Geheimtipp Oplontis: Die römische Luxus-Villa am Vesuv

Sie hat die besterhaltenen Fresken des alten Römischen Reichs – trotzdem fristet die Villa, die beim Ausbruch des Vesuv verschüttet wurde, ein Dasein im Schatten von Pompeji und Herculaneum.

Von Susan Van Allen
Veröffentlicht am 31. März 2021, 10:50 MESZ
Gut erhaltene Fresken in der Villa A in Oplontis (dem heutigen Torre Annunziata) geben einen Einblick ...

Gut erhaltene Fresken in der Villa A in Oplontis (dem heutigen Torre Annunziata) geben einen Einblick in die Pracht und die Skandale des alten Roms.

Foto von DeAgostini/Getty Images

Wer eine Station vor Pompeji aus der Bahn Ferrovia Circumvesuviana aussteigt, in der Stadt Torre Annunziata, wird nicht beeindruckt sein. Auf der Karte steht, dass man sich in einer UNESCO-Weltkulturerbestätte in Süditalien befindet, zusammen mit dem nahegelegenen Pompeji und Herculaneum, die alle beim Ausbruch des Vesuv 79 n. Chr. verschüttet wurden. Nur ein kleines Schild weist auf die „Scavi di Oplonti“ hin und leitet die Besucher an tristen Betonbauten vorbei zu einem kleinen Ticketschalter mit Blick auf eine Senke aus rechteckigen Dächern.

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Aber wenn man eine Metalltreppe hinuntersteigt und durch einen Säulengang geht, befindet man sich plötzlich in einem riesigen Atrium eines Komplexes, der einst eine große Villa mit Meerblick war. Fresken in leuchtendem Gold, Zinnoberrot und ägyptischem Blau schmücken die Wände, gemalte Säulen und Dekorationen sorgen für einen überwältigenden dreidimensionalen Effekt. Tiefer im Inneren des Gebäudes verzaubern jahrtausendealte Künstler mit Bildern von Pfauen, Sphinxen, einem rosigen Kuchen auf einem Sockel, griechischen Tempeln und einem meisterhaften Stillleben mit Granatäpfeln in einer Glasschale.

Laut der UNESCO besitzt die Villa Oplontis „die am besten erhaltenen Wandmalereien der römischen Periode“ – und doch hat man diesen Ort praktisch für sich allein. Nur vier Minuten mit dem Zug entfernt liegen die Ruinen von Pompeji, eine der berühmtesten archäologischen Stätten der Welt, in der vor der Pandemie in der Hochsaison täglich 14.000 Besucher herumspazierten.

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    Die Villa A war Teil einer Reihe von Freizeitdomizilen, die entlang der Küste von Neapel gebaut wurden. Zusammen mit dem benachbarten Pompeji wurden sie während des Ausbruchs des Vesuvs 79 n. Chr. verschüttet.

    Foto von Bildagentur-Online/Universal Images Group/Getty Images

    Die Party-Villen der alten Römer

    Die Villa war mit Sicherheit kein Geheimtipp, als sie um 50 v. Chr. erbaut wurde. Damals, bevor die italienische Küstenlinie durch den massiven Lavastrom des Vesuvausbruchs verändert wurde, saß sie wie ein leuchtendes Juwel auf einer hohen Klippe, mit Blick auf einen Strand und die Bucht von Neapel. Oplontis war Teil einer luxuriösen Reihe von Freizeitimmobilien, die von wohlhabenden Römern gebaut wurden, darunter die Villen San Marco und Ariana in Castellammare di Stabia sowie die Villa dei Papiri in Herculaneum.

    Kühle Meeresbrisen, sanfte Hügel und fruchtbares Ackerland inspirierten des Namen dieses Ortes, Campania Felix (Glückliches Land). Dies war der ideale Ort, um dem otium zu frönen – lateinisch für eine Lebensart, die Ruhe, Studium, Kontemplation, Bewegung und natürlich auch Schlemmen und Unterhaltung miteinander verband.

