Coronavirus-Infektion: Was geschieht im Körper?

Coronaviren mögen Atemwegserkrankungen auslösen – aber bei schweren Fällen sind weit mehr Organe als nur die Lunge betroffen. Ein Überblick.

Von Amy McKeever
Veröffentlicht am 18. Feb. 2020, 10:08 MEZ
Auf diesem Foto vom 3. Februar 2020 betrachtet ein Arzt bei einem Besuch in einer Quarantänezone ...
Auf diesem Foto vom 3. Februar 2020 betrachtet ein Arzt bei einem Besuch in einer Quarantänezone in Wuhan den CT-Scan einer Lunge. Die Stadt war das Epizentrum des Coronavirus-Ausbruchs, der im Dezember 2019 in der chinesischen Provinz Hubei begann.
Foto von STR/AFP via Getty Images

Dass sich der Coronavirus in China weiter ausbreitet, ist an den steigenden Fallzahlen deutlich zu erkennen – auch wenn vieles andere im Dunkeln bleibt. Eines ist jedoch klar: Die Erkrankung kann im menschlichen Körper eine fatale Kettenreaktion auslösen.

So war es bisher auch bei den anderen zoonotischen Coronaviren SARS und MERS, die von Tieren auf Menschen übertragen wurden. Im Gegensatz zu Grippe- und Erkältungsviren können Coronaviren dafür sorgen, dass das Immunsystem verrücktspielt und dabei gleich mehrere Organe im Körper schädigt. Der aktuelle Virus, der von der WHO in der letzten Woche die Bezeichnung COVID-19 erhielt, ist in seiner schweren Verlaufsform keine Ausnahme.

Das erklärt auch, warum die COVID-19-Epidemie bereits mehr als 1.600 Menschenleben gekostet hat. Damit hat die Erkrankung die Gesamtzahl der Todesfälle durch SARS binnen weniger Wochen überholt. Obwohl die Mortalitätsrate für COVID-19 nur etwa ein Zehntel so hoch ist wie für SARS, hat sich der neue Coronavirus deutlich schneller ausgebreitet.

In der letzten Woche stieg die Zahl der bestätigten Fälle um fast 50 Prozent sprunghaft an – der überwiegende Großteil davon in China. Dieser Sprung signalisiert allerdings keine plötzliche Ausbreitung der Infektion, sondern kam durch eine Änderung der Diagnoserichtlinien in China zustande: Seit letzter Woche wird dort nicht mehr gewartet, bis ein Patient positiv auf COVID-19 getestet wird. Es reicht, wenn die Lunge bei einer Untersuchung die typischen Muster der Infektion aufweist. Auf diese Weise können die Behörden Patienten nun hoffentlich effektiver isolieren und schneller behandeln.

Falls sich der Ausbruch ausweitet, ließe sich nur schwer abschätzen, welche Ausmaße er annehmen könnte. Ein führender Epidemiologe der Universität Hongkong warnte in der Vorwoche, dass COVID-19 bis zu 60 Prozent der Weltbevölkerung infizieren könnte, wenn nichts unternommen wird. Am 13. Februar erklärte Chinas nationale Gesundheitskommission, dass mehr als 1.700 Angestellte im Gesundheitsbereich an dem neuen Virus erkrankt seien. Erst am Vortag hatte die WHO auf einem Gipfeltreffen Protokolle für die Pflege Betroffener in Krankenhäusern und die Entwicklung von Therapien (wie Impfstoffen) erarbeitet.

Aber was genau geschieht im Körper, wenn er von dem neuen Coronavirus infiziert wird? Der neue Virenstrang weist genetische Ähnlichkeit zum SARS-Virus auf, das als SARS-CoV-2 bezeichnet wird. Aktuelle Forschungen zu dem neuen Virus und Erkenntnisse aus den SARS- und MERS-Epidemien können auf diese Frage also Antworten geben.

Die Lunge: Ground Zero

Für die meisten Patienten beginnt COVID-19 in der Lunge, da das Virus ebenso wie die Grippe eine Atemwegserkrankung auslöst.

