Win-Win-Situation: Ohne Wespe keine Feigen – so funktioniert Mutualismus
Mutualistische Symbiosen bezeichnen die Wechselbeziehung zwischen zwei Individuen, von denen beide profitieren. Im Tierreich sind sie weit verbreitet.
Ein Weißkinn-Saphirkolibri trinkt an einer Blüte. Diese Kolibri-Art ist in den nördliche Regionen Südamerikas beheimatet.
Dass Bestäuben eine essenzielle Rolle für das Wachstum unserer liebsten Nahrungsmittel ist, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Ob Erdbeere oder Sonnenblumenkern – ohne die Hilfe von Bestäubern gäbe es sie nicht. Weniger bekannt ist den meisten Menschen jedoch, warum es Bestäubung überhaupt gibt. Die Antwort: Mutualismus.
Dies bezeichnet eine Wechselbeziehung zwischen zwei Individuen einer oder verschiedener Arten, aus der beide Akteure ihren Nutzen ziehen. Sie bildet damit eine Unterkategorie der Symbiose. Als Symbiose wird die enge und andauernde Beziehung zwischen zwei Organismen verschiedener Arten betrachtet, die jedoch nicht zwingend für beide von Vorteil ist. Andere Formen der Symbiose sind beispielsweise Parasitismus, Kommensalismus und Amensalismus.
Wenn Bestäuber wie Bienen, Schmetterlinge und Kolibris Nektar aus den Blüten trinken, nehmen sie dabei gleichzeitig Pollen auf. Der Pollen ist die männliche Geschlechtszelle der Pflanze, die sie anschließend an andere Pflanzen verteilen und so bei deren Fortpflanzung helfen. Der Bestäuber erhält Nahrung und die Pflanze die Möglichkeit zur Reproduktion.
Diese Strategie ist so erfolgreich, dass weltweit 170.000 Pflanzen- und 200.000 Tierarten an der Bestäubung beteiligt sind und damit für rund 35% der menschlichen Nahrung sorgen.
Einige Pflanzen und Bestäuber haben sich sogar an die speziellen Bedürfnisse des jeweils anderen angepasst. So haben zum Beispiel mehrere Kolibri-Arten im Verlauf der Evolution Schnäbel entwickelt, die perfekt zur Form bestimmter Blüten passen. Die Schnäbel der in Südamerika beheimateten Schwerschnabelkolibris sind länger als ihr eigener Körper und passen perfekt in die tiefen Kelche von Passionsblumen.
Auch Bienen werden von einigen Blüten bevorzugt. So imitiert beispielsweise die Bienen-Ragwurz, eine Orchideenart, die Optik weiblicher Bienen.
Wenn männliche Bienen versuchen, sich mit den scheinbaren Weibchen zu paaren, reagiert die Orchidee, indem die Insekten eine volle Ladung Pollen von ihr abbekommen. „Die Orchidee verpasst den Bienen ein sogenanntes Pollenpaket“, sagt Kayla Hale, die Ökologie und Evolutionsbiologie an der University of Michigan in Ann Arbor promoviert.
Diese prominenten Pollenpäckchen lassen die Biene laut Hale „witzig und niedlich“ wirken, wenn sie zur nächsten Orchidee weiterfliegt.
Fakultative und obligatorische mutualistische Symbiosen
Orchideen können sich auch selbst befruchten und sind daher nicht zwingend auf Symbiosepartner angewiesen, was ein gutes Beispiel für fakultativen Mutualismus ist.
Fast jeder kennt den Blaustreifen-Putzerlippfisch, oft auch nur Putzerfisch genannt. Er sucht sich seine Nahrung mit Vorliebe in Form von Parasiten, die er aus dem Maul oder den Kiemen von größeren Fischen entfernt. In indo-pazifischen Korallenriffen sind so regelrecht „Waschanlagen“ entstanden. Da die Putzerfische jedoch neben den Parasiten auch Nahrungsquelle wie Krustentiere haben, handelt es sich bei dieser Beziehung ebenfalls um eine fakultative mutualistische Symbiose.
Im Fall von Feigen und Feigenwespen sieht die Sache dagegen anders aus: Diese beiden Arten sind zum Durchlaufen ihrer jeweiligen Lebenszyklen aufeinander angewiesen. Diese Form der Symbiose nennt man obligatorischen Mutualismus. Es gibt etwa 750 Feigenarten, die jeweils ihre eigene Feigenwespenart zur Bestäubung benötigt.
