Wie sich der Krieg in der Ukraine auf gefährdete Tierarten auswirkt
Hunderte Schelladler ziehen jedes Jahr über die Ukraine zurück in ihre Brutgebiete. Seit 2022 macht auch ihnen der Konflikt im Land zu schaffen. Forschende haben nun erstmals die Folgen des Krieges für die Zugvögel untersucht.
Schelladler (Clanga clanga) gehören zu den am meisten gefährdeten Vogelarten Europas. Nun könnte der Krieg in der Ukraine folgenschwere Auswirkungen auf ihre kleine Population haben. Denn: Durch den Konflikt fallen wichtige Rastplätze der Zugvögel weg.
Jeden Herbst machen sie sich auf den Weg in den Süden – nach Südeuropa, Afrika oder Asien: Zugvögel fliegen jedes Jahr Hunderte von Kilometern, um in ihre Winterquartiere zu gelangen. Darunter auch der Schelladler (Clanga clanga), eine Vogelart aus der Familie der Habichtartigen, deren Habitat sich von Osteuropa bis zum Pazifik erstreckt. Der Zugvogel gilt als extrem gefährdet – besonders in seinem westlichen Verbreitungsgebiet. Denn dort wird ihm in den letzten Jahren das Leben und auch der Flug zurück in sein osteuropäisches Brutgebiet schwer gemacht. Der Grund dafür: der Krieg in der Ukraine, in der die Schelladler auf ihrer Reise normalerweise Halt machen.
Ein Team aus Forschenden der University of East Anglia (UEA), des British Trust for Ornithology (BTO) und der Estnischen Universität für Biowissenschaften hat das Zugverhalten der Tiere über mehrere Jahre verfolgt – schon bevor Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte. Ihre Ergebnisse zeigen: Kriege haben nicht nur verheerende Auswirkungen auf Menschenleben, sie beeinflussen auch das Zugverhalten von Vögeln – mit schwerwiegenden Folgen.
Zugvögel umfliegen Kriegsgebiete
Die Studie des Forschungsteams, die in der Zeitschrift Current Biology erschien, ist die erste, die jemals die Auswirkungen eines anhaltenden Konflikts auf die Zugbewegungen einer gefährdeten Vogelart untersucht hat. Um die Flugrouten der Tiere tracken zu können, statteten die Forschenden im Jahr 2018 19 Schelladler mit GPS-Sendern aus.
Als einige der gekennzeichneten Zugvögel Anfang März 2022 auf ihrem Weg nach Norden in die Ukraine einflogen, hatte sich der Krieg bereits auf die meisten größeren Städte ausgeweitet. Plötzlich waren die Schelladler Gebieten intensiver menschlicher Konflikte ausgesetzt. Statt mit den üblichen Gefahren wie wechselnden Wetterverhältnissen oder Dürren wurden die Schelladler mit Artilleriebeschuss, Panzern und Düsenjets konfrontiert. Die Folge: Sie veränderten bereits 2022 ihre Zugrouten. Die Vögel nahmen Umwege zu ihren Brutgebieten und weniger von ihnen machten Zwischenstopps in der Ukraine.
„Diese Arten von Störungen können erhebliche Auswirkungen auf das Verhalten und möglicherweise auch auf die Fitness der Adler haben“, sagt Hauptautor Charlie Russell, Doktorand an der Schule für Umweltwissenschaften der UEA. Denn die Tiere müssen nun weitere Strecken zurücklegen – sie fliegen durchschnittlich 85 Kilometer mehr als vorher – und kommen so auch deutlich später in ihren Brutgebieten an. Die Zugzeit veränderte sich 2022 von 193 auf 246 Stunden bei den Weibchen und von 125 auf 181 Stunden bei den Männchen. Sollte dieses Verhalten anhalten, könnte die gefährdete Art in ihrem Bestand bedroht werden, da sich ihre Überlebensfähigkeit und ihr Bruterfolg verringern könnten.
Viele Hotspots der biologischen Vielfalt liegen in Krisengebieten
Den Forschenden zufolge zeigen die Ergebnisse, wie gravierend sich menschliche Konflikte auf die Tierwelt auswirken können. Da viele Hotspots der biologischen Vielfalt in politisch instabilen Ländern liegen, ist die Studie ein wichtiger Ausgangspunkt, um die Auswirkungen auf diverse Tierarten in Krisengebieten bald besser einschätzen und eindämmen zu können.