Stonehenge-Erbauer zogen mitsamt ihren Megalithen um

Es gibt Hinweise darauf, dass die berühmten Blausteine von Stonehenge zuvor Teil anderer Bauwerke waren. Die Erbauer nahmen sie einfach mit – aus sentimentalen Gründen.

Von Robin George Andrews
Veröffentlicht am 15. Feb. 2021, 16:26 MEZ
Stonehenge, das vor etwa 4.600 Jahren fertiggestellt wurde, ist möglicherweise zum Teil aus Bestandteilen älterer megalithischer ...

Stonehenge, das vor etwa 4.600 Jahren fertiggestellt wurde, ist möglicherweise zum Teil aus Bestandteilen älterer megalithischer Monumente entstanden, die Hunderte von Kilometern entfernt errichtet wurden.

Foto von Kenneth Geiger, Nat Geo Image Collection

Es ist nicht schwer zu verstehen, warum Stonehenge eine der bekanntesten archäologischen Stätten der Welt ist. Der 4.600 Jahre alte Steinkreis auf der südenglischen Hochebene Salisbury Plain wurde von Menschen erbaut. Eindeutige Hinweise auf seinen Zweck oder auf ihre eigene Identität hinterließen sie jedoch nicht – zwei Mysterien, die Archäologen, moderne Druiden, Science-Fiction-Autoren und Touristen schon lange beschäftigen.

Eine Studie, die in der Fachzeitschrift „Antiquity“ veröffentlicht wurde, bietet eine weitere Wendung in der Saga von Stonehenge: Die Weltkulturerbestätte ist eventuell kein „Originalwerk“. Ein Team von Forschern hat einen möglichen Vorläufer von Stonehenge in den Überresten eines noch älteren Monuments in Wales gefunden.

Der walisische Megalithkreis von Waun Mawn hat vergleichbare Dimensionen wie Stonehenge, ist ähnlich zur Sonne ausgerichtet und scheint einige der gleichen Baumaterialien zu enthalten. Aber im Gegensatz zu Stonehenge hat er nur wenige erhaltene Steine. Das Forschungsteam vermutet, dass die Erbauer von Waun Mawn das Monument vor 5.000 Jahren abbauten und einige der drei Tonnen schweren Blausteine 280 Kilometer östlich in die Salisbury Plain transportierten – ein extrem mühsames (und aus praktischer Sicht unnötiges) Unterfangen. Warum also das Ganze?

Der ehemalige Kreis von Monolithen bei Waun Mawn in Wales bei Probegrabungen im Jahr 2017. Das Profil eines Steinsockels, der an diesem Ort entdeckt wurde, stimmt mit dem eines Blausteins überein, der in Stonehenge steht. Das deutet darauf hin, dass er absichtlich aus einer Entfernung von etwa 280 Kilometern zur heutigen Welterbestätte in England gebracht wurde.

Foto von A. Stanford

Für die alten Briten müssen die Blausteine „nicht nur Wertgegenstände gewesen sein, sondern die Essenz ihrer selbst“, sagt Michael Parker Pearson, ein Experte für britische Vorgeschichte am University College London und Hauptautor der Studie. Pearson, dessen Arbeit zum Teil von der National Geographic Society gefördert wird, vermutet, dass die Entdeckung in Waun Mawn eine besonders aufschlussreiche Hypothese untermauern könnte: Die Blausteine von Stonehenge (benannt nach ihrer Farbe) waren die physischen Repräsentationen ihrer Vorfahren oder ihrer Erinnerungen an die Ahnen. Die neolithischen Briten trugen buchstäblich das Gewicht ihrer Vorfahren auf ihren Schultern durch das Reich.

In diesem Stadium der Forschung ist es jedoch unmöglich, eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen – und das ist etwas, das sowohl die Autoren der Studie als auch externe Experten anerkennen. „Eines der Dinge, die ich immer an Stonehenge mochte, ist, dass es eine Menge Fragen gibt, die wahrscheinlich nie beantwortet werden können“, sagt Kate Fielden. Die stellvertretende Vorsitzende von Rescue - The British Archaeological Trust war nicht an der Forschung beteiligt. „Ich mag die Idee dieses Mysteriums.“

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    Durch wegweisende Fortschritte in der Archäologie schrumpfte die Zahl der möglichen Entstehungsgeschichten von Stonehenge in den letzten Jahrzehnten. Die Ausrichtung des Monuments auf die Sommer- und Wintersonnenwende deutet auf einen astronomischen Zusammenhang hin, und die Vielzahl der verbrannten menschlichen Überreste an der Stätte lässt auf eine Verbindung mit den Toten oder der Ahnenverehrung schließen.

