„Schattenwolf“ im neuen Pelz: Der Eiszeitjäger überrascht Forscher

Das Erbgut des ausgestorbenen Canis dirus offenbart, dass er einem heutigen Wolf zwar ähnlichsah, aber nicht eng mit ihm verwandt war.

Von Andrea Anderson
Veröffentlicht am 15. Jan. 2021, 11:04 MEZ
Canis dirus

Wölfe der ausgestorbenen Art Canis dirus kämpfen gegen moderne Wölfe. Dieses Bild, das der Künstler Mauricio Anton im Jahr 2020 anfertigte, entstand in Absprache mit Forschern, die es für wahrscheinlich halten, dass C. dirus eher rötliches Fell hatte. Neue Forschungen zeigen, dass die Schreckenswölfe in der gleichen phylogenetischen Reihe wie Rothunde und Äthiopische Wölfe stehen, deren Fellfarben auch eher ins Rötlich-Braune gehen.

Foto von Mauricio Anton (Illustration)

Schon bevor sie als fiktive Haustiere in „Game of Thrones“ auftauchten, haben die massigen Wölfe die Fantasie beflügelt. Mit einem Gewicht von etwa 70 Kilogramm war der ausgestorbene Canis dirus imposanter als die schwersten der heutigen Wölfe. Die Raubtiere durchstreiften weite Teile Amerikas und machten Jagd auf heute ausgestorbene Megafauna wie eiszeitliche Pferde und Riesenfaultiere.

Doch vieles über die „Schreckenswölfe“ bleibt unbekannt. Woher kamen sie? Wie ähnlich waren sie den heutigen Wölfen? Und warum starben sie vor etwa 13.000 Jahren aus, nachdem sie hunderttausende Jahre überlebt hatten?

In der ersten Studie dieser Art haben Forscher mehrere vollständige Genome dieser Tiere analysiert und entdeckten dabei einige Überraschungen. Aufgrund ihrer Ähnlichkeit hatte man erwartet, dass es enge genetische Verbindungen zwischen C. dirus und den heutigen Wölfen (Canis lupus) gibt. Stattdessen sind die ausgestorbenen „schrecklichen Hunde“ (so die wörtliche Übersetzung ihres lateinischen Namens) aber evolutionär entfernte Cousins, die lange Zeit in Amerika isoliert lebten.

Dire Wolves/Schattenwölfe: Gibt es so was?

C. dirus und C. lupus sehen einander morphologisch enorm ähnlich, aber die Genetik sagt, dass sie in keiner Weise eng miteinander verwandt sind“, erklärt Angela Perri. Die Archäologin an der Durham University ist die Mitautorin eines Artikels über die Genetik von C. dirus, der in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht wurde.

Die neuen Erkenntnisse verdeutlichen die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Hundefamilie. Sie ordnen Canis dirus einer Neuwelt-Linie zu die sich vor etwa 5,5 Millionen Jahren von den Vorfahren des heutigen Wolfs abspaltete. Gleichzeitig vertieft sich damit das Mysterium um die Evolution und das Aussterben der Art.

„Die Frage ist nun: Hat ihr Aussterben mit Klima- und Umweltveränderungen zu tun, oder haben der Mensch und möglicherweise andere Wölfe und Hunde sowie [Krankheiten] dazu beigetragen, sie zu verdrängen?“ sagt Perri.

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    Tatsächlich spielte der berühmte Canis dirus in Perris Vorstellung schon eine große Rolle, lange bevor die aktuelle Studie begann. „Ich hatte mich immer gefragt, ob diese Wölfe noch da waren, als die Menschen nach Amerika kamen, und ob es irgendeine Interaktion zwischen den beiden gab“, sagt Perri, die auch Mensch-Tier-Interaktionen erforscht.

    Als sie und ihre Kollegen vor einigen Jahren mit der Studie zu C. dirus begannen, wussten sie, dass es einen Ort gab, an dem es keinen Mangel an Schattenwolf-Fossilien gab: Die La-Brea-Teergruben, eine berühmte „Raubtierfalle“ im heutigen Los Angeles.

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    Aber frühere Versuche, große DNA-Abschnitte von Wölfen, Säbelzahnkatzen und anderen Tieren in La Brea zu extrahieren, sind größtenteils gescheitert. Die heiße, raue Umgebung kocht und zerreißt das genetische Material praktisch. Die Versuche des aktuellen Teams liefen nicht viel besser.

    „Die Teergrube ist ein heißes, blubberndes Chaos, und das ist nicht sehr gut für die DNA-Konservierung“, erklärt Co-Autor Greger Larson, der Direktor des Forschungsnetzwerks für Paläogenomik und Bioarchäologie der University of Oxford.

    Eine Probe aus La Brea lieferte jedoch etwas Neues: eine Kollagen-Protein-Sequenz, die es den Forschern ermöglichte, Canis dirus mit Haushunden, heutigen Wölfen, Kojoten und afrikanischen Wölfen zu vergleichen. Ihre Schlussfolgerung: Der Schattenwolf unterschied sich dramatisch von ihnen.

