Marsgletscher könnten uralte Salzseen bedecken

Helle Reflexionen auf Radarbildern des marsianischen Südpols lassen vermuten, dass unter dem Eis Überreste eines alten Ozeans überlebt haben.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 30. Sept. 2020, 12:14 MESZ
Ein zusammengesetztes Bild vom Mars, das vom Mars Global Surveyor der NASA im April 2005 aufgenommen ...

Ein zusammengesetztes Bild vom Mars, das vom Mars Global Surveyor der NASA im April 2005 aufgenommen wurde, zeigt die Eiskappe am Südpol des Roten Planeten. Dort könnten etwa anderthalb Kilometer unter dem Eis Seen mit flüssigem Wasser existieren.

Foto von NASA, JPL, Malin Space Science Systems

Bei der Suche nach Leben jenseits der Erde folgen Wissenschaftler für gewöhnlich der Spur des Wassers. Einer der besten Orte dafür könnte der Südpol des Mars sein, wo neue Forschungen unter einer anderthalb Kilometer mächtigen Eisdecke mehrere kleine Wasserkörper rund um einen großen See entdeckt haben.

„Hier haben wir nicht nur ein zufälliges Gewässer, sondern ein ganzes System“, sagt Elena Pettinelli von der italienischen Universität Roma Tre. Sie ist die Mitautorin einer Studie, die die Beobachtungen in der Fachzeitschrift „Nature Astronomy“ beschreibt.

Im Jahr 2018 gaben Wissenschaftler die Entdeckung des größeren subglazialen Sees bekannt, bei dem es sich vermutlich um ein Salzwasservorkommen von knapp 20 Kilometern Durchmesser handelt. Nun haben zusätzliche Beobachtungen desselben Teams mindestens drei weitere Gewässer in derselben Region identifiziert, die kleiner sind als das erste. Diese salzigen Ablagerungen – möglicherweise Restwasser aus einem alten Ozean – könnten Oasen des Lebens sein, in denen sich auch heute noch Organismen tummeln.

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„Das System existierte wahrscheinlich schon vor langer Zeit, als der Planet noch ganz anders war. Und das ist vielleicht der Überrest davon“, sagt Pettinelli.

Aber nicht jeder, der den Mars untersucht, ist davon überzeugt, dass die unterirdischen Bereiche flüssiges Wasser enthalten. Diese Interpretation, so sagen einige Wissenschaftler, stehe im Widerspruch zu anderen Beobachtungen aus demselben Gebiet. Stattdessen könnten es sich bei den Flecken eher um durchweichtes Sediment als um relativ klare Gewässer handeln. Die Wissenschaftler wissen außerdem nicht so recht, wie Wasser in einer Region flüssig bleiben könnte, in der die Temperaturen nur selten wärmer als -100 °C sind.

„Vielleicht bestenfalls unregelmäßiger Schlamm?“, mutmaßt Jack Holt von der University of Arizona in einer E-Mail. Er hat den Mars mit ähnlichen Techniken untersucht. „Ich bin mir nicht wirklich sicher, was ich davon halten soll.“

Auf Seesuche an den Polen

Vor mehr als einem Jahrzehnt richteten Pettinelli und ihre Kollegen ihre Aufmerksamkeit auf eine Region auf dem Mars (die sogenannten Südpol-Schichtablagerungen), wo Radarscans helle, reflektierende Gebiete unter den gefrorenen Gletschern offenbart hatten.

„Wir haben nicht nach Wasser gesucht“, sagt sie. „Wir suchten nach hellen Bereichen und versuchten zu verstehen, um was es sich dabei handelt.“

Um unter das Eis zu blicken, richtete das Team das MARSIS-Radar an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express auf die Ablagerungen. MARSIS schickt Radiowellen auf das Marsterrain, die durch die Oberflächenschichten wandern, bis sie auf eine Änderung der Dichte oder Zusammensetzung treffen und zur Raumsonde zurückreflektiert werden. Durch die Entschlüsselung der Muster in den reflektierten Radiowellen können die Wissenschaftler feststellen, was sich unter der Oberfläche eines Planeten befindet – sei es Flüssigkeit, Gestein oder Schlamm.

BELIEBT

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    Daten, die von 2012 bis 2015 gesammelt wurden, deuteten ursprünglich darauf hin, dass ein großer salziger See unter einer Region namens Ultimi Scopuli liegen könnte. Die Salze auf dem Mars sind ebenso fremd und seltsam wie der Planet selbst: Statt des bekannten Natriumchlorids handelt es sich um giftige Perchlorate, die von der rötlichen Oberfläche des Planeten stammen. Auf der Grundlage von 29 Beobachtungen stellte das Team fest, dass der See einen Durchmesser von etwas mehr als 19 Kilometern hat. Doch die Wissenschaftler waren skeptisch – selbst die des Entdeckungsteams – und wollten sich ungern darauf festlegen, ob der Bereich nun flüssig oder eher dickflüssig bis schlammig war.

