Diese Schlangen können springen – und keiner weiß warum

Wer keine Gliedmaßen hat, aber auf Bäumen lebt, muss sich etwas einfallen lassen, um von A nach B zu kommen.

Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 17. Feb. 2020, 14:43 MEZ
Eine Bronzenatter genießt zwischen den Laborversuchen auf dem „Schlangen-Klettergerüst“ ein Sonnenbad.
Eine Bronzenatter genießt zwischen den Laborversuchen auf dem „Schlangen-Klettergerüst“ ein Sonnenbad.
Foto von Jake Socha

Für Tiere, die weder Arme noch Beine haben, kommen Baumschlangen ganz schön rum.

Viele Arten hangeln sich mit einer bestimmten Technik von Ast zu Ast: Sie strecken die vordere Hälfte ihres Körpers in die Luft, bis sie schließlich einen Ast oder etwas anderes erreichen, das massiv genug ist, um ihr Gewicht zu tragen.

Die fünf Arten der Schmuckbaumnattern, die in Asien heimisch sind, sind noch ein bisschen waghalsiger: Sie können ihren Körper in der Luft abflachen und wie Flughörnchen durch die Baumkronen gleiten – immerhin bis zu 90 Meter weit. Die Leistung hat ihnen den Spitznamen der fliegenden Schlangen eingebracht.

Nun scheint es also, als könnten auch australische Bronzenattern, die mit den Schmuckbaumnattern eng verwandt sind, solche gewagten Sprünge meistern.

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Nachdem ihr Promotionsberater Jake Socha 2010 Videoaufnahmen davon machte, wie eine Gefleckte Bronzenatter (Dendrelaphis pictus) in der Wildnis sprang, beschloss National Geographic Explorer Michelle Graham, der Sache auf den Grund zu gehen.

Die Doktorandin an der Virginia Tech reiste nach Australien und entnahm dort ein paar Bronzenattern aus der Wildnis, die sie später wieder freiließ. In ihrem Labor baute sie aus PVC-Rohren, Ästen und GoPro-Kameras eine Art Parcours für die Tiere, um ihre Fortbewegung zu erforschen.

„Im Grunde ist das ein kleines Klettergerüst für Schlangen“, sagt Graham.

Indem Wissenschaftler untersuchen, wie sich Schlangen in ihrem Lebensraum fortbewegen, können sie mehr über die vielfältigen Bewegungsformen im Tierreich herausfinden. Das lässt am Ende auch Schlüsse darüber zu, wie sich solche bizarren Fortbewegungsarten entwickelt haben.

Schlangen in der dritten Dimension

Die meisten Menschen finden es vermutlich ganz selbstverständlich, sich größtenteils auf einer zweidimensionalen Ebene fortzubewegen. Wer einen Fuß vor den anderen setzt, kann sich recht sicher sein, dass bei jedem Schritt fester Boden auf ihn wartet.

Für Tiere, die auf Bäumen leben, ist die Welt dagegen eine eher zusammenhanglose Angelegenheit. Vögel navigieren in diesem dreidimensionalen Raum, indem sie fliegen. Brüllaffen schwingen sich von Ast und Ast. Und Faultiere greifen einfach nach dem nächstbesten Ast, der ihres Weges kommt. Aber für alle diese Strategien sind Gliedmaßen nötig, die Schlangen einfach nicht haben.

„Das Spannende an diesen Schlangen ist, dass sie zu all diesen interessanten Fortbewegungsarten fähig sind – ohne Gliedmaßen“, sagt Graham.

BELIEBT

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    Natürlich war es nicht einfach, die wilden Tiere dazu zu bringen, ihr Sprungverhalten im Labor vorzuführen. Das erste Exemplar, das Graham fing, war ein ziemlich großes Weibchen, „das sich kein Stück fürs Springen interessierte“.

    Aber ihre Beharrlichkeit zahlte sich aus. Nachdem sie mehrere Bronzenattern verschiedener Größe eingefangen hatte, konnte Graham verifizieren, dass sich die Tiere dieser Gattung tatsächlich über Sprünge fortbewegen.

    Dafür ziehen sie sich unterhalb ihres Ziels – beispielsweise ein Ast – zusammen und katapultieren sich dann nach oben, sodass sie mit der Wucht ihres Sprungs den Zwischenraum überbrücken. Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse plant Graham noch dieses Jahr in zwei Fachmagazinen zu veröffentlichen.

    Springen aus Spaß?

    Nun, da Graham bestätigt hat, dass diese Schlangen springen können, bleibt noch die Frage nach dem Warum.

    Auf Anhieb scheint die Antwort offensichtlich. Aber Graham zufolge gibt es tatsächlich noch keine sinnvollen Hinweise darauf, wieso Tiere, die gleiten können, sich auf diese Weise fortbewegen. Manche Forscher vermuten, dass springende und gleitende Schlangen, Hörnchen und Echsen damit Zeit oder Energie sparen. Aber es gibt „keine empirischen Studien, die [diese Theorien] stützen“ und belegen könnten.

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    „Wenn man die erste Person ist, die dieses Verhalten untersucht, bedeutet das auch, dass man den Kontext nicht wirklich kennt, in dem die Schlange das Verhalten zeigt“, sagt Graham. Ist das Springen „ein Fluchtverhalten? Ist es ein normales Transportverhalten? Machen sie das einfach aus Spaß? Es weiß einfach niemand.”

    Der Morphologe Bruce Jayne von der University of Cincinnati in Ohio hält Grahams Entscheidung, die nahen Verwandten der fliegenden Schlagen zu erforschen, für clever. Dieser Ansatz könnte ein besseres Verständnis dafür schaffen, wie sich das Gleiten und Springen evolutionär entwickelt hat.

    „Wie besonders ist diese Fähigkeit der fliegenden Schlangen tatsächlich?“, fragt Jayne. „Wenn wir uns ihre nahen Verwandten ansehen, finden wir dort auch Beispiele für dieses Verhalten. Vielleicht befinden sich die fliegenden Schlangen ja nur an einem Ende eines Kontinuums.“

    In jedem Fall bewundere er Grahams Arbeit, wie er sagt – weil er weiß, wie schwierig es ist, gerade diese Schlangen zu erforschen.

    „Bei solcher Forschung ist man sehr vom Zufall abhängig“, sagt Jayne. „Aber angesichts der Erfolgsbilanz [von Sochas Labor] glaube ich, wenn es irgendwer schaffen kann, dann diese Gruppe.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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