E-Mail. „Ich denke, die meisten Leute mit einem Computerproblem würden dieses wohl nicht dadurch beheben, dass sie das ganze Betriebssystem neu aufsetzen, wenn es auch anders geht.“

    Außerdem ist CRISPR keine 100 Prozent genaue Methode, sodass nicht auszuschließen ist, dass auch andere Gene der Babys verändert wurden. Im Laufe der Zeit kann das zu unabsehbaren und unbeabsichtigten Konsequenzen führen. Allerdings kann es noch Jahrzehnte dauern, bis die Folgen des Eingriffs sichtbar werden. In „Nature“ sprachen sich die chinesischen Bioethiker dafür aus, dass das Duo ein Leben lang beobachtet und medizinisch versorgt werden sollte.

    Aber schon heute sind die Babys eine Mahnung für die Weltgemeinschaft, wie die Genetikerin und Mitentdeckerin der CRISPR/Cas-Methode Jennifer Doudna von der University of California in Berkeley im April für das „TIME Magazine“ schrieb:

    „Nun, da die Wissenschaftsgemeinde an besseren Sicherheitsvorkehrungen arbeitet, wird Hes verhängnisvolle Entscheidung, den medizinischen Grundsatz ‚keinen Schaden anzurichten‘ zu ignorieren und damit unbeabsichtigte Konsequenzen zu riskieren, wahrscheinlich als eines der erschreckendsten Beispiele für den Missbrauch eines wissenschaftlichen Instruments in unsere Geschichte eingehen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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