O’zapft is! Neues vom Alkohol

Pünktlich zum Oktoberfest 2024 stellen wir fünf Studien vor, die sich in diesem Jahr mit dem Alkoholkonsum beschäftigt haben: von europäischen Trinkgewohnheiten bis zu einem Gel, das vor Trunkenheit schützt.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 12. Sept. 2024, 09:50 MESZ
Oberkörper einer Frau im Dirndl, die mehrere Maß Bier trägt.

Die Maß ist voll: Mehrere Millionen Liter Bier werden jedes Jahr auf der Wiesn gezapft und getrunken. 

Foto von Rawf8 / stock.adobe.com

Ende Juli veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihren Global status report on alcohol and health and treatment of substance use disorders. Der Bericht zeigt, dass weltweit zu viel Alkohol konsumiert wird – und Deutschland unter den zehn Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch ist. Im Schnitt trinkt jede*r Deutsche demnach 12,2 Liter reinen Alkohol pro Jahr, bei 7,9 Millionen der 18- bis 64-Jährigen muss der Konsum laut dem Bundesgesundheitsministerium als gesundheitlich riskant eingestuft werden.

Trotzdem wird auf der Münchner Wiesn, nachdem am 21. September das erste Fass feierlich angestochen wurde, auch in diesem Jahr das Bier in Strömen fließen: Beim Oktoberfest 2023 wurden 6,5 Millionen Liter an eine Rekordzahl von 7,2 Millionen Besucher ausgeschenkt. Ein guter Anlass, um sich die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um das Thema Alkohol anzusehen.

So trinken die Europäer

Deutschland ist Bierland. Einen wissenschaftlichen Beleg dafür lieferte im Juni 2024 eine in der Zeitschrift Addiction erschienene Studie von Forschenden der University of Toronto, Kanada, in Zusammenarbeit mit der WHO. Sie beschäftigt sich mit dem Trinkverhalten der Europäer in den Jahren zwischen 2000 und 2019 und identifiziert sechs Trinkmuster, die sich verschiedenen Ländern zuordnen lassen.

Demnach ist Deutschland neben Ländern wie Dänemark, den Niederlanden oder Spanien durch einen hohen Konsum von Bier geprägt. Gleichzeitig werden relativ wenig Spirituosen getrunken. Wer aus diesen Ländern kommt, neigt außerdem dazu, vor allem im Auslandsurlaub beim Trinken über die Stränge zu schlagen. 

Auch in Kroatien, Polen, Ungarn und Tschechien steht Bier hoch im Kurs, im gleichen Maße wird aber auch Hochprozentiges getrunken – jedoch nicht jeden Tag, sondern eher bei besonderen Anlässen. In Frankreich, Italien, Griechenland, Schweden und Portugal ist Wein das beliebteste alkoholische Getränk. Diese Länder haben außerdem im Europavergleich den niedrigsten Gesamtkonsum.

Typisch deutsch: In der Mitte Europas trinkt man am liebsten Bier.

Foto von Brett Sayles / Pexels

In Estland, Lettland und Litauen wird zwar regelmäßig viel Bier und Schnaps getrunken – das sogenannte Komasaufen, bei dem bis zur Bewusstlosigkeit Alkohol konsumiert wird, findet hier jedoch selten statt. Anders in Finnland, Irland, Island und Luxemburg: Dort wird oftmals zu viel Alkohol auf einmal getrunken. Die Zahl der Abhängigen und der alkoholbedingten Todesfälle ist dementsprechend besonders hoch. Auch in der Ukraine, in Bulgarien und auf Zypern ist der Alkoholkonsum hoch – dem gegenüber steht aber eine im europäischen Vergleich große Zahl von Menschen, die nie Alkohol trinken.

Interessant ist, dass die regionalen Trinkmuster in den untersuchten 20 Jahren größtenteils konstant blieben. „Europas ausgeprägte Trinkgewohnheiten scheinen tief in der Kultur verwurzelt zu sein und sind daher schwer zu ändern“, sagt Jürgen Rehm, Psychologe und Experte für Suchtpolitik an der University Toronto. Insgesamt sei der Alkoholkonsum in ganz Europa zu hoch und die Politik müsse mehr tun, um das aktuelle Niveau zu senken.

Alkohol für die Gesundheit – ein Mythos

Auch auf dem Oktoberfest wird oft über den Durst getrunken. Mit einer Maß hat man einen Liter Bier intus – und oft bleibt es nicht dabei. Dass das nicht gut für die Gesundheit ist, kann man sich denken. Hingegen soll Alkohol in Maßen, etwa das berühmte Glas Rotwein am Abend, nicht schädlich sein und sogar Herzerkrankungen vorbeugen. Dieser gesundheitsfördernde Effekt wurde in verschiedenen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen.