Die Krankheit verbreitet sich für gewöhnlich über eine Tröpfcheninfektion: Wenn eine infizierte Person niest oder hustet, verteilt sie kleine Tröpfchen mit dem Virus in ihrer Umgebung. Kommt eine gesunde Person damit in Kontakt, kann sie sich die Krankheit zuziehen. Der Coronavirus verursacht zunächst grippeähnliche Symptome: Betroffene könnten an Fieber und Husten leiden, der sich schließlich zu einer Lungenentzündung oder Schlimmerem entwickelt.

Nach dem SARS-Ausbruch berichtete die WHO, dass diese Krankheit die Lunge zumeist in drei Phasen angreift: zunächst vermehrt sich das Virus dort, dann ruft es eine starke Immunreaktion hervor und zerstört schließlich das Lungengewebe.

Nicht alle Patienten durchleben alle drei Phasen. Tatsächlich litten nur 25 Prozent der SARS-Patienten an Atemversagen – dem definierenden Merkmal der schweren Verlaufsform. Bisherigen Daten zufolge leiden auch 82 Prozent der COVID-19-Betroffenen nur an milden Symptomen.

Sieht man genauer hin, entdeckt man noch weitere Muster, die beim Verlauf von SARS und COVID-19 identisch sind, sagt Matthew B. Frieman. Der Professor der University of Maryland School of Medicine erforscht Coronaviren.

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    Medizinisches Personal bei einer Umarmung auf der Isolierstation eines Krankenhauses in Touping, Provinz Shandong, China.
    Foto von STR/AFP via Getty Images

    In den ersten Tagen der Infektion dringt das neue Coronavirus schnell in die Zellen der Lunge vor. Von diesen Zellen gibt es zwei Arten: Schleim produzierende Becherzellen und Zellen mit kleinen Flimmerhärchen.

    Der Schleim schützt das Lungengewebe vor Krankheitserregern und sorgt dafür, dass die Lunge nicht austrocknet. Die Flimmerhärchen schlagen in Wellenbewegungen in Richtung Rachenraum und transportieren so Pollen, Viren und andere Fremdstoffe aus der Lunge.

    Frieman erklärt, dass das SARS-Virus die Zellen mit den Flimmerhärchen infiziert und abtötetet. Die abgestorbenen Härchen hängen dann leblos in der Lunge, die sich zunehmend mit Flüssigkeit und Fremdstoffen füllt. Er vermutet, dass sich Ähnliches auch bei einer Infektion mit dem aktuellen Coronavirus abspielt. Frühe Studien zu COVID-19 haben gezeigt, dass viele Patienten Entzündungen in beiden Lungenflügeln entwickeln und unter Begleiterscheinungen wie Kurzatmigkeit leiden.

    An dieser Stelle werden sowohl das Immunsystem als auch die zweite Infektionsphase aktiv. Durch die Präsenz eines Eindringlings reagiert der Körper nun und überschwemmt die Lunge mit Immunzellen, um die Viren zu vernichten und das Lungengewebe zu reparieren.

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    Die Lunge liefert für den Körper den lebenswichtigen Sauerstoffnachschub. Aber wie genau gelangt er von der Lunge in den Körper, was ist ein Emphysem und warum kann man noch weiteratmen, wenn die Lunge verletzt wird?

    Wenn diese Reaktion richtig funktioniert, wird die Infektion auf die befallenen Stellen eingedämmt. Aber manchmal reagiert das Immunsystem über und vernichtet nicht nur die fremden Viren, sondern auch gesundes Gewebe.

    „Dann erleidet man durch die Immunreaktion noch mehr Schaden“, sagt Frieman. Zusätzliche tote Zellmaterie verstopft das Lungengewebe und die Lungenentzündung verschlimmert sich.

