Wie ein alter Bunker zum Zuhause seltener Arten wurde

Die Tangersdorfer Heide war einst ein Truppenübungsplatz. Nun wurde neben der vielseitigen Naturlandschaft auch ein alter Schießstand zu neuem Lebensraum umfunktioniert – und bietet seitdem Unterschlupf für überraschende Gäste.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 12. Apr. 2024, 09:31 MESZ
Drohnenbild von einer Heidelandschaft neben einem Kiefernwald.

Heidefläche grenzt an Kiefernwald: Die Tangersdorfer Heide ist eine diverse Naturlandschaft mit vielfältigen Lebensräumen für allerlei seltene Arten. Darunter auch ein ganz besonderes Habitat: ein alter Bunker.

Foto von Heinz Sielmann Stiftung

Die Landschaft erholt sich langsam von den kalten Monaten, das Braune Langohr erwacht aus dem Winterschlaf und der Wiedehopf kehrt aus dem Süden zurück: In der Tangersdorfer Heide in Brandenburg ist der Frühling in vollem Gange. Vor gut dreißig Jahren rollten hier noch Panzer über die Sandflächen, fielen Schüsse in den Kiefernwäldern und explodierten Sprengkörper in der Nähe eines Bunkers. Heute ist der ehemalige Truppenübungsplatz ein wichtiger Schutz- und Lebensraum für seltene und teils stark gefährdete Arten.

Seit die Rote Armee in den 1990er Jahren abzog, wurden die Flächen der Tangersdorfer Heide sich selbst überlassen und bewaldeten – zum Nachteil für seltene Arten, die die einstigen Freiflächen zum Überleben brauchen. 2016 erwarb die Heinz Sielmann Stiftung einen Teil des Geländes. Das Ziel der Stiftung ist es, seltene Lebensräume zu erhalten – oder, wie im Fall der Tangersdorfer Heide, wiederherzustellen. Seit 2018 wird die diverse Naturlandschaft, die aus Trocken- und Heideflächen, Kiefernwäldern und einem Feuchtgebiet besteht, umstrukturiert. So konnte sie bereits wieder zu einem neuen Zuhause für seltene Wildbienen, Fledermäuse, Schmetterlinge, Vögel und sogar einen Biber werden. 

Doch nicht nur auf den wiederhergestellten Heideflächen erholt sich langsam das Leben, auch ein verlassener Schießstand des einstigen Militärgeländes scheint bei einem besonderen Gast beliebt zu sein. Dort residiert in den Sommermonaten das Große Mausohr (Myotis myotis), die größte heimische Fledermausart. Landschaftsökologin und Projektleiterin Rebecca Oechslein und ihr Team von der Heinz Sielmann Stiftung fanden in den letzten Jahren immer wieder Kot der wärmeliebenden Fledermausart in dem ehemaligen Bunker – und bauten ihn kurzerhand zu einem artgerechten Sommerquartier um. 

Galerie: Artenschutz in Brandenburg: Der Umbau der Tangersdorfer Heide

Ein Bunker wird zum Fledermaus-Zuhause

So unspektakulär der niedrige Schießstand inmitten der Heide mit seinen grau verputzten Backsteinwänden von außen aussehen mag – sein Inneres bietet tagscheuen Fledermäusen wie dem Großen Mausohr genau das, was sie brauchen: einen windgeschützten, störungsfreien Platz in der Dunkelheit eines wärmenden Innenraumes. Dazu kommt ein reiches Nahrungsangebot in der umliegenden Heide mit Insekten wie Laufkäfern, Maikäfern, Heuschrecken und Grillen. 

BELIEBT

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    Mit etwas Glück richten sich die Tiere an solch einem Ort sogar ihre Wochenstuben ein – das Sommerquartier weiblicher Fledermäuse, in dem die Jungtiere zur Welt kommen. Diese Wochenstuben nutzen die Großen Mausohren, laut dem Artensteckbrief des Bundesamts für Naturschutz, meist ihr Leben lang. Oechslein und ihr Team hoffen, dass in der Tangersdorfer Heide eines Tages eine kleine Kolonie der Fledermausart heranwächst. Dazu verbesserten sie die Lebensbedingungen in dem etwa 70 Quadratmeter großen Bunker auf der Freifläche, den zuvor bereits einzelne Große Mausohren als Sommerquartier genutzt hatten. 

    „Bisher bot er aufgrund weniger Spalten in der Decke nur für wenige Tiere Platz“, erklärt Oechslein. Das sollte sich mit einem Umbau im Winterhalbjahr ändern. Von September 2023 bis Januar 2024 wurde der Bunker zu einem neuen Lebensraum umgestaltet – um in der folgenden Saison als Habitat zur Verfügung zu stehen.

    Hohlblocksteine und Wärmeglocken an der Decke, im Inneren des Schießstandes. Im Schutz der Dunkelheit können sich Fledermäuse mithilfe dieser Einbauten künftig leichter kopfüber von der Decke baumeln lassen. 