    Ein Blick auf Waun Mawn von Norden während der Ausgrabung im Jahr 2018. Der Steinkreis liegt an der Seite eines Hügels, der als „Hillock of the Deer“ bekannt ist. In Richtung Westen ist der Blick auf Irland ungestört.

    Foto von A. Stanford

    Stonehenge besteht aus lokalen Sandstein-Sarsensteinen um den äußeren Ring und das innere Hufeisen. Innerhalb des Kreises befinden sich kleinere Dolomit-Blausteine aus Wales.

    Foto von Bruce Dale, Nat Geo Image Collection

    Stonehenge wurde nicht gerade in Windeseile gebaut. Die Konstruktion begann vor 5.000 Jahren und das Monument durchlief im Laufe der folgenden Jahrhunderte verschiedene Formen. Letztendlich wurde es aus zwei Arten von Steinen gebaut: Sarsensteine – 20 Tonnen schwere Sandsteinplatten, die das größere zentrale Hufeisen und den stehenden äußeren Steinkreis bilden – und ein innerer Bogen aus kleineren, drei Tonnen schweren Blausteinen. Geochemische Analysen weisen darauf hin, dass die Sarsensteine aus West Woods stammen, das nur einen Steinwurf von Stonehenge entfernt liegt.

    Die Blausteine hingegen sollen fast 320 Kilometer weit von den Preseli Hills im Westen von Wales auf dem Landweg hergeschleppt worden sein. Parker Pearson und seine Forscherkollegen fanden kürzlich in zwei walisischen Steinbrüchen perfekte Übereinstimmungen mit den Blausteinen von Stonehenge.

    Die Reise dieser Blausteine erinnert an eine alte Legende, stellen Archäologen fest: In der „Historia regum Britanniae“ aus dem 12. Jahrhundert erzählt Geoffrey von Monmouth, wie der Zauberer Merlin den Tanz der Giganten – einen uralten Steinkreis in Irland – auseinanderriss und 15.000 Männer einsetzte, um ihn auf der Salisbury Plain wiederaufzubauen.

    Diese kuriose Geschichte über die Launen eines Zauberers hat wenig Grundlage in der Realität. Dennoch warf die Tatsache, dass die Blausteine von Stonehenge aus Wales kamen, direkt gegenüber der Küste Irlands, die Frage auf, ob der Mythos einen Funken Wahrheit enthalten könnte. Gab es einen Vorläufer von Stonehenge irgendwo im Westen Großbritanniens? Das Team um Pearson, zu dem Archäologen, Geologen, Luftbildphotogrammetrie-Experten und Spezialisten für Radiokarbon- und Kristalldatierungen gehörten, konnte der Herausforderung nicht widerstehen. Sie verbrachten einen Großteil des letzten Jahrzehnts damit, genau das herauszufinden.

    Suche nach den Stonehenge-Vorgängern

    Waun Mawn, dessen Verbindung zu Stonehenge erstmals 2010 festgestellt wurde, sieht heute nicht mehr besonders eindrucksvoll aus: nur vier Blausteine, die in einem möglichen Bogen angeordnet sind. Im Jahr 2011 setzten Archäologen Fernerkundungstechnologie ein, um unter die Oberfläche der Stätte zu blicken – aber sie fanden nichts Interessantes.

    Aufgrund einer Vermutung kehrte das Team 2017 nach Waun Mawn zurück und hob an beiden Enden des Bogens kleine Gräben aus. Sie fanden zwei Gruben, in denen sich einst aufrechtstehende Steine befanden. „Das war wirklich ein Moment, in dem ich dachte: Wow, vielleicht sind wir endlich auf der richtigen Spur“, sagt Parker Pearson.

