Plage oder Superfood? Maikäfer zum Mittagessen

Landete der Maikäfer früher noch im Suppentopf, rückte man ihm in den 50er Jahren mit Insektengift zu Leibe. Heute hat sich der Bestand leicht erholt – werden wir Maikäfer in Zukunft wieder als Proteinquelle nutzen?

Von Anna-Kathrin Hentsch
Veröffentlicht am 1. Sept. 2020, 15:36 MESZ
Maikäfer zum Mittagessen

Maikäfer flieg! Nach erfolgreichem Flug landete der braune Käfer hierzulande noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts als Nahrungsmittel auf dem Teller. Seitdem ist viel passiert und sein Bestand ist extrem zurückgegangen.

Foto von Uwe Gruen, Stock.adobe.com

Das massenhafte Vorkommen der Feld- und Waldmaikäfer (Melolontha melolontha und M. hippocastani) ist lange her und existiert nur noch in Erinnerungen. Durch den massiven Einsatz von Insektiziden wurden die braunen Brummer in den 50er Jahren massiv bekämpft und verschwanden damit nicht nur aus der Natur, sondern auch von deutschen Speisekarten.

Maikäfersuppe: Verbreitetes Insektengericht

Die Maikäfersuppe oder kandierte Maikäfer waren bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Frankreich verbreitete Insektengerichte. Während in vielen Teilen der Welt auch heute noch traditionell Insekten auf den Tellern landen, hat der Verzehr im europäischen Raum an Bedeutung verloren. Dabei wurden in der Antike Insekten auch in Europa noch als Delikatesse angesehen. „Römer und Griechen verzehrten Heuschrecken und Termiten, die in dieser Zeit als Delikatesse und hochwertiges Nahrungsmittel galten. Ebenso wurden im 19. Jahrhundert in Deutschland und Frankreich Maikäfer verzehrt“, weiß Folke Dammann, Inhaber von Snack-Insects – eine Firma die Nahrungsmittel aus Insekten herstellt.

Das bestätigt ein Artikel der Fuldaer Zeitung 1925: „Unsere Studenten essen die Maikäfer ganz roh, ganz wie sie sind und nicht wenige ohne den geringsten Nachteil. In vielen Konditoreien sind sie verzuckert zu haben, und man isst sie kandiert in Tafeln zum Nachtisch.“ Auch das Magazin für Staatsarzneikunde aus dem Jahr 1844 beschreibt die Maikäfersuppe als „vortreffliches und kräftigendes Nahrungsmittel“. Es folgt ein Rezept, denn „unsere Hausfrauen wird es schließlich interessieren, daß die Maikäfer auch für die Küche zu verwenden sind. Man kann sie folgender Weise zu Suppe benützen: Morgens in der Frühe gesammelte Käfer – auf einen Teller rechnet man 15 Stück – werden in ein feines Sieb getan und mehrmals schnell mit kochendem Wasser überschüttet.

Dann werden sie getrocknet und hierauf mit einem Mörser zu Brei gestoßen. Dieser Brei wird gesalzen, mit Fleischbrühe ans Feuer gesetzt, das Ganze noch nach Geschmack gewürzt und schließlich die Suppe durch ein feines Sieb getrieben.“ Der Autor hebt zudem die geschmacklichen Gemeinsamkeiten zu Krebssuppe hervor, indem er beschreibt, dass „Kenner versichern, dass diese Maikäfersuppe weder in Aussehen, noch Geruch und Geschmack“ sich von dieser unterscheide, und „daß die Täuschung eine unbedingte sei, wenn zur weiteren Ausstattung noch einige Krebsschalen hineingetan würden.“ Dem Hinweis auf die guten Eigenschaften des Maikäfers folgt noch der Wunsch, die Maikäfer mögen sich hoffentlich für das Lob „nicht etwa durch eine Massenvisite“ bedanken.

Invasion der Maikäfer

Die Furcht vor einer Massenvisite der Maikäfer war damals nicht unbegründet. Von der Verzweiflung und Machtlosigkeit gegenüber dem brummenden Heer zeugt bereits ein Gerichtsbeschluss in Avignon aus dem Jahr 1320: Der Beschluss befahl den zwar offiziell vorgeladenen, dennoch bei der  Verhandlung abwesenden, angeklagten Maikäfern, sich „binnen drei Tagen auf ein ihnen durch Tafeln bezeichnetes Feld zurückzuziehen (…), woselbst Nahrung für sie vorhanden sei, und dass die Zuwiderhandelnden als vogelfrei behandelt und ausgerottet werden sollten.“