    Während der dritten Phase weitet sich der Schaden in der Lunge aus und kann zu Atemversagen führen. Selbst, wenn Patienten überleben, tragen einige von ihnen dauerhafte Schäden an der Lunge davon. Laut der WHO frisst das SARS-Virus Löcher in die Lungenflügel, sodass sie „wie Honigwaben“ aussehen. Derartige Läsionen zeigen sich auch bei Patienten, die von dem neuen Coronavirus befallen sind.

    Wahrscheinlich entstehen diese Löcher durch die Überreaktion des Immunsystems. Daraus bilden sich Narben, die das Lungengewebe schützen, aber auch versteifen.

    Wenn das eintritt, müssen Patienten oft künstlich beatmet werden. Derweil werden die Membranen zwischen den Lungenbläschen und den Blutgefäßen durch die Infektion durchlässiger. So können sich die Lungen mit Flüssigkeit füllen, wodurch sie das Blut nicht mehr so gut mit Sauerstoff versorgen können.

    „In schweren Fällen wird die Lunge quasi überflutet und man kann nicht mehr atmen“, sagt Frieman. „Daran sterben die Leute dann.“

    Der Darm: Ein Tor in den Körper

    Während der SARS- und MERS-Epidemien litt fast ein Viertel der Patienten an Durchfall. Frieman zufolge ist aber noch nicht klar, ob gastrointestinale Symptome auch beim aktuellen Coronavirus-Ausbruch von Bedeutung sind, da Berichte über Magen-Darm-Beschwerden bisher rar sind. Aber warum sollte sich eine Atemwegserkrankung überhaupt auf den Magen-Darm-Trakt auswirken?

    Wenn ein Virus in einen Körper eindringt, begibt es sich auf die Suche nach Zellen mit „Türen“, durch die es die Zellen infiltrieren kann. Diese Türen sind Proteine an der Zellwand, die sogenannten Rezeptoren. Aber nur, wenn ein Virus einen kompatiblen Rezeptor findet, kann es in die Zelle eindringen.

    Manche Viren sind bei ihrer Suche auf einen speziellen Rezeptor beschränkt, während andere flexibler sind. „Sie können leicht in alle möglichen Zellen eindringen“, erklärt Anna Suk-Fong, die stellvertretende Dekanin für klinische Forschung an der University of Michigan Medical School.

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    Sowohl SARS- als auch MERS-Viren können in die Zellen an den Darmwänden eindringen. Diese Infektionen scheinen sich dann im Darm auszubreiten und könnten dort zum Austritt von Flüssigkeit führen oder sonstige Schäden anrichten, die schlussendlich den Durchfall verursachen.

    Frieman zufolge wissen wir noch nicht, ob das neue Coronavirus ebenso verfährt. Forscher vermuten aber, dass COVID-19 dieselben Rezeptoren nutzt wie SARS, und diese finden sich sowohl in der Lunge als auch im Darm.

    Zwei Studien – eine im „New England Journal of Medicine“ und eine im medRxiv, die 1.099 Fälle untersuchte – haben das Virus außerdem in Stuhlproben nachgewiesen. Das könnte bedeuten, dass es sich auch über Fäkalien ausbreiten kann – abschließend geklärt ist das allerdings noch längst ist.

    „Wir wissen überhaupt nicht, ob diese Art der fäkalen Übertragung beim aktuellen Virus aus Wuhan stattfindet“, sagt Frieman. „Es sieht aber definitiv so aus, als wäre der Virus im Stuhl vorhanden. Und es scheint so, als hätten Betroffene entsprechende gastrointestinale Symptome.“

    Ein Sturm im Blutkreislauf

    Aufgrund der hyperaktiven Immunreaktion kann es auch an anderen Stellen im Körper zu Probleme kommen.

    2014 zeigte eine Studie, dass 92 Prozent der MERS-Patienten in mindestens einem Körperbereich außerhalb der Lunge Symptome aufwiesen. Tatsächlich scheinen alle drei Coronaviren mitunter den gesamten Körper zu schädigen: erhöhte Leberenzymwerte, eine verringerte Zahl an weißen Blutkörperchen und Thrombozyten sowie niedriger Blutdruck wurden festgestellt. In seltenen Fällen erlitten Patienten sogar akute Nierenschäden und Herzstillstand.