    Geophysikalische Untersuchungen offenbarten jedoch keine weiteren Gruben mehr, in denen Steine gestanden hätten. Fernerkundungstechniken haben dabei geholfen, unter die Oberfläche von Stonehenge zu blicken. Dass dieselben Methoden in Waun Mawn versagten, selbst nach den vielversprechenden Beweisen in den ausgehobenen Gräben, war sowohl ironisch als auch frustrierend.

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    „Es gibt nichts Schwierigeres, als zu versuchen, einen Steinkreis zu finden, der nicht mehr existiert“, sagt Parker Pearson.

    Das Forschungsteam stellte schließlich fest, dass es in diesem Bereich von Wales keine magnetischen Mineralien oder elektrisch leitenden Gesteine gab. Diese sind aber für die Fernerkundungsausrüstung notwendig, damit sie zuverlässig funktioniert. „Modernes Hightech reichte für diese Aufgabe nicht aus“, sagt Parker Pearson. „Wir mussten es nach alter Schule machen und alles von Hand erledigen.“

    Waun Mawns verschwundene Megalithen

    Nach monatelangen Grabungen und Untersuchungen des Bodens auf kleinste Veränderungen in Textur, Farbe und Topografie entdeckten die Archäologen weitere Gruben. Diese „Steinsockel“ umfassten ein Segment dessen, was ursprünglich ein 110 Meter breiter Kreis war – der gleiche Durchmesser wie der Graben, der Stonehenge umschließt. Wenn alle Steine in Waun Mawn noch in ihren Sockeln stünden, wäre das Monument nach dem Sonnenaufgang zur Sommersonnenwende ausgerichtet – genau wie Stonehenge.

    Als nächstes wandte sich das Forschungsteam der Radiokarbondatierung von Holzkohle aus der Stätte zu sowie der sogenannten optisch-stimulierten Lumineszenz-Datierung. Letztere zeigt an, wann die quarzreichen Sedimente in den Steinsockeln das letzte Mal dem Sonnenlicht ausgesetzt waren. Zusammen legen die Ergebnisse nahe, dass Waun Mawn vor 5.000 bis 5.600 Jahren erbaut wurde, also noch vor dem Bau von Stonehenge.

    Ein freigelegter Steinsockel von Waun Mawn. Die Archäologen suchten nach winzigen Unterschieden in der Bodenfarbe, -textur und -topografie, um Löcher zu identifizieren, in denen sich die stehenden Steine des alten Monuments einst befanden.

    Foto von Bruce Dale, Nat Geo Image Collection

    Aber wohin verschwanden die Steine von Waun Mawn? Einer der Blausteine in Stonehenge lieferte einen Anhaltspunkt: einen sehr spezifischen Querschnitt, der mit einem der Steinsockel in Waun Mawn übereinstimmt. Darüber hinaus wiesen Gesteinssplitter am Boden einer der Waun-Mawn-Steinsockel eine geologische Übereinstimmung mit der spezifischen Blaustein-Art auf, die in Stonehenge verbaut wurde.

    Frühere Analysen menschlicher Skelettreste aus Stonehenge offenbarten chemische Hinweise darauf, dass einige der Toten aus dem Westen von Wales stammten. Zusammengenommen erzählten die Daten eine dramatische und unerwartete Geschichte: Der Steinkreis in Waun Mawn wurde von seinen Schöpfern abgebaut und auf die Salisbury Plain gebracht. Dort spiegelt die Erbauer sein Design und verwendeten einige seiner Blausteine, um Stonehenge zu errichten.

    Die Autoren der Studie halten dies für eine starke, aber vorsichtige Theorie, der auch einige unabhängige Experten zustimmen. Richard Madgwick, ein Archäologe an der University of Cardiff in Wales, hält die Idee, dass Stonehenge mindestens einen walisischen Vorläufer hat, für „ziemlich überzeugend“.

    Andere Experten sind jedoch der Meinung, dass es noch nicht genug Beweise gibt.

    „Die Suche nach Beweisen für die mündlichen Überlieferungen, die in Geoffrey von Monmouths Bericht eingebettet sind, ist ein interessanter Ansatz. Aber die Überreste, die bisher in Waun Mawn gefunden wurden, entsprechen nicht wirklich dem, was wir von einem Steinkreis aus dieser Zeit erwarten würden“, sagt Timothy Darvill, ein Archäologe an der University of Bournemouth. „Es ist eindeutig noch mehr Arbeit nötig, um die Behauptungen zu untermauern.“

    Welche Bedeutung hat Stonehenge?

