Sind Linkshänder intelligenter und kreativer?

Jahrhundertgenie Albert Einstein ist der wohl berühmteste Linkshänder. Tatsächlich gelten Lefties als besonders begabt. Ist da was dran?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 13. Aug. 2024, 08:52 MESZ
Albert Einstein im Jahr 1921

Albert Einstein im Jahr 1921. Der weltbekannte Physiker und Nobelpreisträger (1879-1955) war Linkshänder.

Foto von Ferdinand Schmutzer / Gemeinfrei

Leonardo da Vinci, Johann Wolfgang von Goethe, Ludwig van Beethoven, Marie Curie, Albert Einstein, Pablo Picasso, Jimi Hendrix: Sie alle waren Linkshänder. Und sie alle zählen zu den größten Genies auf ihrem Gebiet. Sind linkshändige Menschen möglicherweise besonders begabt, wie oft zu hören ist? Denken sie anders als Rechtshänder? Sind sie sogar schlauer oder kreativer? 

Zahlreiche Studien beschäftigen sich mit dem Thema. Tatsächlich arbeitet das Gehirn bei Lefties anders. Vereinfacht gesagt: Bei Linkshändern steuert die rechte Hirnhälfte die linke Hand, bei Rechtshändern die linke Hälfte die rechte Hand. Das liegt daran, dass jede Hirnhälfte über Nervenstränge mit der jeweils gegenseitigen Körperhälfte verbunden ist. Das Gehirn lenkt den Körper also über Kreuz. Die Wissenschaft spricht hierbei von Lateralisation. 

Jede Hirnhälfte ist auf unterschiedliche Funktionen spezialisiert. Sprache zum Beispiel wird vorwiegend in der linken Hemisphäre verarbeitet. Auch bei den meisten Linkshändern liegt das Sprachzentrum auf der linken Seite.

Warum sind wir Links- oder Rechtshänder?

Wieso aber gibt es überhaupt linkshändige und rechtshändige Menschen? Wäre es nicht viel besser, wenn wir zwei gleich geschickte Hände hätten? In der Theorie vielleicht schon. In der Praxis jedoch müsste das Gehirn für eine solche Superkraft jede Menge Energie aufwenden, die dann für andere wichtige Körperleistungen fehlen würde.

Was uns zum Links- oder Rechtshänder macht, ist immer noch nicht völlig klar. Genetische Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Auch der Hormonhaushalt der Mutter während der Embryonalentwicklung könnte relevant sein. Bei den meisten Menschen ist die Händigkeit schon im Mutterleib angelegt. 

Trotzdem war es bis vor wenigen Jahrzehnten üblich, Kinder auf die rechte Schreibhand umzulernen – mit teils drastischen Folgen. Heute weiß man: Solche Umschulungen können zu Sprach- und Feinmotorik-Störungen oder psychischen Problemen führen. 

BELIEBT

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    Jimi Hendrix 1967. Der linkshändige Gitarrengott (1942-1970) beeinflusste Generationen von Musikern.

    Foto von Von Public Record Office of Northern Ireland - https://www.flickr.com/photos/proni/18225760308/, No restrictions

    Weshalb gibt es mehr Rechtshänder?

    Fakt ist: Es gibt viel weniger linkshändige Menschen. Einer internationalen Studie zufolge beträgt die Linkshänder-Quote 10,6 Prozent. Auf molekularer Ebene liegt das daran, dass die genetischen Varianten für Rechtshändigkeit deutlich häufiger sind. Rechtshändigkeit wird demnach öfter vererbt.

    Vermutlich brachte es unseren frühen Vorfahren evolutionäre Vorteile, wenn möglichst viele Mitglieder einer Gruppe die gleiche Hand für feinmotorische Tätigkeiten einsetzten. So konnten sie komplexe Fertigkeiten leichter voneinander abschauen. 

    Es konnte aber auch nützlich sein, zu jener Minderheit zu gehören, die alles mit links macht. In direkten Duellen hatten Linkshänder das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. Im Sport ist das immer noch so. Bestes Beispiel: Boxlegende Muhammad Ali.

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    Sind Linkshänder begabter?

    Was aber ist dran an der Behauptung, Linkshänder seien kreativer als Rechtshänder? Dieser weit verbreitete Mythos beruht unter anderem auf dem populärwissenschaftlichen Hemisphärenmodell. Demzufolge ist die linke Hirnhälfte vorrangig für rationales und logisches Denken zuständig, die rechte Hälfte dagegen für kreative und emotionale Prozesse. Weil die rechte (angeblich kreative) Hemisphäre auch die linke Hand steuert, sei sie bei Linkshändern aktiver.

    Doch die moderne Forschung winkt ab. Das Hemisphärenmodell vereinfache die komplexe Funktionsweise des Gehirns zu stark. Die pauschale Behauptung, linkshändige Menschen seien besonders kreativ, stimmt also nicht. 

    Studien zur Intelligenz von Linkshändern

    Viele wissenschaftliche Studien haben sich mit der Intelligenz von Linkshändern befasst. Eine internationale Meta-Studie hat die Erkenntnisse aus 36 solcher Untersuchungen zusammengefasst. Das Ergebnis: Linkshänder sind nicht intelligenter. 

    Die meisten der ausgewerteten Einzelstudien mit insgesamt mehr als 65.500 Testpersonen „wiesen keine Unterschiede in den IQ-Werten zwischen Links- und Rechtshändern auf“, erklären die Autorinnen der Meta-Studie, Eleni Ntolka und Marietta Papadatou-Pastou.

    Genialität: Eine Frage der Wahrnehmung

    Ähnlich sieht es der Biopsychologe Sebastian Ocklenburg, der seit Jahren über Linkshändigkeit forscht: „Während einige ältere Studien mit kleinen Stichproben über solche Zusammenhänge berichteten, konnten neuere und größere Studien zeigen, dass es keine substanziellen Unterschiede in der Intelligenz zwischen linkshändigen und rechtshändigen Menschen gibt.“ Bei der Kreativität sei die Datenlage noch unklar.

    Klar ist: Die Liste berühmter Linkshänder ist lang. Am Ende ist es aber wohl unsere verzerrte Wahrnehmung, die uns glauben lässt, Linkshänder seien intelligenter oder kreativer. Dass Ex-Beatle Paul McCartney Linkshänder ist, wurde oft genug hervorgehoben. Dass seine nicht minder begabten Bandkollegen ihre Instrumente mit rechts spielten, findet dagegen meist keine Erwähnung.

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