    Das bedeutet nicht zwingend, dass sich das Virus selbst im gesamten Körper ausbreitet, sagt Angela Rasmussen, eine Virologin und Forscherin an der Columbia University Mailman School of Public Health. Stattdessen könnte es sich um einen sogenannten Zytokinsturm handeln.

    “Im Grunde blutet man aus seinen Blutgefäßen. ”

    ANGELA RASMUSSEN, Virologin

    Zytokine sind Proteine, die unter anderem als Alarmsysteme für das Immunsystem dienen: Sie ordern Abwehrzellen an die entsprechenden Infektionsherde. Die Abwehrzellen töten das infizierte Gewebe ab, um den restlichen Körper zu schützen.

    Im Grunde ist das menschliche Immunsystem darauf ausgelegt, Krankheitserreger zielgenau zu bekämpfen und dabei möglichst wenig Kollateralschaden anzurichten. Aber im Falle einer großflächigen Coronavirus-Infektion sammeln sich in der Lunge immer mehr Zytokine, sodass die Abwehrreaktion völlig aus dem Ruder läuft, erklärt Rasmussen. „Anstatt mit einer Pistole auf ein Ziel zu schießen, wird ein Granatwerfer verwendet“, sagt sie. Da zeigt sich dann auch, wo das Problem liegt: Der Körper greift nicht nur die infizierten Zellen an, sondern auch gesundes Gewebe.

    Die Folgen einer solchen Immunreaktion sind auch außerhalb der Lungen zu spüren. Zytokinstürme erzeugen Entzündungen, die die Blutgefäße schwächen, wodurch Flüssigkeit in die Lungenbläschen eindringt. „Im Grunde blutet man aus seinen Blutgefäßen“, sagt Rasmussen. Der Zytokinsturm weitet sich auf den Blutkreislauf aus und erzeugt dadurch systemische Schäden in mehreren Organen.

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    Von da an kann es schnell bergab gehen. Bei einem schweren Krankheitsverlauf kann diese Zytokinreaktion – in Kombination mit einer verminderten Sauerstoffversorgung im Blut – zu einem Multiorganversagen führen. Noch können Forscher nicht mit Sicherheit sagen, warum einige Patienten auch Symptome außerhalb der Lunge zeigen – womöglich hängt das aber mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herzproblemen zusammen.

    „Selbst, wenn das Virus die Nieren, die Leber, die Milz oder andere Organe nicht erreicht, kann sich das trotzdem negativ auf all diese Prozesse auswirken“, so Frieman. Dann wird es kritisch.

    Die Leber: Kollateralschaden

    Wenn sich ein zoonotischer Coronavirus von den Atemwegen in den Rest des Körpers ausbreitet, ist die Leber oft eines der Organe, die von Kollateralschäden betroffen sind. Ärzte konnten bei SARS-, MERS- und COVID-19-Patienten Anzeichen von zumeist leichten Leberschäden feststellen. In einigen schweren Fällen waren die Schäden aber auch größer und führten mitunter gar zum Leberversagen. Was genau spielt sich in dem Organ ab?

    „Sobald ein Virus in den Blutkreislauf gelangt, kann es darin jeden Ort im Körper erreichen“, sagt Lok. „Die Leber ist ein sehr vaskuläres Organ, weshalb [ein Coronavirus] auch leicht hineingelangen kann.“

    Die Leber arbeitet hart, um ein gutes Funktionieren des Körpers zu gewährleisten. Ihre Hauptaufgabe besteht in der Reinigung des Blutes, das aus dem Magen kommt. Die Leber filtert Toxine heraus und erzeugt Nährstoffe, die der Körper nutzen kann. Außerdem produziert sie Galle, mit deren Hilfe im Darm Fette zersetzt werden.

    In der Leber befinden sich darüber hinaus Enzyme, die die chemischen Reaktionen im Körper beschleunigen.