Mit einem klareren Ziel vor Augen ging man im Jahr 1660 im Schweizer Kanton Uri vor, indem extra Käfervögte bestellt und Vorschriften zum Sammeln der Maikäfer erlassen wurden. Denn Einsammeln war lange Zeit die einzige Bekämpfungsmethode. So wurden im Jahr 1909 allein im Kanton Zürich rund 350 Millionen Käfer gesammelt und abgeliefert. In Deutschland kamen im Jahr 1911 auf rund 1800 Hektar 22 Millionen Maikäfer zusammen. Während des Massenflugjahrs 1938 riefen die Behörden in Schleswig-Holstein die „Maikäferschlacht“ aus und zahlten den Sammlern eine Prämie von fünf Pfen­nigen pro abgeliefertes Kilo. Noch im Jahr 1951 wurden in Wien eine Milliarde Tiere gesammelt, die von der städtischen Tierkörperverwertungsanstalt zu Maikäfermehl verarbeitet und als eiweißhaltiges Tierfutter weiterverkauft wurde.

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    Die Sammler waren meistens Kinder. Schulklassen wurden losgeschickt, um die Käfer massenweise einzusammeln und sie als Tierfutter für Schweine oder Hühner auf die Bauernhöfe zu bringen. Während die Erwachsenen die Maikäfer als Plage und Nahrungsmittel sahen, gewannen die Kleinsten ihnen Positives ab. Die schönsten Käfer wurden in Kartons aufbewahrt und untereinander getauscht. Dabei bestimmten die Größe und Farbe den Wert der Krabbler: Am wertvollsten waren die seltenen, rötlichen „Kaiser“, gefolgt von den dunklen, haarfreien „Schornsteinfegern“ und den mit hellem Flaum bedeckten „Müllern“.

    Insektizide gegen den gefräßigen Feind

    Für viele Landwirte war das massenhafte Vorkommen der Maikäfer dagegen ein ernstzunehmendes Problem. Geschlüpfte Maikäfer fressen innerhalb von sechs Wochen – während des Reifefraßes vom Schlüpfen bis zum Absterben der Käfer nach erfolgreicher Fortpflanzung – ganze Areale kahl. Ein Ärgernis, auch wenn meist ein neuer Blattaustrieb erfolgt. Ein weit größeres Problem und Ursache für massive Ernteausfälle und Waldschäden ist der Wurzelfraß der Engerlinge: Die gefräßigen Larven des Käfers bleiben vier Jahre im Boden und ernähren sich dort von den Wurzeln der Pflanzen, die letztendlich absterben können.

    Deshalb rückte man dem Maikäfer besonders in den 50er Jahren mit dem Insektizid DDT auf den Leib. Laut NABU war der braune Käfer wegen Verfolgung als Schädling und Vergiftung fast ausgestorben. Doch der Zeitgeist hatte sich geändert und das Verschwinden des Maikäfers wurde schnell zum Sinnbild für die zerstörerische Kraft des Menschen gegen die Natur.

    Die Biologische Bundesanstalt rief 1974 erneut zum Maikäfersammeln auf. Trotz einer Prämie von fünf Mark pro Stück wurden aber nur sechs Käfer abgeliefert. Im selben Jahr sang Reinard Mey in seinem Lied „Es gibt keine Maikäfer mehr“ die Zeilen, die man nur versteht, wenn man um die Geschichte des Maikäfers in Deutschland weiss: „Würd' ich heut' noch einmal loszieh'n/ Blieb mein Schuhkarton wohl leer. Selbst ein guter Käferjäger/ Brächte keinen Schornsteinfeger/ Keinen Müller, erst recht keinen Kaiser her. Es gibt keine Maikäfer mehr“.

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    Der Maikäfer verschwand aus den Wäldern und auch vom menschlichen Speiseplan. „Der genaue Grund ist natürlich schwer zu definieren“, meint Folke Dammann von Snack-Insects. „Zum einen nahm das Vorkommen der Käfer durch den Einsatz neuer Pestizide in der Landwirtschaft in Deutschland stark ab. Dazu kam das Wirtschaftswunder nach dem 2.Weltkrieg und das daraus resultierende neue Konsumverhalten der Bevölkerung“. 

    Die Maikäfer sind zurück

    Im Jahr 1972 wurde DDT bundesweit verboten. In den letzten Jahren hat sich er Bestand etwas erholt, denn großflächige chemische Bekämpfungsmaßnahmen, die auch für andere Insekten lebensgefährlich waren, gibt es nicht mehr.  Besondern im Südwesten Deutschlands kommt es zu Massenvermehrungen und ab Mitte April schlüpfen die braunen Käfer aus der Erde. Ungefähr alle vier Jahre gibt es ein sogenanntes Maikäferjahr, bedingt durch den Entwicklungs- und Vermehrungszyklus der Tiere. Dann hängen Tausende in den Ästen der Eichen- und Buchenwälder oder Obstwiesen und fressen vor sich hin. Lokal kommt es wieder zu forstlichen Problemen durch den Waldmaikäfer und zu Beschwerden der Landwirte.

