Wilderei in Deutschland: Neues Bündnis kämpft gegen illegale Jagd

Wildtierkriminalität gibt es nicht nur in Afrika oder Asien. Auch in Deutschland werden tausende Tiere illegal gejagt. Eine Koalition aus Umweltverbänden, Polizei und Wissenschaft will das Tiermorden stoppen. Die Bevölkerung soll helfen.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 11. Juni 2024, 09:12 MESZ
Getöteter Luchs, gefunden im Bayerischen Wald.

Getöteter Luchs, gefunden im Bayerischen Wald.

Foto von WWF

21. April 2024: In einem Waldstück bei Lauenbrück in Niedersachsen entdeckt ein Wanderer ein großes totes Tier. An der rechten Seite des Kadavers klafft ein Loch. Bald stellt sich heraus. Es handelt sich um einen Wolfsrüden. Nach dem tödlichen Schuss wurde er in einen Graben gelegt. Die Polizei ermittelt. Das illegale Töten eines Wolfes ist eine Straftat. Sie wird mit einem Bußgeld von maximal 50. 000 Euro bis hin zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe geahndet. Bislang tappen die Behörden im Dunkeln. 

Nach Angaben der DBBW, der Wolfdokumentationsstelle des Bundes, wurden seit dem Jahr 2003 in Deutschland 95 Wölfe gewildert. Auch andere streng geschützte Tiere wie Luchs, Biber, Fischotter oder seltene Greifvögel fallen immer wieder der illegalen Verfolgung zum Opfer. Sie werden erschossen und erschlagen, verstümmelt und vergiftet. 

Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass Wilderei nicht nur in fernen Ländern in Afrika oder Asien grassiert, sondern auch vor der eigenen Haustür. Die Polizeiliche Kriminalstatistik für Deutschland hat im Jahr 2023 insgesamt 1.140 Fälle erfasst. Fachleute gehen davon aus, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist. Besonders für Arten, die ohnehin selten sind, kann die verbotene Jagd dramatische Folgen haben. 

Wolf mit Nachwuchs. In den letzten 20 Jahren starben fast 100 Wölfe in Deutschland durch Wilderei.

Foto von Ralph Frank / WWF

Nur wenige Wilderer werden gefasst

Besonders deutlich zeigt sich das beim Luchs. Laut Bundesamt für Naturschutz leben knapp 200 Exemplare in Deutschland. Europas größte Raubkatze ist hierzulande vom Aussterben bedroht. Die meisten Tiere gibt es im Harz und im Bayerischen Wald. Doch Jahr für Jahr sterben Luchse im Straßenverkehr – oder eben durch Wilderei. 

Allein in Bayern seien seit 2012 mindestens neun Luchse nachweislich illegal getötet worden, betont die Umweltschutzorganisation WWF. Nur einen Täter habe man ermitteln können. Und das auch nur, weil der Mann sich selbst angezeigt hatte. Er behauptete, den Luchs mit einem Wildschwein verwechselt zu haben. 

Die EU-Staaten haben sich gesetzlich dazu verpflichtet, gefährdete Arten vor illegalen Handlungen zu schützen und auch verhältnismäßige Strafen anzuwenden. Nur in den seltensten Fällen aber können Täter oder Täterinnen überführt werden.

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    Neues Projekt bekämpft Wildtierkriminalität

    Damit soll jetzt Schluss sein. Ein länderübergreifendes Bündnis aus Naturschutzverbänden, Ermittlungsbehörden und Wissenschaft hat der Wildtierkriminalität den Kampf angesagt. „wildLIFEcrime“ heißt das Projekt unter der Leitung des WWF Deutschland. 13 Organisationen aus Deutschland und Österreich haben sich darin zusammengeschlossen.

    Die Bündnispartner wollen erreichen, dass Fälle von Wildtierkriminalität künftig häufiger entdeckt, effektiv bearbeitet, aufgeklärt und die Täter konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Die Ausmaße illegaler Wilderei würden oft unterschätzt. „Wichtig ist, dass Wildtierkriminalität nicht mehr als Kavaliersdelikt angesehen wird“, sagt WWF-Projektmanagerin Samantha Look. 

    Schon die Bevölkerung kann helfen. Viele Fälle würden bislang nicht gemeldet. Und wenn doch, mangele es oft an weiteren Hinweisen. Gibt es aber keine konkreten Hinweise zu möglichen Verdächtigen, hat es die Polizei schwer. 

    Wilderei: Meldeplattform für die Bevölkerung 

    Das Projektteam hat deshalb eine Onlineplattform eingerichtet, auf der Bürgerinnen und Bürger Funde anonym melden und weitere Informationen, zum Beispiel über verdächtige Personen, geben können. „Beobachtung, Meldung und Dokumentation bilden den Grundstein“, unterstreicht Look. „Jeder Beitrag zählt.“

    Eine Falldatenbank mit Beispielen einschlägiger Artenschutz-Straffälle und vollständigen Urteilen soll die Behörden zusätzlich unterstützen. Alles in allem wollen die Bündnispartner den Informationsaustausch bei den Ermittlungen optimieren. Dazu gehören unter anderem auch verbesserte forensische Untersuchungen sowie Fortbildungen für Polizei und Staatsanwaltschaft.

    Seeadler mit Beute. Seit 2005 wurden nachweislich weit über 2.200 Greifvögel in Deutschland illegal getötet. 

    Foto von Ralph Frank / WWF

    Im Bermuda-Dreieck der Luchse

    Klar ist aber auch: Wer die illegale Wildtierverfolgung eindämmen will, muss die Ursachen bekämpfen. Wer steckt hinter solchen Verbrechen? In vielen Teilen der Welt ist der illegale Wildtierhandel ein lukratives Geschäft. In Europa werden Wildtiere vor allem verfolgt, weil der Mensch sie als Konkurrent betrachtet. Wölfe etwa, weil sie Schafe reißen. Luchse, weil sie Rehe jagen.

    Aber auch Greifvögel sind betroffen – zum Beispiel, weil sie Hühner und Tauben erbeuten. Das Komitee gegen den Vogelmord hat errechnet: Seit 2005 wurden nachweislich weit über 2.200 Greifvögel, darunter Bussarde, Habichte oder Milane, in Deutschland getötet. Oft sterben sie an ausgelegten Giftködern. Die tatsächlichen Zahlen dürften auch hier um ein Vielfaches darüber liegen. 

    Der natürliche Lebensraum wird immer enger. Und so kommt es zu Mensch-Wildtier-Konflikten. Um Wildtierkriminalität erfolgreich zu bekämpfen, braucht es daher laut WWF ein aktives Konfliktmanagement in den betroffenen Regionen.

    „Typische Hotspot-Gebiete sind Nordrhein-Westfalen und Bayern“, erklärt Look. Nirgendwo sonst in Deutschland gebe es so viele Fälle von illegaler Greifvogelverfolgung wie in NRW. Der Bayerische Wald gelte als „Bermuda-Dreieck der Luchse“. Immer wieder seien dort Tiere spurlos verschwunden. Sprich: Sie wurden illegal getötet.

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