Vom Bergbaugebiet zum Hotspot der Artenvielfalt: Bilder einer surrealen Naturlandschaft
Die einen wollten auf dem einstigen Tagebaugelände in Wanninchen in der Lausitz eine Mülldeponie errichten, die anderen eine Golfanlage. Dann kam eine Stiftung und sicherte die Landschaft für den Naturschutz. Ein Vorzeigeprojekt in Sachen Renaturierung.
Ist das der Mond? Diese zerfurchte Landschaft befindet sich nicht auf dem Erdtrabanten, sondern in Südbrandenburg. Nach dem Ende des Bergbaus holt sich die Natur die Region um Wanninchen zurück. Doch einige Hinterlassenschaften des Braunkohleabbaus bleiben – wie an diesem Seeufer.
Einst war die Landschaft bei Wanninchen im Süden Brandenburgs von kleinen Dörfern und Äckern, Fischteichen, Bächen und Wiesen geprägt. Es gab strukturreiche Wälder mit Alteichenbeständen und überregional bekannte Moore. Jeden Herbst rasteten die Kraniche in der Region.
Heute fühlt man sich hier wie auf dem Mond: Surreale Strukturen und Farben prägen die Natur. Der Mensch war am Werk und hinterließ karge Wüstenlandschaften mit 30 Meter tiefen Löchern auf der Suche nach Energie. Der Braunkohleabbau in der Lausitz sicherte in den Hochzeiten der DDR bis zu 80.000 Arbeitsplätze. Bis heute stammt mehr als ein Drittel der Braunkohle, die in Deutschland abgebaut wird, aus dieser Region. Gleichzeitig forderte der Bergbau viele Opfer. Denn für die Tagebaue musste das Grundwasser kilometerweit abgesenkt und die Landschaft aufgebaggert werden. Die kleinstrukturierte Landschaft und die Dörfer mussten weichen – und mit ihnen auch viele der ansässigen Tier- und Pflanzenarten.
„Manche Bergleute haben damals ihr eigenes Haus weggebaggert“, erinnert sich Ralf Donat. Er betrieb bereits vor dem Bergbau Naturschutz in der Region. Seit rund 20 Jahren ist er Leiter der Sielmanns Naturlandschaft Wanninchen, die sich für den Naturschutz auf den ehemaligen Bergbauflächen einsetzt. Die Veränderungen der letzten Jahrzehnte hat er live vor Ort mitverfolgt und begleitet – vom Bergbau über den Rückzug aus der Kohle bis zu den landschaftlichen Sanierungsarbeiten von 1991 bis heute.
Der Kohleabbau in den Tagebauen Schlabendorf-Nord und -Süd hatte nicht nur für die Flächen, auf denen Kohle abgebaut wurde, weitreichende Folgen: Da das Grundwasser in der Bergbauregion abgesenkt werden musste, sind bis zu 10 Kilometer um die Gruben herum Wasserquellen versiegt. „Viele Moore und Feuchtwiesen wurden dadurch entwässert, viele Wälder sind kaputt gegangen“, sagt Donat.
Auch heute, über 35 Jahre nach Ende des Bergbaus, sind noch Hinterlassenschaften der Kohle sichtbar – darunter metertiefe Erosionsrinnen, Krater und Wüstenflächen. Durch die Bergbausanierung und Naturschutzprojekte entstanden in den letzten Jahrzehnten aber auch Wälder, Seen, Dünen und Trockenrasen, wo einst Kohle befördert wurde. Sogar die umliegenden Moore, die durch den großflächigen Grundwasserentzug stark geschädigt wurden, beginnen wieder zu gesunden. Und auch die Tiere kehren langsam zurück.
Einblicke in die Entwicklung einer einzigartigen Naturlandschaft.
Das Ende der Kohle: Neue Lebensräume und Bewohner in Wanninchen
Mit der politischen Wende in den Neunzigerjahren wurde der Bergbau von heute auf morgen beendet. „Der Kohleabbau war unrentabel und die Kohlequalität in der Region durch hohe Schwefel- und Eisenwerte relativ schlecht“, sagt Donat. Die Bagger gingen, die Wüstenlandschaften blieben. Wo das Grundwasser wieder anstieg, entstanden Seen. „Auch wenn die karge Bergbaulandschaft auf den ersten Blick tot aussah: Sie hat spezialisierten Arten neue Lebensräume eröffnet. Es gab in Wanninchen zum Beispiel plötzlich Kreiselwespen und Sandohrwürmer. Arten, die wir hier vorher gar nicht kannten“, sagt Donat. „Heute zählen diese seltenen Arten zu unseren ‚Small Five‘, den kleinen Bewohnern der Lausitz.“
Galerie: Die „Small Five“ der Lausitz
Das Interesse an den Flächen wuchs – allerdings nicht nur im Naturschutz. Land- und forstwirtschaftliche Betriebe wollten die Flächen für wirtschaftliche Zwecke sanieren lassen, das Land Brandenburg dachte über die Errichtung einer Mülldeponie für Berlin nach und ein privater Investor wollte eine Crossgolf-Anlage bauen.