    „Wir können uns nicht zwischen beidem entscheiden“, sagte Pettinelli damals. „Wir haben nicht genug Informationen, um sagen zu können, ob es ein See oder ein gesättigtes Sediment wie ein Aquifer ist.“

    Nun gibt es 105 zusätzliche Beobachtungen, die zwischen 2015 und 2019 gemacht wurden und ein größeres Gebiet abdecken. Pettinelli und ihre Kollegen verarbeiteten die neuen Daten auch mit Techniken, die üblicherweise zur Suche nach Seen unter den Eisschilden in der Nähe der Erdpole eingesetzt werden. Die Daten erbrachten nicht nur den Nachweis, dass es sich bei dem Reservoir um Wasser handelt, sondern wiesen auch auf mindestens drei kleinere Flecken um das Reservoir herum hin, die durch trockenen Boden voneinander getrennt waren.

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    Das Team ist zuversichtlich, dass es sich bei dem größeren Reservoir um Salzwasser handelt, sagt Pettinelli. Bei den kleineren Flecken könnte es sich hingegen auch um wässrige Sedimente handeln – eine Umgebung, in der noch Leben existieren könnte.

    „Ich stimme den Autoren zu, dass die plausibelste Erklärung für die MARSIS-Beobachtungen das Vorhandensein eines lokal begrenzten, flüssigen Wasserkörpers ist, der entweder von kleineren flüssigen Wasserkörpern oder Flecken wassergesättigten Sediments umgeben ist“, schrieb Steve Clifford vom Planetary Science Institute in einer E-Mail.

    Die schwindenden Wasser des Mars

    Obwohl flüssiges Wasser auf der Erde und unter den Eismonden des äußeren Sonnensystems im Überfluss vorhanden ist, war es auf dem Mars überraschend schwer zu finden. Seine Spuren sind überall auf der Oberfläche des Planeten zu seehen – in Form von ausgetrockneten Flussbetten, fächerförmigen Deltas und uralten Küstenlinien. Daher wissen die Forscher, dass der Mars anders als heute einst eine Welt voller Wasser war – vielleicht sogar mit gemäßigtem Klima und einer lebensfreundlichen Umgebung.

    Die genauen Klimabedingungen des alten Mars sind noch immer ein kleines Mysterium. Aber offensichtlich hat sich das Klima schon früh in der Geschichte des Planeten verschoben, und der Mars verwandelte sich von einer eher wasserreichen Welt in den ausgetrockneten Planeten, den wir heute sehen. Naturgemäß fragen sich die Wissenschaftler nun: Wohin verschwand all das Wasser?

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    Zumindest ein Teil davon ist in den Eiskappen eingeschlossen, die die Pole des Planeten bedecken – permanente Eisablagerungen, die jahreszeitlich bedingt schrumpfen und wachsen. Die Polkappen, die in Teleskopbildern hell leuchten, sind seit Jahrzehnten Gegenstand von Studien. Wissenschaftler versuchen, die Geschichte des Mars besser zu verstehen, deren Spuren in den eisigen Schichten eingeschlossen sein könnten.

    Die hellen Reflexionen unter den Eiskappen könnten auf einen Teil dieser Geschichte hinweisen. Trotzdem stellen einige Marsexperten weiterhin die wahre Natur des Materials unter den Gletschern in Frage.

    Mysteriöser See in der Tiefe

    Holt zufolge seien die neuen Daten überzeugender als der ursprüngliche Nachweis. Aber er ist sich noch nicht sicher, ob das Team die Beobachtungen richtig interpretiert hat. Ein anderes Radarinstrument auf dem Mars Reconnaissance Orbiter konnte die hellen Flecken nicht entdecken. Das könnte daran liegen, dass dieses Radar auf anderen Frequenzen arbeitet und nicht bis zum Grund der Ablagerungen sehen kann – aber ein See ist eigentlich ein so heller Reflektor, dass er trotzdem auftauchen sollte, sagt er.

    Die Interpretation stimmt auch nicht mit den MARSIS-Beobachtungen in nahe gelegenen Regionen überein, wo sich ähnlich helle Flecken bis an den Rand der Eisschilde erstrecken. Bisher, so Holt, habe niemand erklärt, was diese hellen Flecken sind. Aber unterirdische Sole sei nicht die Antwort, denn in diesen Gebieten würde Sole an die Oberfläche sickern..

