Haie leben länger als gedacht: Ein Problem für den Artenschutz?

Die Radioaktivität von Atombombentests hat laut einer neuen Studie dabei geholfen, die lange Lebenserwartung der Tiere aufzudecken.

Von Elizabeth Armstrong Moore
Veröffentlicht am 15. Nov. 2017, 11:20 MEZ
Grönlandhai
Grönlandhaie schwimmen nur etwa 1,2 Kilometer pro Stunde – bei dieser Geschwindigkeit können sie nur schlafende Robben jagen.
Foto von Paul Nicklen, National Geographic Creative

Wir Menschen versuchen oft alles Mögliche, um jünger zu wirken, als wir sind. Haie, so scheint es, schaffen das auf ganz natürliche Weise.

Vor etwa zehn Jahren deuteten Studien erstmals darauf hin, dass viele Haie wahrscheinlich eine höhere Lebenserwartung haben, als man bislang vermutete. Nach einer Analyse von Daten aus mehr als 50 Studien kamen Forscher zu dem Schluss, dass die Lebensdauer zahlreicher Haie, Rochen und Knorpelfische unterschätzt wurde. 

Das liegt auch daran, dass neue Methoden zur Altersbestimmung von Haien – zum Beispiel die Radiokarbondatierung – sich als akkurater erweisen als die traditionelle Methode, bei der die Wachstumsringe an den Wirbeln gezählt wurden, erklärt Alastair Harry. Der Studienautor ist ein Fischereiwissenschaftler an der australischen James Cook University.

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„Die Wissenschaftler waren sich [der Unterschätzung des Alters] definitiv bewusst, aber das Ausmaß und die Häufigkeit waren ihnen vermutlich nicht ganz klar“, so Harry.

Die Ergebnisse wurden in „Fish and Fisheries“ veröffentlicht und deuten darauf hin, dass Haie – von Weißen Haien über Sandtigerhaie bis zu Schwarzhaien – Jahrzehnte länger die Ozeane durchschwimmen, als bisher vermutet wurde.

Erst 2016 fanden Wissenschaftler heraus, dass Grönlandhaie, die in den kalten, arktischen Gewässern zu Hause sind, mehrere Jahrhunderte alt werden können. 

Das Schwierige daran ist den Forschern zufolge, dass das für den Artenschutz ein Problem bedeuten kann.

WACHSTUMSRINGE

Nachdem Harry 53 der bisher untersuchten Haipopulationen überprüft hatte, kam er zu dem Schluss, dass das Alter von 30 Prozent dieser Populationen unterschätzt wurde.

Das Alter eines Hais zu schätzen, ist keine leichte Aufgabe. Ihnen fehlen sogenannte Otolithen (Ohrensteine) – kleine Kalziumkörnchen im Innenohr, die im Laufe des Lebens eines Knochenfischs in regelmäßigem Abstand neue Schichten ausbilden. Diese Schichten kann man ähnlich den Ringen eines Baumes zählen – und die Methode funktioniert. (Lesenswert: Dieses Tier wird unfassbare 11.000 Jahre alt)

In Ermangelung dieses Hilfsmittels haben Wissenschaftler also jahrzehntelang das nächstbeste Merkmal gezählt: Die kalzifizierten Wachstumsringe, die sich an den Wirbeln der Tiere bilden.

BELIEBT

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    Der Weiße Hai ist eine der Arten, deren Lebenserwartung von der Wissenschaft bisher wahrscheinlich unterschätzt wurde.
    Foto von Brian Skerry, National Geographic Creative

    Das Zählen dieser Ringe ist ebenso Kunst wie Wissenschaft. Verschiedene Wissenschaftler können beim selben Hai auf eine unterschiedliche Anzahl von Ringen kommen, weshalb manchmal auch einfach der Durchschnitt gebildet wird, sagt George Burgess. Der ehemalige Leiter des Haiforschungsprogramms vom Florida Museum of Natural History war an der neuen Studie nicht beteiligt.

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    Die neuen Funde zeigen, dass die Wachstumsringe umso weniger mit dem tatsächlichen Alter des Hais übereinstimmen, je älter der Hai ist. Laut Harry sind diese Ringe also nicht immer verlässliche Indikatoren.

    MIT HILFE DER BOMBEN

    Gregor Cailliet, ein emeritierter Professor der Moss Landing Marine Laboratories in Kalifornien, beschäftigt sich seit den Siebzigern mit dem Alter von Haien. Ihm zufolge kann die Ringmethode drei Ergebnisse erzielen:

    „Gut ist es, wenn die Wachstumszonen und das nachgewiesene Alter identisch sind. Schlecht ist es, wenn sie keine Korrelation haben. Und ganz schlecht ist es, wenn es Diskrepanzen gibt."

    Sandtigerhaie leben vermutlich ebenfalls länger als gedacht.
    Foto von David Doubilet, National Geographic Creative

    Harrys stichhaltige Analyse verdeutlicht die Schwierigkeiten bei der Altersbestimmung von Haien, besonders bei älteren Tieren, fügt Cailliet hinzu.

    Experten haben mittlerweile eine deutlich verlässlichere Methode entdeckt: Sie testen die Kohlenstoff-Radioisotope in den Wachstumsringen. Diese Isotope sind eine Art Zeitstempel für jeden Hai, der während der Atombombentests der 1950er und 1960er am Leben war, als sich die Konzentration der radioaktiven 14C-Atome in der Atmosphäre stark erhöhte.

    2007 testeten Forscher beispielsweise die Isotope in Heringshaien vor Neuseeland und fanden heraus, dass einige von ihnen 65 oder älter waren – mehr als doppelte Alter, das ihre Wachstumsringe vermuten ließen. 

    DAS GANZE AUSMASS DES PROBLEMS

    Auf dem Gebiet der Lebenserwartung von Haien ist noch mehr Forschung nötig. Von den 1.200 bekannten Hai- und Rochenarten wurden bisher nur ein paar Dutzend untersucht.

    Aber Harrys Studie ist schon Grund genug zur Besorgnis. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese Fische deutlich länger leben können, als unsere Methode des Zählens der kalzifizierten Wachstumsringe [vermuten lässt]. Das ist ein großer Grund zur Besorgnis“, so Burgess.

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    Naturschützer entwerfen ihre Vorgaben zum Artenschutz auf Basis der Lebenserwartung von Haien. Wenn diese unterschätzt wird, könnte das bedrohten Haiarten zusätzlichen Schaden zufügen.

    Der Kaiserbarsch Hoplostethus atlanticus ist dafür ein Paradebeispiel. Man nahm einst an, dass der Tiefseefisch etwa 30 Jahre alt werden kann – dementsprechend wurden auch die Regelungen für den Fang der Art aufgestellt. Dann stellte sich aber heraus, dass die Fische mehr als 100 Jahre alt werden können und damit erst deutlich später die sexuelle Reife erreichen und sich fortpflanzen. Die Art erholt sich derzeit noch immer von den Folgen der Überfischung.

    Burgess merkt aber an, dass Wissenschaft nun mal so funktioniert.

    „Die Botschaft, die wir predigen, ist nicht in Stein gemeißelt. Es sind Fingerabdrücke im Sand. Die nächste Welle wird sie fortspülen und wir werden die Formel wieder umschreiben.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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