Europas Bären: Rückkehr mit Hindernissen

Nach Wolf und Luchs etabliert sich auch der Braunbär wieder in Mitteleuropa. Ob die großen Tiere langfristig Teil der Ökosysteme bleiben werden, hängt vom Menschen ab.

Von Stephanie Glasa
Veröffentlicht am 30. Juli 2019, 15:38 MESZ
Eine Braunbärenmutter zieht mit ihrem Nachwuchs durch die finnische Taiga. Die Jungen bleiben bis zu dreieinhalb ...
Eine Braunbärenmutter zieht mit ihrem Nachwuchs durch die finnische Taiga. Die Jungen bleiben bis zu dreieinhalb Jahre bei ihrer Mutter, die sie energisch vor allen Gefahren verteidigt.
Foto von Shutterstock

Das Bild ist dunkel, dennoch lässt es keine Zweifel: Im Juni 2019 tappte ein Bär durch die Wälder Tirols nahe der bayerischen Grenze – und schließlich in die Fotofalle eines Jägers. Die einen lässt es hoffen, den anderen macht es Angst, denn in Deutschland gibt es Braunbären (Ursus arctos) seit rund 200 Jahren nur noch im Zoo.

Einst streiften Bären fast durch ganz Eurasien. Der Lebensraum der Art erstreckte sich von der Küste Portugals über die Weiten Russlands bis hin zur Ostküste des Kontinents an der Beringstraße. Durch konsequente Bejagung rottete der Mensch die großen Beutegreifer aber in weiten Teilen Europas aus. In Deutschland wurde der letzte heimische Braunbär im Jahr 1835 im bayerischen Ruhpolding geschossen.

Erst 171 Jahre später ließ sich wieder ein wildes Exemplar auf deutschem Boden blicken. Das 2004 geborene Tier „JJ1“, das von Medien den Spitznamen Bruno erhielt, war 2006 aus dem italienischen Trentino nordwärts gewandert und hatte wiederholt menschliche Siedlungen aufgesucht, um Bienenstöcke und Ställe zu plündern. Aufgrund dessen wurde es alsbald als „Problembär“ eingestuft.

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Problematisch war vor allem auch die rechtliche Situation rund um den Abschuss von Bruno: Laut der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie gelten Bären in Europa als streng geschützte Art und dürfen im Normalfall weder gefangen noch getötet werden. Der Landesjagdverband verweigerte seine Beteiligung an der Bärenhatz, nachdem wochenlang erfolglos versucht worden war, das Tier zu vergrämen oder lebendig zu fangen. Eine jagdkundige Einsatzgruppe erlegte Bruno schließlich Ende Juni 2006 mit einer staatlichen Abschussgenehmigung. Sein Kadaver wurde präpariert und wird seither im Münchner Museum Mensch und Natur ausgestellt.

Wo leben Europas Bären?

In Europa gibt es derzeit um die 17.000 Europäische Braunbären – also ungefähr so viele wie Wölfe –, die sich auf verschiedene stabile Populationen aufteilen. Die größte davon lebt in Rumänien in den Karpaten und umfasst mehr als 7.000 Tiere. Neben weiteren großen Beständen in Skandinavien und im Dinarischen Gebirge gibt es auch Populationen in Spanien und Frankreich. In den Alpen halten sich um die 50 Tiere auf, größtenteils im italienischen Trentino und in Südtirol.

Da Bären allerdings sehr wanderfreudig sind und auf ihren Streifzügen mehrere hundert Kilometer pro Saison zurücklegen können, kommt es immer wieder vor, dass sie wie damals Bruno Grenzen überqueren und sich neue Gebiete erschließen.

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Alpenbären auf dem Vormarsch

Seit einigen Jahrzehnten werden in mehreren Ländern Mitteleuropas Projekte zur Wiederansiedelung des Braunbären betrieben, damit er nicht endgültig aus seiner angestammten Heimat verschwindet – mit durchwachsener Bilanz.

Eine österreichische Initiative, die in den Achtzigern begann, hatte sich zunächst als erfolgreich erwiesen. Nachdem die Tiere dort Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet worden waren, konnte mit einem Bärenpaar wieder ein heimischer Bestand etabliert werden. Seit 1991 kamen in Österreich etwa 30 Bären zur Welt. Die Begeisterung darüber hielt sich in der Öffentlichkeit jedoch in Grenzen, da die Tiere mitunter Schafe rissen und Fischteiche plünderten. Nach und nach verschwanden die Bären wieder. Mehrere illegale Abschüsse wurden nachgewiesen, der Verbleib der restlichen Tiere blieb unklar. Seit 2011 gilt der Bestand wieder als erloschen.