Heinz Sielmann Stiftung sicherte die Landschaft für den Naturschutz
Um die Artenvielfalt der einzigartigen Landschaft zu erhalten, schaltete sich die Heinz Sielmann Stiftung ein. Seit 1994 kauft sie deutschlandweit zusammenhängende Flächen, um seltene Lebensräume zu schützen und Naturschutzprojekte umzusetzen. So auch in Wanninchen: Im Jahr 2000 erwarb die Stiftung einen Großteil der Flächen. Seitdem setzt sich Donat als Leiter mit seinen Kolleg*innen dafür ein, dass sich die Natur in Wanninchen auf ihre Weise erholen kann.
Sie begleiteten die Sanierung Flächen – darunter den Umbau der Uferbereiche der neu entstandenen Seen, die Verdichtung der Oberflächenbereiche und den Waldumbau – unter Gesichtspunkten des Naturschutzes. In den Mooren sorgten sie dafür, dass Gräben zugebaggert, Stauwände gezogen und Kiefern gefällt wurden, um das Wasser so lange wie möglich in der Landschaft zu halten. Ansonsten überließen sie die Flächen möglichst sich selbst. „Unsere Strategie ist es, die Natur machen zu lassen. Wir schauen dabei zu und dokumentieren den Prozess“, sagt Donat. 3.300 Hektar gehören heute zur Naturlandschaft – das entspricht in etwa der Fläche der Stadt Schwedt/Oder, der bevölkerungsreichsten Stadt in der Uckermark. 270 Hektar davon sind Moorflächen.
Lebendige Vogelwelt: Auf Kranich-Safari in Wanninchen
In den letzten 34 Jahren hat sich durch den Ansatz der Stiftung einiges verändert: Aus den zuvor versiegten Quellen sprudelt wieder Wasser und die geschädigten Moore können sich wieder entwickeln. Einige Restpopulationen von Tieren und Pflanzen, die die Kohle überlebt haben, haben sich regeneriert. „Gerade bei den Pflanzen sieht man den Gesundungsprozess. Bei den Tieren dauert es noch ein wenig, bis die Strukturen wieder geschaffen sind“, sagt Donat. Manche seltenen Pflanzen- und Tierarten wie der Sonnentau und der Kranich sind bereits wieder da. Und sogar zwei Wolfsfamilien streifen durch die neu entstandenen Wälder.
Kraniche im Flachwasserbereich der Beesdauer Bucht.
Vor allem der Kranich sorgt im Herbst für reichlich Trubel in Wanninchen. Bis zu 8.000 Tiere befinden sich im September und Oktober an einem Tag auf der Fläche. Manche verbringen den ganzen Herbst in Wanninchen, andere sind nur zur Durchreise da. „Die großen, ruhigen Flachwasserbereiche sind als Schlafplätze für die Kraniche perfekt“, sagt Donat. Das Naturschauspiel ziehe Hunderte von Menschen an, die an den Kranich-Safaris vom Heinz Sielmanns Natur-Erlebniszentrum Wanninchen teilnehmen oder zum Fotografieren auf die Aussichtsplattformen kommen. „Wenn die Kraniche Ende Oktober weiterfliegen, kommen die nordischen Gänse mit bis zu 30.000 Tieren und übernachten auf den großen Bergbauseen. Und im Dezember sind die Singschwäne und die Höckerschwäne vor Ort“, sagt Donat. „Die Vogelwelt ist hier mittlerweile wieder sehr ausgeprägt.“
Vom Aussterben bedroht, in Wanninchen zuhause: Der Steinschmätzer hat seine Nische in der Naturlandschaft im Süden Brandenburgs gefunden.
Wildnis und Beweidung: Zukunft einer dynamischen Landschaft
Da die Flächen nach dem Bergrecht größtenteils für Menschen gesperrt sind, haben viele gefährdete Tier- und Pflanzenarten in Wanninchen einen in Deutschland selten gewordenen Schutzraum gefunden. In einer Landschaft, die sich immer wieder verändert: „Die Bergbaufolgelandschaft ist dynamisch und vielfältig“, erklärt Donat. Durch die Hohlräume im Untergrund brechen Flächen manchmal metertief ein, andernorts entstehen durch Pressdruck Hügel. „Diese Dynamik und die Sanierungsarbeiten tragen zu einer immensen Strukturvielfalt bei, durch die immer wieder neue Nischen für gefährdete Tier- und Pflanzenarten entstehen.“
Für die Zukunft erhofft sich Donat auch Beweidungsprojekte auf den Flächen, die an die Naturlandschaft angrenzen. „Eine Kombination aus Beweidung und Wildnisgebiet wäre eine perfekte Naturschutzstrategie, um Flächen teilweise offen zu halten und teilweise zuwachsen zu lassen“, sagt der Naturschützer. So könne sich die Artenvielfalt auf den einzigartigen Flächen noch besser entwickeln. Auch das Ziel der Heinz Sielmann Stiftung, die Natur für Menschen erlebbar zu machen, soll künftig noch weiter ausgebaut werden: mit noch mehr Wanderwegen, auf denen man die besondere Naturlandschaft hautnah erleben kann.