Dass das ein Mythos ist, zeigt eine Studie, die im Juli 2024 in der Zeitschrift Journal of Studies on Alcohol and Drugs erschienen ist. Darin räumen die Autor*innen mit dem Märchen vom „gesunden“ Alkohol auf und erklären, wie es zu der Fehlannahme kommen konnte.

Gemeinsam mit seinem Team analysierte Hauptautor Tim Stockwell, Psychologe an der kanadischen University of Victoria, 107 vergangene Studien, die den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Lebenserwartung untersucht haben. Dabei stellte das Team fest, dass in vielen, ihnen zufolge minderwertigen Studien das Alter der Teilnehmenden relativ hoch war. Außerdem wurden Personen, die in der Vergangenheit regelmäßig viel Alkohol getrunken haben, es zum Zeitpunkt der Studie aber nicht mehr taten, als Abstinenzler*innen eingestuft. Oft schwören Menschen dem Alkohol jedoch erst ab, wenn ihre Gesundheit bereits gelitten hat. Das bedeutet: Die Abstinenzler*innen in diesen Studien hatten vermutlich bereits alkoholbedingte Erkrankungen, die ihr Leben verkürzt haben, obwohl sie irgendwann aufhörten zu trinken. „Das lässt Menschen, die weiter trinken, im Vergleich viel gesünder aussehen“, so Stockwell.

BELIEBT

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    “Ein garantiert sicheres Maß des Alkoholkonsums gibt es einfach nicht.”

    von Tim Stockwell
    University of Victoria

    Im Schnitt sollten Personen, die im Studienzeitraum regelmäßig moderat Alkohol konsumierten, diesen minderwertigen Studien zufolge gegenüber Nicht-Trinkern ein um 14 Prozent geringeres Sterberisiko haben. Doch in den Studien, in denen der Alkoholkonsum nicht nur während der laufenden Studie, sondern über die gesamte Lebensspanne betrachtet wurde, sahen die Ergebnisse ganz anders aus. Ihnen zufolge verlängert mäßiges Trinken das Leben wahrscheinlich nicht und birgt stattdessen potenzielle Gesundheitsgefahren, einschließlich eines erhöhten Risikos für bestimmte Krebsarten. Ein völlig „sicheres“ Maß an Alkoholkonsum, so Stockwell, gäbe es einfach nicht.

    Trinken nicht vergessen, Konsum reduzieren

    Eine Maß zu viel und schon hat man am nächsten Tag Erinnerungslücken. Ist man tatsächlich noch Karussell gefahren oder fühlt es sich nur so an? Wie viele Festzelte hat man besucht? Und wo ist eigentlich der linke Schuh geblieben? Schade, denn würde man sich an seinen Rausch erinnern können, hätte man laut einer Studie der University of Portsmouth, England, die in der Zeitschrift Food Quality and Preference erschienen ist, die Möglichkeit, dadurch seinen Konsum zu reduzieren.

    Nachdem frühere Studien zeigen konnten, dass Menschen, die sich an ihre letzte Mahlzeit erinnern, weniger essen, wollte das Forschungsteam wissen, ob sich dieser Effekt auch auf das Alkoholtrinken übertragen lässt. In einem Versuch mit 50 Frauen wurde eine Hälfte der Gruppe gebeten, sich an ihr letztes Alkoholerlebnis zu erinnern und zu schätzen, wie viele Kalorien sie dabei zu sich genommen hatten. Die andere Hälfte sollte an ihre letzte Autofahrt denken. Im Anschluss wurden alle Teilnehmerinnen gebeten, ein wodkahaltiges Getränk zu sich zu nehmen.

    Probandinnen, die sich zuvor an ihren letzten Alkoholkonsum erinnert hatten, tranken im Rahmen des Versuchs langsamer und weniger. Als Grund dafür vermutet das Studienteam, dass sie sich der Folgen des Alkoholkonsums für ihr Gewicht bewusst waren. „Unsere Theorie ist, dass die Frauen weniger Lust auf Alkohol hatten, weil sie überflüssige Kalorien vermeiden wollten“, sagt Hauptautor Lorenzo Stafford, Psychologe an der University of Portsmouth.

    Als Teil der Studie hatten alle Teilnehmerinnen im Vorfeld einen Test zu ihrem Trinkverhalten (AUDIT) gemacht. Frauen, deren Trinkgewohnheiten demnach kritisch waren, tranken generell schneller – egal, welcher Versuchsgruppe sie angehörten. Laut dem Studienteam ist also die Trinkgeschwindigkeit ein deutlicher Indikator für die Trinkmotivation. Als nächstes wollen die Forschenden prüfen, ob der beobachtete Alkoholgedächtniseffekt auch bei Männern greift.

