Virus aus der Tiefsee: Bislang unbekannte Phagen im Marianengraben entdeckt
In knapp 9.000 Metern Tiefe und völliger Dunkelheit hat ein Forschungsteam eine neue Art von Viren entdeckt. Die Bakteriophagen sind die tiefsten bislang gefundenen – und vermutlich viel weiter verbreitet als gedacht.

Im Marianengraben, dem tiefsten Ort der Welt, tobt das Leben. Nun haben Forschende ein neues Virus entdeckt.
Wenig Nährstoffe, starker Druck, Dunkelheit und Kälte: Im fast 11.000 Meter tiefen Marianengraben, dem Rekordhalter unter den Tiefseerinnen der Erde, herrschen extreme Bedingungen. Doch auch in den Tiefen des Meeres erkämpft sich das Leben immer wieder kleine Nischen. Neben unwirklichen Kreaturen verbergen sich auch kleinste Organismen und Strukturen wie Bakterien und Viren in der ewigen Dunkelheit der Tiefsee.
Ein internationales Forschungsteam hat im Marianengraben nun ein komplett neuartiges Virus gefunden – in 8.900 Metern Tiefe. „Es ist die tiefste uns bislang bekannte Phage, die in den Ozeanen dieser Welt isoliert werden konnte“, sagt Studienleiterin Min Wang, marine Mikrobiologin an der Ocean University of China, in Qingdao. Ihre Studie veröffentlichte das Forschungsteam in der Zeitschrift Microbiology Spectrum.
Was machen Viren in der Tiefsee?
Das im Sediment entdeckte Virus ist eine sogenannte Bakteriophage – es befällt also ausschließlich Bakterien und vermehrt sich in ihnen. Bakteriophagen, kurz Phagen genannt, gelten als die am häufigsten vorkommende Lebensform auf dem Planeten. In derartigen Tiefen wie im Marianengraben konnte man sie bisher jedoch nicht finden.
Überrascht sind die Forschenden dennoch nicht: „Wo immer Leben ist, kann man auch davon ausgehen, dass Regulatoren am Werk sind“, so Wang. „In diesem Fall Viren.“ Laut den Forschenden spielen sie eine entscheidende Rolle im Ökosystem – und sorgen unter anderem dafür, dass biogeochemische Kreisläufe in Gang gesetzt werden und der Stoffwechsel ihrer Wirtszellen ausgeglichen wird.
Eine neue Virusfamilie in den Tiefen des Marianengrabens
Die neu entdeckte Phage mit dem Namen vB_HmeY_H4907 ist kein Grund zur Sorge für den Menschen: Sie befällt ausschließlich salzliebende Tiefseebakterien namens Halomonadaceae. Das Virus vermehrt sich in ihnen, ohne dabei seine Wirtsbakterien zu töten. Anhand einer genomischen Analyse konnten die Forschenden zeigen, dass das Virus seinem Wirt in seiner Struktur stark ähnelt – und dass es, bislang unbemerkt, in den Ozeanen der Welt vermutlich schon weit verbreitet ist.
Doch damit nicht genug: vB_HmeY_H4907 ist nicht nur das tiefste Virus, das bisher gefunden wurde, sondern gehört auch zu einer ganz neuen Virusfamilie der Tiefsee, den Suviridae. Sie sind wasserlöslich und nutzen die Zellteilung ihres Wirtes, um sich weiterzuvermehren.
Durch das neue Virus können die Forschenden Näheres über die Überlebensstrategien von Viren in abgelegenen, rauen Gegenden erfahren – und darüber, wie sie sich mit ihren Wirtsbakterien weiterentwickeln. Wang und ihr Team schauen erwartungsvoll in die Zukunft: Ihr spektakulärer Fund lässt darauf schließen, dass noch mehr in den unendlichen Tiefen unserer Ozeane darauf wartet, entdeckt zu werden.