    In einem normalen, gesunden Körper sterben Leberzellen fortwährend ab und geben dabei Enzyme in den Blutkreislauf ab, sagt Lok. Das Organ regeneriert sich aber schnell wieder und macht mit seiner Arbeit weiter. Durch ihre große Regenerationsfähigkeit ist die Leber sehr robust.

    Ein abnormal hoher Enzymgehalt im Blut – ein typisches Symptom von SARS- und MERS-Betroffenen – ist ein Warnzeichen. Es könnte auf einen leichten Leberschaden hindeuten, von dem sich das Organ selbst wieder erholt. Es könnte aber auch einen größeren Schaden signalisieren, im schlimmsten Fall sogar ein Leberversagen.

    Lok zufolge wissen Forscher noch nicht so recht, wie genau sich diese respiratorischen Viren in der Leber verhalten. Vielleicht befallen sie das Organ direkt, replizieren sich dort und töten die Zellen ab. Alternativ könnten die Zellen auch ein Kollateralschaden der körpereigenen Immunreaktion sein, die zu einer Leberentzündung führt.

    In jedem Fall war Leberversagen nie die alleinige Todesursache für SARS-Patienten, wie sie erklärt. „Bis die Leber versagt, haben die Patienten neben Lungen- und Leberproblemen auch schon Nierenschäden. Dann ist es bereits eine systemische Infektion.“

    Die Nieren: Alles ist miteinander verbunden

    Auch die Nieren bleiben nicht verschont. Sechs Prozent der SARS-Patienten – und ein Viertel der MERS-Patienten – erlitten eine akute Nierenverletzung. Studien haben gezeigt, dass der neue Coronavirus ähnliche Schäden verursachen kann. Es ist zwar ein seltenes Symptom der Infektion – aber ein tödliches. Knapp 92 Prozent der SARS-Patienten mit einer akuten Nierenverletzung starben, wie eine Studie belegt, die 2005 in „Kidney International“ erschien.

    Genau wie die Leber filtern auch Nieren das Blut. Jede Niere enthält etwa 800.000 bis eine Million mikroskopisch kleine Filtereinheiten namens Nephrons. Sie sind in zwei Hauptbestandteile unterteilt: ein Filter für die Blutreinigung und kleine Kanälchen, die das saubere Blut zurück in den Körper und die herausgefilterten Stoffe als Urin zur Blase leiten.

    Diese Nierenkanälchen werden durch die zoonotischen Coronaviren am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem SARS-Ausbruch berichtete die WHO, dass das Virus in den Kanälchen nachgewiesen werden konnte, die sich durch die Infektion entzünden können.

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    Es sei nicht ungewöhnlich, einen Virus in den Kanälchen zu entdecken, wenn er sich bereits im Blutkreislauf befindet, sagt Kar Neng Lai, ein emeritierter Professor der Universität Hongkong und ein Nephrologe am Hong Kong Sanatorium and Hospital. Da die Nieren fortwährend Blut filtern, kann es passieren, dass Viren in den Nierenkanälchen hängen bleiben und dort vorübergehende Schäden anrichten.

    Diese Schäden können allerdings tödlich werden, wenn das Virus in die Zellen eindringt und sich dort zu vermehren beginnt. Aber laut Lai – der zu der ersten Gruppe von Forschern gehörte, die über SARS berichteten, und an der Studie in „Kidney International“ mitwirkte – deutet nichts darauf hin, dass sich der SARS-Erreger in den Nieren replizierte.

    Das bedeute Lai zufolge, dass die akuten Nierenverletzungen der SARS-Patienten diverse andere Ursachen haben könnten, darunter niedriger Blutdruck, Sepsis, Medikamente oder Stoffwechselstörungen. Die schweren SARS-Fälle, die zu einem akuten Nierenversagen führten, zeigten hingegen Anzeichen eines Zytokinsturms.

    Mitunter kann akutes Nierenversagen aber auch durch Antibiotika, Multiorganversagen oder eine zu lange künstliche Beatmung ausgelöst werden. Die Zusammenhänge im Körper sind komplex: Alles ist miteinander verbunden.

    Schwangerschaft und Coronavirus?