    Gemeinsamer Alkoholkonsum stärkt die Beziehung

    Richtet man sich nach einer Studie von Forschenden der University of Michigan, die im Februar 2024 in der Zeitschrift The Gerontologist erschienen ist, sollte man unbedingt seine bessere Hälfte mit ins Bierzelt nehmen. Der Grund: Beziehungen, in denen die Partner*innen übereinstimmende Trinkgewohnheiten haben und gemeinsam Alkohol konsumieren, sind harmonischer und verlängern offenbar das Leben.

    Basis für die Forschungsarbeit war die Health and Retirement Study, die das Forschungsteam auf einen Zusammenhang zwischen partnerschaftlichem Alkoholkonsum und individueller Sterblichkeit untersuchte. „Interessanterweise fanden wir heraus, dass Paare, bei denen beide angaben, in den letzten drei Monaten Alkohol getrunken zu haben, länger lebten als Paare, bei denen entweder beide angaben, keinen Alkohol zu trinken, oder Paare, die ein uneinheitliches Trinkverhalten hatten, bei dem eine Person trank und die andere nicht“, sagt Hauptautorin Kira Birditt, Psychologin an der University of Michigan.

    Gemeinsamer Alkoholkonsum verbindet Paare – vorausgesetzt beide haben das gleiche Trinkverhalten.

    Foto von Jana Kowalewicz / Unsplash

    Warum der gemeinsame Alkoholkonsum das Leben verlängert, wissen die Forschenden nicht. Sie wollen der Frage aber in weiteren Studien auf den Grund gehen, die auch den Alltag der Teilnehmenden und ihre Trinkerlebnisse im Detail beleuchten sollen.

    Die Wissenschaftler*innen warnen jedoch davor, die Ergebnisse der Studie als Aufruf zu verstehen, mehr Alkohol mit dem Partner oder der Partnerin zu konsumieren. „Die Übereinstimmung der Trinkgewohnheiten von Paaren kann ein Spiegelbild der Kompatibilität zwischen den Partner*innen in Bezug auf ihren Lebensstil, ihre Intimität und die Zufriedenheit in der Beziehung sein“, so Birditt. Eine solche Harmonie zwischen zwei Menschen besteht entweder oder entwickelt sich natürlich – herbeigetrunken werden kann sie nicht.

    Nie wieder besoffen! Ein Gel gegen Blutalkohol

    Erst einmal ein Glas trinken, um lockerer zu werden – das ist für viele die Motivation für den Alkoholkonsum. Doch zwischen gelöstem Angeheitertsein und betrunkenem Kontrollverlust liegen oft nur wenige Schlücke. Schon in geringen Mengen beeinträchtigt Alkohol, der über die Magen- und Darmschleimhaut in die Blutbahn gerät, die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit. Zudem wird Blutalkohol von der Leber verstoffwechselt. Dabei entsteht giftiges Acetaldehyd, das im Körper eine ganze Reihe von gesundheitlichen Problemen verursachen kann.

    Doch bald könnte ein Gegenmittel verfügbar sein. Ein Forschungsteam der ETH Zürich hat im Mai 2024 in der Zeitschrift nature nanotechnology eine Studie veröffentlicht, in der es ein Gel vorstellt, das Alkohol bereits im Darm schnell und effizient abbaut. Auf diese Weise gelangt er nicht in die Blutbahn und die negativen Folgen des Konsums bleiben aus.

    Das Gel besteht aus Molkenproteinen, die mit Eisen überzogen sind. Dieses wirkt als Katalysator für eine Enzymreaktion und wandelt den Alkohol in harmlose Essigsäure um. Damit die Reaktion stattfinden kann, ist außerdem die Zugabe von Glukose und Gold-Nanopartikeln nötig, die miteinander reagieren und dabei Wasserstoffperoxid bilden.

    Bei Mäusen, denen erst das Gel und dann Alkohol verabreicht wurde, war der Alkoholspiegel nach einer halben Stunde um 40 Prozent reduziert. Ihre Blutwerte waren besser und wiesen weniger Acetaldehyd auf. Bei der Anwendung des Gels über zehn Tage beobachteten die Forschenden sogar einen nachhaltigen therapeutischen Effekt: Die Mäuse, die zusätzlich zum Alkohol das Gel einnahmen, hatten weniger Organschäden, einen besseren Fettstoffwechsel und verloren weniger Gewicht als die, die nur Alkohol bekamen.

    Natürlich sei es gesünder, überhaupt keinen Alkohol zu trinken, sagt Studienautor Raffaele Mezzenga, Lebensmittelwissenschaftler an der ETH Zürich. „Das Gel könnte jedoch vor allem für Menschen interessant sein, die nicht ganz auf Alkohol verzichten, aber ihren Körper nicht belasten wollen und nicht aktiv nach der Wirkung von Alkohol suchen.“ Ein Patent wurde für das Wundermittel bereits angemeldet. Bevor es für den menschlichen Gebrauch zugelassen werden kann, sind aber noch einige klinische Tests nötig.

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