    „Wenn wir ihrer Logik folgen, sollten wir am [Gletscher-]Rand Quellen sehen können“, sagt er. „So etwas wurde aber offensichtlich nicht beobachtet.“

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    Da an den Rändern des Eisschildes kein Salzwasser aus dem Boden tritt, hat Holt einen anderen Vorschlag: Um das Rätsel der angeblichen unterirdischen Seen zu lösen, könnte man die gleichen analytischen Techniken auf einen breiteren Datensatz anwenden, der die anderen Bereiche mit den hellen Reflexionen einschließt. Er weist auch darauf hin, dass die vom Radar bestimmte dielektrische Leitfähigkeit der Flüssigkeit für Salzwasser zu niedrig ist.

    „Wenn es dort einen See oder viel Flüssigkeit gäbe, wäre der Wert viel höher als das, was sie beobachtet haben“, sagt er. Und selbst wenn es eine Erklärung für diese Messungen gibt, die mit Wasser zusammenhängt, „muss man die Langlebigkeit der Sole unter den gegenwärtigen Bedingungen erklären“.

    Wasser inmitten der Einöde?

    An den eisigen Marspolen schmilzt das Eis nicht so leicht. An der Oberfläche schwanken die Temperaturen rund um -168 °C. Und obwohl es unter dem Eis etwas wärmer ist, ist es wahrscheinlich bei Weitem nicht warm genug, um Wasser flüssig zu halten.

    „Ziemlich frisch. Das ist kein sehr angenehmer Ort“, sagt Pettinelli.

    Im Jahr 2019, nachdem sie die erste Entdeckung des Teams betrachtet hatten, warteten zwei Wissenschaftler mit einer Vermutung auf: Jüngste magmatische Aktivität könnte einen Hotspot unter dem Südpol geschaffen haben. Vielleicht, so sagten sie, hat sich eine junge Magmakammer geöffnet und produziert genug Wärme, um die ansonsten kalte Region warm genug zu halten, damit flüssiges Salzwasser dort fortbestehen kann. Aber ohne eine unterirdische Wärmequelle ist es schwierig, das Vorhandensein des Wassers zu erklären.

    „Ich bin vorsichtig optimistisch, dass es sich um flüssiges Wasser handelt“, schreibt Ali Bramson von der Purdue University in einer E-Mail. Sie ist eine der beiden Studienautoren. „Meine Vorsicht ist größtenteils nur in den extrem kalten Temperaturen dort begründet.“

    Pettinelli and her team argue that relying on recent volcanic activity to explain the liquid pockets requires an improbable set of circumstances. Instead, they suggest the chemical makeup of the Martian brine could keep water liquid at low temperatures. That might be true, Bramson says, but scientists don’t yet know whether the chemistry and conditions on Mars could create and maintain liquid brines.

    „Ich bin davon überzeugt, dass an diesem Ort etwas Seltsames vor sich geht. Etwas, das einen Ausschlag in der Reflexion verursacht“, sagt Bramson. „Wenn sich am Grund der Polkappe eine seltsame, unterkühlte, schlammige Salzlösung befindet, ist das auf jeden Fall super cool.“

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    Vielleicht, so Clifford, könnten die neuen Beobachtungen helfen, das Schicksal des verlorenen Ozeans des Mars zu erklären. „Als sich das frühe Marsklima abkühlte, wäre ein solcher Ozean gefroren und schließlich sublimiert worden.“ Das bedeutet, er wäre verdunstet, ohne vorher zu schmelzen. Einmal in der Atmosphäre, wäre der Wasserdampf transportiert worden und hätte sich dann als Eis an den kälteren Polen des Planeten abgelagert. Clifford stellt fest, dass die Polkappen früher viel ausgedehnter waren und der interne Wärmefluss des Planeten deutlich höher. Das bedeutet, dass Wasser nahe am Grund der Eiskappen allmählich geschmolzen und in den Untergrund gesickert wäre.

    Im Laufe der Zeit könnte der verschwundene Ozean des Planeten in Form von Grundwasser oder Permafrostboden gespeichert worden sein. Die Salzwasserbereiche, die es heute noch gibt, könnten die letzten Überbleibsel dieses Prozesses sein – und ein Ort, der vor schädlicher Strahlung geschützt ist und an dem sich das Leben über Milliarden von Jahren behauptet haben könnte.

    „Es wäre natürlich aufregend, wenn es flüssiges Wasser ist“, sagt Bramson. „Ich glaube, wir alle wünschen uns, dass es flüssiges Wasser ist.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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