Der Lebenszyklus beginnt, wenn ein Wespenweibchen ihre Eier in eine Feige ablegt. Die Feige ist keine Frucht, sondern ein Zusammenschluss winziger, innenliegender Blüten, die von einer schützenden Haut umgeben sind. Nach der Eiablage stirbt das Weibchen. Nach dem Schlupf der Larven, begatten die flügellosen Männchen die Weibchen. Die weiblichen Wespen wachsen heran und fliegen zu anderen Feigen, wobei sie Pollen aus der vorherigen mitnehmen und damit den Lebenszyklus vollenden.
Verschiedene Formen des Mutualismus
Wenn Tiere Früchte fressen und die Samen ausspucken oder mit dem Kot wieder ausscheiden, erhalten sie Nahrung und die Pflanze wiederum eine Möglichkeit zur Verbreitung.
„Vögel und Säugetiere sind die häufigsten Samenverbreiter, doch auch Eidechsen, Grillen und selbst Bananenschnecken können Samen verbreiten“, sagt Judith Bronstein, die als Ökologin und Evolutionsbiologin an der University of Arizona in Tucson forscht.
Da die Verbreiter eine Vielzahl von Pflanzen fressen und verteilen, wird dies als unspezifische Symbiose betrachet.
Spezialisierter Mutualismus tritt dann auf, wenn die beiden Akteure eine eher monogame Beziehung miteinander führen.
Nur der im Südwesten der USA und Mexiko beheimatete Trauerseidenschnäppper verbreitet die Samen der Wüsten-Mistel, einer parasitären Pflanze. Ihre Beeren sind „sehr klebrig, weswegen der Vogel beim Ausscheiden sein Hinterteil irgendwo abwischen muss, um die Samen loszuwerden“, erklärt Bronstein, die diese Symbiose in Arizona genauer erforscht hat.
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Normalerweise säubert sich der Vogel an den Zweigen des Wirtsbaums der Mistel, was die Samen am Baum kleben lässt, wohin die Pflanze auch genau hingehört.
„Das ist schon eine coole Strategie, die offenbar nur der Trauerseidenschnäpper ausführen kann“, sagt sie.
Wie sind mutualistische Symbiosen entstanden?
Lange bevor die ersten Bienen durch die Luft summten, pflanzte sich die Vegetation mithilfe von Windbestäubung fort. Dabei wird der Pollen vom Wind transportiert und landet manchmal an der richtigen Stelle. Das war jedoch nicht besonders effizient, sodass die Evolution einer wirkungsvolleren Strategie auf den Plan trat: Die Bestäubung durch andere Lebewesen.
Frühe Insektenbestäuber wie Käfer fraßen wahrscheinlich mehr Pollen, als sie tragen konnten, was die Fortpflanzung der Pflanze behinderte. Deswegen entwickelten die Pflanzen Nektar: eine Nahrungsquelle mit hohem Zucker- und damit Energiegehalt als Belohnung.
„Das zog Tiere an, die sich am Nektar bedienten, dabei vom Pollen bedeckt wurden und damit weiterflogen“, meint Bronstein. „Außerdem war damit sichergestellt, dass die Tiere nichts fraßen, aus dem einmal Nachkommen entstehen sollen.“
Organismen mit mutualistischen Symbiosebeziehungen können auch Co-Evolutionen durchlaufen. Dabei entwickeln zwei Arten Eigenschaften, die genau zur jeweils anderen passen. So könnten beispielsweise die Hohlräume in den vergrößerten Dornen der Akazien in Mittelamerika entstanden sein, um Ameisen der Gattung Pseudomyrmex zu beherbergen.
Die Ameisen haben im Gegenzug Abwehrmechanismen entwickelt – wie das Ausschwärmen und die Verteidigung mithilfe von Giftstacheln –, um den Baum gegen Pflanzenfresser zu schützen. Andere Akazienarten beheimaten zwar keine Ameisenkolonien in ihren Hohldornen, produzieren aber selbst einen chemische Stoff, der sie gegen Pflanzenfresser schützt.
Es liegt nahe, diese symbiotischen Beziehungen als eine freundschaftliche Interaktion zu vermenschlichen. Hier geht es jedoch nur um die Befriedigung von Bedürfnissen. Und das Verhältnis kann mitunter unausgewogen sein.
Bronstein führt an, dass die Pflanzen idealerweise nur eine bestimmte Menge Nektar auf einmal produzieren sollten, sodass den Bestäubern nur kurz verweilen und dann auf der Suche nach mehr Futter weiterfliegen – und währenddessen eine andere Pflanze bestäuben. Manchmal bleibt ein Bestäuber jedoch auf einer Blume und trinkt den kompletten Nektar auf einmal.
„Es herrscht ein Konflikt zwischen dem, was der Bestäuber will und dem, was die Pflanze will“, sagt Bronstein. „Das legt den Grundstein für einen wirklich interessanten, evolutionären Wettkampf zwischen den Symbiosepartnern.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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