Seeadler in Deutschland: Die Rückkehr der Luftgiganten

Der Seeadler war in Deutschland fast ausgestorben. Inzwischen brütet der riesige Greifvogel sogar vor den Toren Berlins und am Rande des Ruhrgebiets.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 10. Feb. 2023, 09:12 MEZ
Mächtiger Fischjäger: Der Seeadler zählt zu den größten Greifvögeln Europas.

Mächtiger Fischjäger: Der Seeadler zählt zu den größten Greifvögeln Europas.

Foto von Adobe Stock

Gut 70 Kilometer westlich von Berlin liegt ein Naturparadies. Seine verschlungenen Auen und Flussarme bieten Zuflucht für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Dabei sah es lange Zeit gar nicht gut aus für die ostdeutsche Wasserstraße. Wie viele andere Flüsse hatte der Mensch sie in ein Korsett gezwängt. Ufer waren begradigt worden, Altarme abgetrennt, der Schiffsverkehr ausgebaut – bis eine beispiellose Naturschutzinitiative vor etwa 15 Jahren die Wende einleitete. Heute zählt die Renaturierung der Unteren Havel zu den größten Umweltprojekten in Europa.

Mit etwas Glück kann man sogar den majestätischen Seeadler über die ausgedehnten Wasserflächen gleiten sehen. Vor allem im Flug ist er unverkennbar. Mit einer Körperlänge von rund 90 Zentimetern und einer Flügelspannweite von knapp 2,5 Metern gehört Haliaeetus albicilla zu den imposantesten Greifvögeln Europas. Nur Mönchsgeier, Bartgeier und Gänsegeier werden noch etwas größer.

Der Seeadler ist an große Gewässer gebunden. Er bewohnt Küsten und Inseln der Meere, aber auch bewaldete Ufer großer, fischreicher Seen und Flüsse. Zu seiner Hauptbeute zählen mehrere Kilo schwere Fische, die er von der Wasseroberfläche oder durch Tauchstöße jagt. Aber auch Vögel und Säugetiere von Mäusen bis hin zu Füchsen verschmäht der Nahrungsopportunist nicht. „Die Lage und Größe des Reviers ist abhängig von der Nahrungsverfügbarkeit, einem geeignetem Horststandort, Jagd- und Ruhewarten und der unmittelbaren Störungsintensität durch den Menschen“, erklärt Oliver Krone vom Leibniz-Institut für Zoo-und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. 

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Wie viele Seeadler gibt es in Deutschland?

Noch vor wenigen Jahrzehnten war Deutschlands Wappenvogel hierzulande fast ausgestorben. Schon vor Jahrhunderten begann der Mensch, Greifvögel systematisch zu verfolgen. Bis ins 20. Jahrhundert wurde der Seeadler intensiv bejagt. In Westeuropa war er bereits vor 100 Jahren nahezu vollständig ausgerottet.

In den 1950er kam es zu weiteren dramatischen Bestandsverlusten: Das Insektizid DDT hatte sich in der Nahrungskette angereichert. Beim Seeadler und anderen Greifvögeln führte das zu dünnen Eierschalen, die während der Brut zerbrachen. Ein weiterer Knackpunkt: Seeadler reagieren empfindlich auf Störungen. Vor allem während der Brutzeit brauchen sie absolute Ruhe. Werden sie verschreckt, geben sie ihr Nest schnell auf.

Ganze vier Brutpaare wurden um 1980 noch in Westdeutschland registriert. Etwas besser sah es in der damaligen DDR aus. Mit dem DDT-Verbot erholten sich die Bestände. So stieg die Zahl der Brutpaare in Gesamtdeutschland von 185 im Jahr 1990 auf 700 im Jahr 2018. Nach Angaben der Umweltschutzorganisation WWF gibt es heute wieder rund 970 Paare. Vor allem im wasserreichen Mecklenburg-Vorpommern hat man gute Chancen, Deutschlands größten Adler zu beobachten.

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    Heute gilt der Seeadler in Deutschland als nicht mehr gefährdet. Eine Erfolgsgeschichte des Artenschutzes, für die es allerdings weiterhin konsequente Schutzmaßnahmen braucht. Neben dem Verbot von Umweltgiften spielen unter anderem die Renaturierung von Gewässern, ein gezielter Schutz der Nistplätze und die Winterfütterung eine Rolle.

    Vor fünf Jahren dann eine kleine Sensation: Erstmals seit 200 Jahren hat der Luftgigant 2018 wieder in Nordrhein-Westfalen gebrütet. Ein Adlerpärchen suchte sich dazu die Bislicher Insel bei Xanten am Niederrhein aus – ein über zehn Quadratkilometer großes Naturschutzgebiet am Rande der Metropolregion Ruhrgebiet. In der geschützten Auenlandschaft fände der Seeadler alles, was er zum Leben brauche, erklärt Ilka Weidig vom Naturforum des Regionalverbandes Ruhr (RVR) auf der Bislicher Insel: „Gewässer, in denen oder an denen er seine Beutetiere findet, Bäume für den Nestbau und Ruhe zum Brüten.“

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    Tatsächlich scheinen sich die Greifvögel auf der Bislicher Insel richtig wohl zu fühlen. Denn es gab weitere Bruten. 2021 schlüpften sogar gleich drei Küken. Im vergangenen Jahr dann aber ein Rückschlag: Ein fremder Seeadler vertrieb das alte Männchen, um das Revier zu übernehmen. Dabei tötete er die wenige Tage alten Jungvögel im Nest. Weidig spricht von einem arttypischen Verhalten, das immer wieder vorkomme.

    Inzwischen wurde wieder ein Seeadler-Pärchen auf der Bislicher Insel gesichtet. Im Frühling 2023 könnte es also erneut Nachwuchs am Rande des Ruhrgebiets geben. Und das wäre wieder eine kleine Sensation.

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