    Da nur einer der 44 erhaltenen Blausteine von Stonehenge (vorerst) mit Sicherheit Waun Mawn zugeordnet werden kann, vermutet das Forschungsteam, dass die Steine von mehreren Standorten in der Region stammen könnten. Wenn dem so ist, deutet das darauf hin, dass Stonehenge für seine wandernden Erbauer von besonderer Bedeutung war – aber warum?

    Mehrere Studien der alten DNA zeigen, dass die Menschen, die vor 5.000 Jahren um Salisbury Plain herum begraben wurden, aus unterschiedlichen Regionen stammten. Einige kamen aus dem Westen von Wales und Irland, wo traditionell Steingräber errichtet wurden, während andere aus Ostengland kamen, wo sie in langen Grabhügeln bestattet wurden. „Das sind auch Gebiete, die traditionell unterschiedliche Lebens- und, man könnte sagen, Todesstile hatten“, sagt Parker Pearson.

    Stonehenge liegt genau zwischen diesen Gebieten. Pearson glaubt, dass das Monument als eine Art gemeinsamer „neutraler Boden“ dienen könnte, auf dem verschiedene neolithische Gruppen ihre kulturellen Unterschiede in Einklang bringen konnten.

    Jüngere Forschungen unter der Leitung von Madgwick unterstützen diese Idee. Sein Team fand eine Fülle von Schweineknochen bei Durrington Walls, einer neolithischen Stätte in der Nähe von Stonehenge. Chemische Analysen dieser tierischen Überreste ergaben, dass sie aus ganz Britannien stammten und bei riesigen Festmahlen verzehrt wurden. Die gesamte Stätte könnte das „Glastonbury [Festival] seiner Zeit“ gewesen sein, wo Menschen von der ganzen britischen Insel zusammenkamen, um ihre Identitäten und Erfahrungen zu teilen, sagt Madgwick.

    Diese neue Studie trägt zu der Vorstellung bei, dass die Menschen von Stonehenge alles andere als statisch und isoliert waren, sagt Vincent Gaffney. Der Archäologe an der University of Bradford in England war nicht an der Forschung beteiligt. Diese alten Briten, sagt er, lebten in „einer Gesellschaft, die nicht monolithisch war, die nicht stationär war, sondern flexibel, interaktiv. Es gab Bewegungen von Gütern, und es schien eine Bewegung von wesentlichen Teilen der materiellen Kultur zu geben.“

    Megalithen als Mementos

    Weniger klar ist, warum diese speziellen Blausteine von Wales nach Salisbury Plain geschleppt wurden. Aber Monolithen von der anderen Seite der Welt könnten eine Antwort darauf geben.

    In den 1990ern arbeitete Parker Pearson mit einem madagassischen Archäologen zusammen, der auf Madagaskar megalithische Bauwerke untersuchte, die bis heute weiterhin gebaut werden. Die Steine, erklärte sein Kollege, waren für die Ahnen. Holz verrottet. Stein hält ewig. Megalithen wurden verwendet, um die Toten darzustellen und im Grunde ihre Erinnerungen für die Ewigkeit lebendig zu halten.

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    Das Gleiche mag für diese wandernden walisischen Blausteine gelten. Sie wurden in Stonehenge aufgestellt, und wie viele Durchgangsgräber, die in dieser Epoche gebaut wurden, war ihre Anordnung nach den Bewegungen der Sonne ausgerichtet – einer weiteren ewigen Entität. Stonehenge könnte also nicht nur ein multikultureller Versammlungsort gewesen sein, sondern auch ein Monument des Gedenkens.

    Uns trennen 5.000 Jahre von diesen Menschen, dennoch fällt es leicht, ihren Wunsch nachzuvollziehen, ihre Ahnen zu verewigen. Diese Blausteine waren im Grunde drei Tonnen schwere Mementos, die heute eher die Form von Fotos, Briefen oder Schmuckstücken verstorbener Geliebter annehmen.

    Und genau wie die alten Briten nehmen wir diese Andenken mit, wenn wir umziehen.

    „Man nimmt das Objekt mit, das die eigene Identität verkörpert, die sich aus der Identität der Vorfahren ergibt“, sagt Parker Pearson.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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