In Italien, wo die Bären nie ganz verschwunden sind, zeigte das Wiederansiedlungsprogramm in den Alpen bislang den größten Erfolg. Nachdem die Tiere dort fast verschwunden waren, importierte man einige Bären aus Slowenien. Mittlerweile sind die Tiere wieder ein fester Bestandteil des Ökosystems. Aber auch in Italien trifft das Projekt nicht nur auf Freunde. Es kommt immer wieder vor, dass die Allesfresser Obstplantagen und Bienenstöcke plündern. Im Norden des Landes wandelte sich die anfängliche Zustimmung der Bevölkerung für das Projekt nach einigen nicht tödlichen Bärenangriffen auf Menschen in Angst.

Braunbären in Deutschland?

Moritz Klose ist WWF-Referent für Wildtiere in Deutschland und Europa. Dass sich eine Population der großen Beutegreifer auch in Deutschland wieder etablieren könnte, hält er mittelfristig für unwahrscheinlich. Fälle wie der von Bruno und des fotografierten Tieres zeigen aber, dass zumindest immer wieder mit der Einwanderung von Tieren aus dem Alpenraum zu rechnen ist. In Bayern fänden sie dabei laut Klose einen der wenigen geeigneten Lebensräume in Deutschland. Auch der Pfälzerwald würde sich für die Tiere anbieten, da er im Gegensatz zu anderen Mittelgebirgen wie dem Harz nicht so stark durch Straßen und Siedlungsräume zerschnitten ist. „Beim Pfälzerwald gibt es aber keine Nachbarpopulationen, aus denen Bären dorthin wandern könnten“, sagt er.

Im Winter durchstreift ein Europäischer Braunbär (Ursus arctos arctos) die verschneite finnische Landschaft auf Nahrungssuche. Finden sie ausreichend Futter, verzichten die Bären auf eine Winterruhe.
Foto von Shutterstock

Laut dem Managementplan für Braunbären des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), der im April 2007, also ein dreiviertel Jahr nach dem Bruno-Debakel eingeführt wurde, sollen Bären, die nach Bayern einwandern, ihren Lebensraum selbst wählen dürfen. Da die Konfliktvermeidung zwischen Bären und Menschen aber von zentraler Bedeutung ist, sollen die Tiere konstant beobachtet werden, um bei problematischem Verhalten sofort gegensteuern zu können.

Eine gezielte Wiederansiedlung, wie sie in Österreich versucht wurde, ist für Deutschland nicht geplant. „Das hat auch mit den Erfahrungen zu tun, die man mit anderen großen Beutegreifern wie Wolf und Luchs gesammelt hat“, sagt Klose. Sowohl beim Wolf, der von selbst wieder zurückgekehrt ist, als auch beim Luchs, der gezielt wiederangesiedelt wurde, ist das Konfliktpotenzial nach wie vor groß. Lange Zeit hatte es in Deutschland keine Raubtiere mehr gegeben, die mit Landwirten und Viehzüchtern um Ressourcen konkurrieren mussten, weshalb entsprechende Schutzvorkehrungen noch nicht flächendeckend vorhanden sind.

Bär und Mensch: Konflikte vermeiden

„Die mangelnde Akzeptanz für die Tiere gehört neben der Verkleinerung ihres Lebensraums zu den größten Gefahren für die Bären“, sagt Klose. Gerade deshalb sei die Einbeziehung der Öffentlichkeit in das „Bärenmanagement“ unerlässlich. Wenn die Bären überleben sollen, brauchen sie Raum, aber auch den Respekt des Menschen, der sie und ihre Bedürfnisse als Teil der Natur akzeptieren muss – gerade dann, wenn das Zusammenleben nicht immer ganz reibungslos funktioniert. Der WWF Deutschland koordiniert und leitet in diesem Kontext das europaweite Projekt Euro Large Carnivores. Hier wird nach Lösungen für das Zusammenleben von Menschen und großen Beutegreifen gesucht, also Wolf, Luchs, Bär und in Skandinavien auch Vielfraß.