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    Aber das Team brauchte mehr, da die Sequenz eines einzelnen Proteins nicht sehr aussagekräftig ist, wenn man versucht, komplexe Canidenbeziehungen zu definieren, sagt Laurent Frantz. Der Forscher an der Queen Mary University of London und der University of Oxford ist ein Mitautor der Studie.

    Also begann Perri 2016, mit Bus, Mietwagen und Flugzeug auf einer Knochensammeltour kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten zu reisen. In Museen und Universitätssammlungen untersuchte und sammelte sie Knochenstücke von C. dirus in der Hoffnung, genügend DNA für eine genetische Analyse zu erhalten.

    Die Reise war nicht ohne Herausforderungen. „Versuchen Sie mal, der Flughafensicherheit zu erklären, warum Sie eine Tasche voller Zahnsplitter, Knochensplitter, einem Bohrer und elektronischen Messgeräten haben“, erzählte Perri. Aber die Suche hat sich gelohnt. Und wie sie vermutet hatte, besaßen einige Forscher Proben von C. dirus, ohne es zu wissen.

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    „Weil sie modernen Wölfen morphologisch so ähnlich sind, wissen viele Leute nicht, ob sie Schreckenswölfe in ihrer Sammlung haben. Sie werden oft einfach als ‚Wolf‘ bezeichnet“, erklärt Perri. „Ich arbeitete mich durch verschiedene Teile der USA, wühlte mich durch alte Kisten und verbrachte viel Zeit allein in diversen Kellern.“

    Zusammen mit anderen Mitarbeitern erstellten sie und ihre Kollegen schließlich genetische Profile für fünf repräsentative Schreckenswölfe aus Ohio, Idaho, Tennessee und Wyoming.

    Die älteste Probe war mindestens 50.000 Jahre alt, die jüngste Probe schien nur knapp 12.000 Jahre alt zu sein. Das deutet darauf hin, dass sich C. dirus in einigen Regionen mit modernen Wölfen, Kojoten, Rothunden, Graufüchsen und vielleicht auch frühen menschlichen Siedlern überschnitt.

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    Die Forscher untersuchten die Genome von C. dirus zusammen mit den verfügbaren Sequenzen von Wolf, Kojote, Rothund, Graufuchs, Afrikanischem Goldwolf, Äthiopischem Wolf, Afrikanischem Wildhund und Andenschakal. Auch neue Sequenzen des Schabrackenschakals und des Streifenschakals, die beide in Afrika vorkommen, dienten als Vergleichspunkte.

    Durch eine Reihe von genetischen Stammbaumanalysen konnte das Team nachweisen, dass C. dirus nur entfernt mit anderen Wölfen verwandt ist. Er weist jedoch relativ enge Verbindungen zum Schabrackenschakal und zum Streifenschakal auf.

    Die Forscher schätzen, dass sich die Linie von C. dirus vor etwa 5,5 Millionen Jahren von der Linie abspaltete, aus der moderne Wölfe hervorgingen. Die Schreckenswölfe blieben isoliert, obwohl sich ihr Territorium später jahrtausendelang mit dem anderer Caniden überschnitt. Eine solche genetische Isolation ist ungewöhnlich zwischen verwandten Canidenarten, die sich oft untereinander kreuzen.

    Schattenwolf mit rotem Fell

    Die neuen genetischen Erkenntnisse haben den Paläokünstler Mauricio Anton dazu veranlasst, eine neue Zeichnung von C. dirus anzufertigen, den er bereits in der Vergangenheit künstlerisch abgebildet hat. Nun ist das lange, dunkle Fell verschwunden, da man annimmt, dass schwarzes Fell und andere adaptive Merkmale durch die Vermischung mit anderen Caniden in die nordamerikanischen Wolfspopulationen eingebracht wurden. Bei C. dirus waren solche Einkreuzungen anscheinend nicht der Fall. Andere äußere Ähnlichkeiten bleiben bestehen, einschließlich einer wolfsähnlichen Form von Kopf und Körper.

    Neben neuen Einsichten in den Ursprung und das Aussterben dieser alten Wölfe weisen die Ergebnisse noch auf etwas anderes hin: Ein wolfsartiger Körper muss entscheidende adaptive Vorteile mit sich bringen, wenn er sich bei so vielen Arten von Caniden auf mehreren Kontinenten bewährt und erhalten hat.

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    „Dass es so eine Konvergenz in der Körperform gibt, obwohl es einen so langen Zeitraum der Trennung gab, deutet darauf hin, dass die Körperform des Wolfes sehr, sehr erfolgreich ist – und das offensichtlich schon seit sehr langer Zeit“, sagt der anthropologische Archäologe Robert Losey von der University of Alberta, der nicht an der Arbeit über C. dirus beteiligt war.

    Letztendlich konnten diese Vorteile das Aussterben des Schreckenswolfs jedoch nicht verhindern. Das Team hält es für möglich, dass neue hundeähnliche Arten und Wölfe C. dirus verdrängt oder Krankheiten verbreitet haben, die ihm schadeten. Auch der Klimawandel könnte eine Rolle gespielt haben, so Perri.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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