    Doch das heute Vorkommen ist kein Vergleich zu den Schwarmgrößen Anfang des 20. Jahrhunderts, erklärt Jürgen Trautner, Käferexperte des Instituts Arbeitsgruppe für Tierökologie und Planung: „Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Maikäferarten abgenommen haben, und zwar sowohl in der Dichte ihres räumlichen Auftretens, als auch - speziell beim Feldmaikäfer - in der Anzahl an Tieren, die in Jahren mit Massenauftreten und den Jahren dazwischen zu beobachten sind“.

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    Er berichtet von eigenen Erinnerungen an das Massenauftreten der Maikäfer, als man in den 1960er Jahren in Franken nicht „entlang von Waldrändern und durch Obstbaumwiesen über lange Strecken laufen konnte, ohne dass das zu hörende Fressgeräusch aus den Bäumen verschwunden wäre und man beim Laufen nicht ständig Käfer zertreten hätte. In Südkärnten habe ich in den 1980er Jahren ein Massenauftreten erlebt, in Folge dessen eine dicke Schicht tote und sterbende Käfer innerorts Straßen und Gehwege flächig überzog und diese zu großen Haufen zusammengekehrt wurden, wie beim Schneeräumen“.

    Trautner geht davon aus, dass die früheren Bekämpfungen maßgeblich für den Rückgang von Maikäfern waren. „Maikäfer-Kalamitäten wurden in großem Umfang mit Insektiziden bekämpft und werden auch aktuell noch in denjenigen Gebieten, in denen forstliche Ertragseinbußen auftreten, wie etwa in Waldgebieten auf Sandböden des Oberrheins, durch verschiedene Maßnahmen kontrolliert.“ Doch für den Experten muss auch der Maikäfer geschützt werden. „Primär geht es um den Schutz der biologischen Vielfalt insgesamt, also auch des Maikäfers.“

    Insekten stehen in vielen Nationen traditionell auf dem Speiseplan. Auch hierzulande freundet man sich mehr und mehr mit dem Thema an. Kehrt der Maikäfer auf die Teller zurück?

    Foto von Snack Insects

    Maikäfer als Superfood 2030?

    In den vergangenen Jahren krabbelten rund fünf Milliarden Käfer in den Wäldern zwischen Darmstadt und Mannheim. Und es werden in den kommenden Jahren nicht weniger. Wird der Maikäfer, auch angesichts der Nahrungsmittelknappheit, als Proteinlieferant wieder auf unserem Speiseplan landen? Für Folke Dammann von Snack-Insects fehlt dem Maikäfer das Potential zum Superfood 2030: „Zum einen gibt es leider kaum noch Maikäfer, zum anderen sollte man auf spezielle Zuchtinsekten zurück greifen, bei denen die Aufzucht, Fütterung und Weiterverarbeitung entsprechend kontrolliert wurde. Solche Zuchtinsekten werden schon seit einigen Jahren in Europa für den Verzehr produziert und werden so den Maikäfer als künftiges Superfood 2030 ersetzen.“

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    Insekten werden sicherlich in Zukunft einen Anteil zu einer nachhaltigeren Proteinversorgung im Lebensmittel- und Futtermittelbereich beitragen. „Der Klimawandel schreitet weiter voran, die Weltbevölkerung wächst. Trinkwasserknappheit, eine ungewisse Nahrungsmittelversorgung und zunehmende Treibhausgasemissionen stellen die Welt vor neue Herausforderungen. So müssen neue Wege und Lösungen gefunden werden. Insekten als genügsame und nachhaltige Proteinlieferanten können hier in Zukunft eine wichtige Rolle einnehmen.

    Der künftige Einsatz von Insektenprotein kann positive Effekte und einen ressourcenschonenden Ansatz aufzeigen“ prognostiziert Dammann. Und auch die Bereitschaft innerhalb der Bevölkerung, wieder Insekten zu essen, nimmt zu. Was anfänglich, aus kultureller Scheu hierzulande als reine Mutprobe angesehen wurde, konnte sich in den letzten Jahren neu positionieren. „Der Grund dafür liegt vor allem in der Aufklärung.

    Das Thema 'Insekten als Fleisch der Zukunft' wird und wurde in den letzten Jahren oft in den Medien thematisiert und so haben viele Menschen von den ökologischen Vorteilen des Insektenverzehrs gehört. Dennoch befinden wir uns noch in einer sehr kleinen Markt-Nische. Aber ich denke, wenn wir Muscheln, Krabben und Schnecken als Nahrungsmittel tolerieren, sollte ein Grillen-Snack eigentlich auch kein Problem darstellen“, schließt der Unternehmer hoffnungsvoll ab.

     

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