    Hier konnten sich die Römer, die sich von ihrer seriösen Arbeit in der Stadt her kannten, austoben und mit anderen hochgestellten Leuten gesehen werden.

    Ein Detail eines leuchtenden Pfaus illustriert den Luxus, der einst die Gäste der Villa A begrüßte.

    Photograph Ivan Vdovin, Jon Arnold Images, Alamy

    Partygäste, die nach Oplontis eingeladen wurden, kamen am Privathafen der Villa an und wurden dann über Rampen nach oben eskortiert, wo die schiere Größe des Ortes seine Wirkung entfaltete. Damals muss der Komplex doppelt so groß wie die 99 derzeit ausgegrabenen Räume gewesen sein und war von Weinbergen und Olivenhainen umgeben, die sich zum Vesuv hinaufzogen. Im Inneren spielte sich ein orchestriertes Wechselspiel zwischen Gästen und Sklaven ab, die aus versteckten Nischen auftauchten, um Massagen mit kostbaren Salben anzubieten und akrobatische Kunststücke vorzuführen.

    „Ich liebe es, wie die Wandmalereien gestaltet wurden, um die Bewegung der Menschen in der Villa zu lenken“, sagt die Kunsthistorikerin Regina Gee von der University of Montana. „Fresken von Vögeln und üppigen Pflanzen, die den Pool säumen, luden zum bedächtigen Flanieren ein, während die inneren, zebragestreiften Gänge schnelle Bewegungen lenkten, was für Arbeiter nützlich war.“

    Im Gegensatz zu Pompeji und Herculaneum, die im 18. Jahrhundert ausgegraben wurden, blieb Oplontis bis in die 1960er Jahre verschüttet, was dazu beitrug, seine lebendigen Fresken vor der Witterung zu schützen.

    Foto von Bildagentur-Online/Universal Images Group/Getty Images

    Auch Poppaea passt in das Profil spleeniger reicher Römer, die solche Villen besaßen. Sie soll sehr ehrgeizig und sexuell abenteuerlustig gewesen sein, oder wie es der Historiker Tacitus ausdrückte, „mit allen Gaben ausgestattet, außer der Unversehrtheit der Seele“. Ihre Schönheit wurde hoch gelobt und war für sie so kostbar, dass sie laut Plinius verlangte, täglich in der Milch von 500 Eseln gebadet zu werden. Kaiser Nero war Poppaeas dritter Ehemann, und um ihn in die Falle zu locken, zückte sie all ihre Register: Sie überredete Nero, seine Mutter zu ermorden, sich dann scheiden zu lassen und seine erste Frau hinzurichten.

    Nachdem sie endlich geheiratet hatte, liefen die Dinge nicht gut für Poppaea. Während sie mit ihrem zweiten Kind schwanger war, steigerte sich der Kaiser in einen Eifersuchtsanfall hinein. Er beschuldigte sie, mit Gladiatoren zu flirten, und trat sie zu Tode. Ihr Vermächtnis blieb bestehen, denn Nero bereute seinen gewalttätigen Ausbruch und ordnete ein aufwändiges Begräbnis an, bei dem er Poppaea in den Stand einer Göttin erhob. Damit war es für ihn aber noch nicht getan: Er ließ sogar einen Sklaven, der Poppaea ähnelte, kastrieren, damit er ihn heiraten konnte.

    Eine Büste, die sich im Museum des Palazzo Massimo alle Terme in Rom befindet, zeigt Poppaea Sabina, Neros zweite Frau. Einige spekulieren, dass ihr die Villa A gehörte, da dort eine Amphore mit ihrem Namen gefunden wurde.