Ein wichtiger Punkt: der Müll der Menschen. „Dort, wo Bären in der Nähe von Siedlungen leben, muss man Kompost und Abfall entsprechend bärensicher aufbewahren, damit sie davon nicht angelockt werden.“ Was ihre Nahrung angeht, sind die massigen Tiere nicht allzu wählerisch, ernähren sich aber größtenteils pflanzlich. Einen weiteren Schwerpunkt sieht Klose bei den Imkern, deren Bienenkörbe für Bären ein beliebtes Ziel sind. Als einfache und wirksame Schutzmaßnahme empfiehlt er dort die Installation von Elektrozäunen. Zu Viehrissen durch Bären komme es ihm zufolge eher selten, „aber auch da helfen dann entsprechende Elektrozäune oder Herdenschutzhunde.“

In einem Aktionsplan für den Schutz des Braunbären in Europa empfahlen norwegische Wissenschaftler im Jahr 2000, Landwirte staatlich zu unterstützen. Ihre finanziellen Verluste sollten ausgeglichen werden und im Idealfall müssten sie staatliche Hilfe für Abwehrmaßnahmen erhalten.

Braunbären wie dieses Tier in einem Wald in Finnland können auf der Suche nach Nahrung oder einer Partnerin hunderte Kilometer zurücklegen.
Foto von Shutterstock

In vielen Ländern mit heimischen Bärenbeständen werden solche Vorschläge bereits umgesetzt. Von 2006 bis 2011 beliefen sich die Schadensersatzzahlungen pro Bär und Jahr in den italienischen Alpen beispielsweise im Schnitt auf 1.371 Euro, wie aus einer Studie hervorgeht, die 2012 vom Norwegischen Institut von Naturforschung durchgeführt wurde.

In Deutschland haftet der Staat grundsätzlich nicht für Schäden, die durch wildlebende Tiere verursacht wurden. Ausgleichszahlungen gibt es aber trotzdem, wenn die Verluste auf besonders gefährdete Tiere wie Wölfe, Bären oder Luchse zurückgehen. Der „Ausgleichsfonds Große Beutegreifer“, der größtenteils vom Bayerischen Naturschutzfonds finanziert wird, gleicht entsprechende finanzielle Einbußen aus.

Wie verhält man sich bei einer Bärenbegegnung?

In Deutschland hat man keine Chance, beim Wandern oder Campen einem der bis zu 350 Kilogramm schweren Tiere zu begegnen. Sollte es doch mal wieder ein Bär über die Grenze schaffen, gilt: keine Panik. Wie alle Wildtiere meiden auch Bären den Menschen in der Regel, wenn sie ihn rechtzeitig bemerken.

(Bärenvideo verdeutlicht die Risiken von Drohnenaufnahmen)

  • Bemerkbar machen: Beim Wandern in Bärengebieten wie den Karpaten ist es empfehlenswert, sich ein Glöckchen an den Rucksack zu binden. Dichtes Gebüsch sollte man meiden: Dort ist die Luftzirkulation schlecht und der Bär kann den Menschen im Zweifel nicht rechtzeitig wittern. Wenn die Tiere überrascht werden, können sie aggressiv reagieren – insbesondere, wenn es sich um Weibchen mit Jungen handelt.
     
  • Nahrung korrekt verstauen: „In Gebieten mit vielen Bären sollte man beim Zelten entsprechende Vorkehrungen treffen und Essen nicht offen liegen lassen oder mit ins Zelt nehmen“, sagt Klose. Alles, was nach Essen riecht, sollte man also fernab des Zeltes lagern.
     
  • Ruhig bleiben: Sollte es zu einer unverhofften Bärenbegegnung kommen, empfiehlt Klose vor allem eines: „Auf keinen Fall sollte man weglaufen oder auf den Bären zugehen. Am besten bleibt man stehen, macht sich groß, hebt die Arme in die Luft und zieht sich ganz, ganz langsam rückwärts laufend zurück.“ Allerdings sind Bären von Natur aus neugierig. So kann es vorkommen, dass sie sich aufrichten, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen, oder auf den Menschen zukommen. „Auch, wenn es schwerfällt, sollte man selbst in diesem Fall nicht wegrennen, sondern sich groß machen. Bären greifen wirklich in den allerwenigsten Fällen an.“

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