    Es ist eine der großen Ironien des Internetzeitalters, dass wir gleichzeitig in Updates zum Coronavirus ertrinken und zu wenig darüber wissen. Medizinische Fachmagazine haben mehrere Studien zum jüngsten Ausbruch publiziert – einige davon wurden gründlicher überprüft als andere. Derweil berichten Nachrichtenportale täglich über die neusten Fallzahlen und weitere Entwicklungen. All diese Informationen verbreiten sich unkontrolliert im Netz, wo es bekanntermaßen eine Herausforderung sein kann, Fakt von Fiktion zu trennen.

    „Die teils auf die Minuten genauen Updates zu diesen Studien sind wirklich etwas, das es vorher noch nie gegeben hat“, sagt Rasmussen. „Es ist wirklich schwierig, diese ganzen Informationen zu sortieren und herauszufinden, was davon fundiert ist, was spekulativ ist und was einfach nur falsch ist.“

    In der ersten Februarwoche berichteten Ärzte aus einem Krankenhaus in Wuhan beispielsweise, dass zwei Neugeborene positiv auf das neue Coronavirus getestet wurden – eines davon war gerade mal 30 Stunden alt. Naturgemäß verbreitete sich diese beunruhigende Meldung weltweit in den Nachrichten und warf die Frage auf, ob Schwangere ihre ungeborenen Kinder im Mutterleib infizieren können oder ob sich das Virus bei der Geburt oder über die Muttermilch auf das Kind überträgt.

    Allerdings wurden weder bei SARS noch bei MERS Infektionen von Müttern auf ihre Kinder beobachtet – obwohl es zahlreiche erkrankte Schwangere gab. Außerdem gibt es noch andere Wege, auf denen sich Neugeborene mit dem Coronavirus infizieren können, sagt Rasmussen. Da reiche es schon, wenn eine Geburt in einem Krankenhaus stattfindet, das gerade von infizierten Patienten überlaufen wird, die für einen besonders hektischen Betriebsablauf sorgen.

    Tatsächlich liefert eine neue Studie, die in „The Lancet“ erschien, erste Belege dafür, dass das Coronavirus im Geburtskontext nicht von Mütter auf Kinder übertragen werden kann. 

    Die Studienautoren beobachteten neun Frauen in Wuhan, die durch COVID-19 an einer Lungenentzündung litten. Bei einigen der Frauen traten während der Schwangerschaft deshalb Komplikationen auf, aber alle gebaren ihre Kinder lebend und ohne Anzeichen einer übertragenen Infektion. Die Studie schließt die Möglichkeit zwar nicht völlig aus, dass es während der Schwangerschaft zu einer Infektionsübertragung kommen kann – aber sie zeigt, wie wichtig es ist, bei Spekulationen über die Krankheit Vorsicht walten zu lassen.

    „Es braucht eine fundierte Beweislage, bevor man sagen kann, dass etwas definitiv passiert – und erst recht, bevor man etwas an der klinischen Behandlung oder dem öffentlichen Umgang ändert“, so Rasmussen.

    Frieman sieht das ebenso. Er hofft, dass der aktuelle Ausbruch dazu führt, dass mehr Fördergelder in die Coronavirus-Forschung fließen. Erste Zusagen dafür gab es vor Kurzen schon von der EU sowie der Bill & Melinda Gates Foundation. Aber anders als bei der SARS-Forschung wünscht sich Frieman, dass das Interesse und die Unterstützung auch anhalten werden, wenn die Epidemie wieder abgeflaut ist.

    „Direkt nach dem SARS-Ausbruch gab es eine Menge Fördergeld, aber das war nur von kurzer Dauer“, sagt Frieman. „Warum haben wir jetzt noch keine Antworten auf diese Fragen? Weil niemand die Forschung dazu finanziert hat.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
    Am 02.02.2020 wurde der Artikel überarbeitet, um widerzuspiegeln, dass die Erkrankung von der WHO bislang nur als Epidemie bezeichnet wird, nicht aber als Pandemie.

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