Herculaneum: Rätsel um gläsernes Gehirn gelöst
2020 entdeckten Forschende im Kopf eines Toten in der Nähe von Pompeji ein gläsernes Gehirn. Nun konnten sie aufdecken, wie es entstand.

Schwarz schimmert das gläserne Gehirn eines ehemaligen Bewohners von Herculaneum. Es ist das einzige, das auf der Welt existiert. Nun haben Forschende herausgefunden, wie es zu Glas wurde.
In den 1960er-Jahren fanden Forschende bei Ausgrabungen in der Kultstätte Collegium Augustalium in der antiken Stadt Herculaneum den Leichnam eines jungen Mannes. Er war einst bei der Eruption des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. ums Leben gekommen. Der zunächst relativ unspektakuläre Fund entpuppte sich rund 60 Jahre später als wissenschaftliche Sensation. Denn bei einer genaueren Untersuchung im Jahr 2020 entdeckten die Forschenden im Kopf des Mannes ein schwarz schimmerndes Gehirn. Es war vollständig verglast.
„So etwas wurde bisher in keinem der hunderten Skelette der Opfer des Vesuvausbruchs von 79 n. Chr. gefunden“, sagt Pierpaolo Petrone, forensischer Archäologe an der Universität Neapel Frederico II, der an der damaligen Studie beteiligt war. Das gläserne Gehirn des Mannes sei „weltweit das einzige bekannte Beispiel dieser Art“.
Nun hat ein italienisch-deutsches Forschungsteam unter der Leitung des Vulkanologen Guido Giordano von der Universität Rom III herausgefunden, wie es entstand. Ihre Studie erschien in der Zeitschrift Scientific Reports.
Wodurch wurde das Gehirn zu Glas?
Glas entsteht in der Natur sehr selten, da seine Bildung die schnelle Abkühlung eines Materials wie Gestein oder Sand aus einem stark erhitzten, flüssigen Zustand erfordert. Letzteres gab es zumindest beim Ausbruch des Vesuvs. Sogenannte pyroklastische Ströme begruben damals die Städte Herculaneum und Pompeji unter sich – Lawinen aus glühend heißer Asche, Gasen und Gesteinsbrocken, die sich mit sehr hoher Geschwindigkeit hangabwärts bewegen.
Ob diese Ströme auch zur Verglasung des Gehirns beigetragen haben könnten, untersuchte das Forschungsteam mithilfe experimenteller Analysen. Dazu setzten die Wissenschaftler*innen die Gehirnfragmente variierenden Heiz- und Kühlzyklen aus. Das Ergebnis: Die pyroklastischen Ströme allein hätten das Hirngewebe nicht verglasen können. Sie erreichten zwar Temperaturen von bis zu 465 Grad Celsius, aber kühlten daraufhin nur langsam ab, was das organische Material vollständig zerstört hätte.
Also musste sich das Gehirn schon vorher zu Glas verwandelt haben. Die Forschenden vermuten, dass eine über 510 Grad Celsius heiße Gaswolke dafür verantwortlich gewesen sein könnte, die wahrscheinlich vor den pyroklastischen Strömen über die Stadt hinwegfegte. „Diese Wolke hinterließ nur eine wenige Zentimeter dicke Schicht feiner Asche auf dem Boden, hatte aber eine tödliche thermische Wirkung“, sagt Studienleiter Giordano. „Die Wolke muss sich dann ebenso rasch wieder aufgelöst haben, wodurch das Gewebe so schnell abkühlte, dass der Verglasungsprozess einsetzte.“ Diesen Prozess, bei dem eine Flüssigkeit zu Glas wird und eine Kristallisation ausbleibt, nennt man Vitrifizierung oder Vitrifikation.
Laut der Studie müssen die Umgebungsbedingungen im Collegium Augustalium besonders günstig gewesen sein, da das gläserne Gehirn des Mannes bisher das einzige aus Herculaneum ist.
Gaswolken: Unscheinbar, aber extrem gefährlich
Die Untersuchung des Teams zeigt, dass selbst solche Gaswolken, die keine großen Schäden an Gebäuden verursachen, aufgrund ihrer extrem hohen Temperatur tödlich für Lebewesen sein können. Die Erkenntnisse helfen nicht nur bei der Rekonstruktion der historischen Ereignisse, sondern auch beim heutigen Katastrophenschutz, so Giordano. Laut ihm könnten dadurch effektivere Präventions- und Schutzmaßnahmen in betroffenen Gebieten getroffen werden.
