Der Watercooler-Effekt: Warum Lästern gut ist

Klatsch, Tratsch und Lästern sind verpönt. Dabei sind sie wichtig für unser Zusammenleben – sogar in der Arbeitswelt. Ein Hoch auf den Watercooler-Effekt

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 24. Feb. 2023, 13:50 MEZ
Eine Illustration zeigt Menschen, die sich im Büro um einen Wasserspender versammeln. Bildunterschrift: Flurfunk am Wasserspender ...

Flurfunk am Wasserspender: Tratschen schweißt zusammen.

Foto von Adobe Stock

Niemand mag, wenn jemand schlecht über ihn oder sie redet. Notorische Tratschen machen sich schnell unbeliebt. Fragt sich nur, warum wir es dann selbst ständig tun. Einer Umfrage von Readers Digest zufolge lästert immerhin die Hälfte der Befragten regelmäßig – jeder Vierte mehrmals pro Woche. Und es gibt einen Ort, an dem besonders gern getratscht wird: das Büro. 

Neuigkeiten über die fiese Chefin, Nörgeleien über den faulen Kollegen: Wer hinter dem Rücken anderer tuschelt, will sich oft selbst ins rechte Licht rücken – meist auf Kosten seiner Mitmenschen. Und natürlich können Gerüchte eine Negativspirale in Gang setzen. Zum Beispiel, wenn Falschinformationen verbreitet oder Kollegen gemobbt werden. Harmloses Lästern hat aber auch seine guten Seiten.

Denn Tratsch schweißt zusammen. „Klatsch entsteht aus dem menschlichen Bedürfnis nach Zugehörigkeit“, erklärt der amerikanische Psychologieprofessor Nicholas DiFonzo. „Er tritt dort auf, wo jemand versucht, soziale Netze zu knüpfen, zu verändern oder zu festigen.“ Besonders gern wird am Kaffeeautomaten oder Wasserspender geschnackt. Deshalb nennt DiFonzo das Phänomen den „Watercooler-Effekt“. 

Galerie: Reise in unser Gehirn

Klatsch und Tratsch: Wenn die Gerüchteküche brodelt

Wer in den neusten Gossip eingeweiht wird, fühlt sich akzeptiert. „Auf diese Weise verstärken Klatsch und Tratsch unsere Freundschaften und Allianzen“, sagt DiFonzo. Wenn die Gerüchteküche erstmal so richtig brodelt, kriegen zwar Außenstehende ihr Fett ab. Doch in der eigenen Gruppe wirkt das Getuschel wie sozialer Klebstoff. Klatsch streichelt die Seele.

Und nicht nur das: Er kann uns sogar produktiver machen. Einfach mal mit Gleichgesinnten über etwas anderes plaudern als über den eigentlichen Job: Das hilft Stress abzubauen, öffnet den Tunnelblick, verbessert die Teamdynamik, steigert die Solidarität und fördert ein kreatives Arbeitsklima. Und das kommt am Ende der ganzen Firma zugute. Flurfunk ist also eine viel komplexere Art der Kommunikation als gemeinhin angenommen. Für einige Psychologen ist er sogar das Fundament unseres Daseins.

In der Corona-Zeit zeigte sich, wie wichtig dieser informelle Austausch tatsächlich ist. Die Funkstille im Homeoffice hat vielen Menschen nicht immer gutgetan. Viele Unternehmen und Mitarbeitende haben festgestellt: Videokonferenzen können zwar Arbeitsmeetings vor Ort ersetzen – nicht aber den so wichtigen Plausch im Türrahmen. 

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    Zu dieser Einschätzung kommt auch das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation: Zu Hause arbeiten mag zwar bequem sein. Remote-Work birgt aber die Gefahr sozialer Isolation, warnt das Stuttgarter Forschungsteam in einer aktuellen Studie. Über zwei Jahre hinweg hat das Institut fast 200 Unternehmen zu den Folgen der Corona-Pandemie auf die Arbeitswelt befragt. Dabei habe sich immer wieder gezeigt: Unternehmen sind mehr als bloße Arbeitsstätten. Sie sind soziale Orte mit wichtigen zusätzlichen Funktionen.

    „Der Arbeitsplatz schafft als sozialer Ort Zugehörigkeit, im besten Falle auch Stolz darauf, dazuzugehören“, sagt Studienautorin Josephine Hofmann. „Er ist ein Möglichkeitsraum für geplante wie ungeplante Begegnungen, für Austausch und gemeinsame Innovation und er muss hierfür explizit gestaltet werden.“ Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeitende seien gleichermaßen gefragt, um gemeinsam den richtigen Weg zu finden.

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