    Foto von Heinz Sielmann Stiftung

    Es wurden zum Beispiel Hohlblocksteine und Wärmeglocken an der Decke angebracht, die zusätzlich zu den wenigen bisher vorhandenen Rissen und Spalten als Fledermausquartier dienen sollen. „Das sind verschiedene ‚Bausteine‘, an denen sich die Fledermäuse gut festhalten können und die entsprechend für mehr Tiere Nischen zum Festhalten bieten“, so Oechslein. Außerdem wurde das bislang freistehende Gebäude mit Erde ummantelt, um im Inneren eine möglichst konstante, angenehme Temperatur für die tierischen Bewohner zu schaffen. Dazu wurden Schwalbennester für Rauchschwalben als Brutstätte angehängt. Demnächst könnten sich hier also nicht nur Große Mausohren oder Zwergfledermäuse tummeln, sondern auch Vögel. 

    Wie viele Tiere das Quartier in Zukunft annehmen werden, kann das Team der Heinz Sielmann Stiftung noch nicht abschätzen. Viel los war am Bunker bislang noch nicht, doch das sei der Jahreszeit geschuldet. Erst mit den wärmeren Temperaturen würden die Tiere aus dem Winterschlaf aufwachen und sich in neue Quartiere begeben, so Oechslein. „Aber wir können schon einen Erfolg vermelden“, sagt die Landschaftsökologin. „Ein Braunes Langohr, eine gefährdete Waldfledermausart, hat den Bunker bereits besucht.“

    Umbau der Tangersdorfer Heide schafft Lebensräume für seltene Arten

    Der Bunkerumbau gehört zu einem groß angelegten Naturschutzprojekt der Heinz Sielmann Stiftung zum Heide- und Offenlanderhalt in der Tangersdorfer Heide. „Die Sand- und Heideflächen sind sehr wertvoll. Eine ganze Reihe Arten hat dort ihren Lebensraum, darunter auch stark gefährdete“, sagt Oechslein. Wenn es die offenen Flächen – zum Beispiel durch Bewaldung – nicht mehr gibt, fehle diesen Tieren nicht nur ihr Habitat, sondern auch ihre Ernährungsgrundlage. Spezialisierte Arten wie die Heidekraut-Sandbiene würden ohne das Heidekraut beispielsweise verhungern.

    Kaum wiederzuerkennen: Der alte Bunker, nun eingehüllt von Erdhügeln. 

    Foto von Heinz Sielmann Stiftung

    Seit 2018 konnten 84 Hektar Offenland durch verschiedene Maßnahmen wiederhergestellt werden. Unter anderem wurden Bäume gefällt, die Heide gemäht und Moos vom Sandboden entfernt, um Licht und Luft an die Heidelandschaft zu lassen und dem Boden Nährstoffe zu entziehen. Die Kiefernmonokultur des Waldgebiets in der Tangersdorfer Heide wird derzeit Stück für Stück in einen Mischwald umgewandelt und Totholz und Lesesteinhaufen werden am Waldrand errichtet, um noch mehr Arten ein standortgerechtes Habitat zu ermöglichen. 

    Insgesamt stellte die Stiftung seit der Übernahme der Fläche mehr als 1.140 Arten in der Tangersdorfer Heide fest, darunter auch einige besondere wie die Rote Röhrenspinne, der Wiedehopf und die Rote Schnarrschrecke. Letztere kommt nur noch an zwei oder drei weiteren Stellen in Brandenburg vor, so Oechslein. Auch der Frankfurter Ringelspinner – eine Schmetterlingsart, die auch in der Tangersdorfer Heide zuhause ist – lebt hauptsächlich auf Militärübungsplätzen. 

    „So seltsam das klingen mag: Für den Naturschutz hat der militärische Übungsbetrieb eine große Rolle gespielt“, sagt Oechslein. Während der militärischen Nutzung durfte die Tangersdorfer Heide größtenteils sein, wie sie war – ohne Pestizide, Dünger und forstwirtschaftlichen Eingriff. Ab und zu fanden Störereignisse in Form von Panzerfahrten oder Detonationen von Sprengsätzen in festgelegten Bereichen statt, die für eine Dynamik auf den Flächen sorgten und natürliche Veränderungsprozesse imitierten. Mit dem Wegfall der Panzer, Explosionen und gelegentlichen Bränden setzte zwischen den 1990er Jahren und 2016 die natürliche Sukzession ein – und die Fläche, auf der nichts getan wurde, bewaldete. 

    Für den Artenschutz: Naturflächen richtig nutzen und pflegen 

    „Um die Fläche zu erhalten, muss sie genutzt werden“, sagt Oechslein. Diesen Job übernehmen in der Tangersdorfer Heide nun 150 Schafe und Ziegen eines regionalen Schäfers. „Würde man nicht beweiden, würde das wertvolle Offenland langsam vom Wald zurückerobert werden und alle Arten, zum Teil auch stark bedrohte, die auf offenen Sandboden, Heidekraut und Saumstrukturen angewiesen sind, würden verschwinden.“

    Um möglichst viele Arten zu schützen, wird auch der Wald zurzeit noch forstwirtschaftlich bearbeitet. Sobald die Umbauarbeiten zum Mischwald abgeschlossen sind, soll die Waldfläche der Tangersdorfer Heide aber sich selbst überlassen werden. Und noch etwas soll sich künftig ändern: Sobald die Entmunitionierung des Gebietes beendet ist, soll es Führungen und Lernangebote in der Tangersdorfer Heide geben. „Die Natur soll erlebbar gemacht werden“, so Oechslein. Das sei schließlich eines der wichtigsten Ziele der Heinz Sielmann Stiftung. 

     

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