    Foto von Richard Barnes, Nat Geo Image Collection

    Sobald man die dramatischen Charaktere, die die Villa bewohnt haben könnten, erst einmal versteht, kann man sich Bankette ausmalen, die am Nachmittag begannen und bis in die frühen, fackelbeleuchteten Morgenstunden andauerten. Männer in Togas streckten sich auf Sofas aus und wurden von Dienern begrüßt, die ihnen die Zehennägel schnitten und ihnen schneegekühltes Wasser vom Vesuv zum Händewaschen reichten. Honigwein wurde in silberne Kelche gegossen; Zimbeln schepperten, als Tabletts mit Köstlichkeiten wie Bilchen, Austern und Flamingozungen auftauchten. Spärlich bekleidete Darstellende sprangen durch brennende Reifen, drehten sich auf Tischplatten oder rezitierten als Bacchus mit Lorbeerkränzen gekleidet griechische Poesie.

    Naturgewalten im Paradies

    Die Festlichkeiten endeten abrupt, als ein Erdbeben 62 n. Chr. die Villa A schwer beschädigte. Als der Vesuv ausbrach, hatte es dort schon 17 Jahre lang keine Vergnügungen mehr gegeben. Anders als Herculaneum und Pompeji, die im 18. Jahrhundert ausgegraben wurden, blieb Oplontis tief unter Asche und Schutt verborgen – vergessen bis auf ein paar neugierige Vorstöße während der Renaissance und im 18. Jahrhundert, als die größeren Stätten erforscht wurden.

    Erst 1964 dachte sich die italienische Regierung, dass die Freilegung von Oplontis ein guter Weg sein könnte, um den Tourismus nach Torre Annunziata zu bringen. Somit begannen die offiziellen Ausgrabungen. Dieses späte Timing ist einer der Schlüssel zur Schönheit der Villa: Die lebendigen Fresken waren vor der Witterung geschützt, der die älteren Ausgrabungsstätten ausgesetzt waren. Darüber hinaus wurde die Villa A seit ihrer wenig bemerkten Eröffnung in den 1980ern nicht durch Touristenströme beeinträchtigt.

    Dank des Oplontis-Projekts – einer amerikanischen Organisation, die die Ruinen seit 2005 untersucht und archiviert – ist die Stätte jedoch zunehmend in den Fokus von Wissenschaftlern gerückt. Neben der Villa haben sie die Geschichte von Oplontis beleuchtet, die einst eine blühende Stadt mit Thermalbädern und einem Handelskomplex war, den sie als Villa B bezeichnen und in der etwa 1.500 Amphoren gefunden wurden.

    Eine der ergreifendsten Entdeckungen in Villa B waren 54 Skelette von Menschen, von denen man annahm, dass sie an jenem schicksalhaften Tag im Jahr 79 n. Chr. auf ein Schiff warteten, das sie retten sollte. „Die Skelette wurden in zwei Gruppen gefunden“, sagte John Clarke, Co-Direktor des Oplontis-Projekts an der University of Texas in Austin. „Die erste [Gruppe] in der Nähe des Eingangs war mit Geld und Schmuck beladen. Die zweite im hinteren Teil hatte kein Geld, aber Laternen und Werkzeuge. Es wird vermutet, dass die zweite Gruppe Sklaven waren, die, so traurig es ist, von ihren Herren getrennt waren, selbst im Tod.“

    NAPLES, ITALY - MAY 28: General view of the Naples seafront with the Vesuvius in the background on May 28, 2020 in Naples, Italy. (Photo by Ivan Romano/Getty Images) [The key for this image is that it shows Mt. Vesuvius which buried Oplontis, Oplontis is right next to Mt. Vesuvius. Also, Naples is likely a destination for travelers to Oplontis, it's very close (25min to 45 min drive)

    Die Wissenschaftler des Oplontis-Projekts arbeiteten vor einigen Jahren mit den Einwohnern der Stadt zusammen, um eine Ausstellung von Skulpturen und Artefakten aufzubauen, die bei der Ausgrabung gefunden wurden. Die Einheimischen waren erstaunt, Schätze zu sehen, deren Existenz sie nicht mal erahnt hatten – von exquisiten Marmorstatuen von Zentauren bis hin zu Glasvasen und Silbergeschirr.

    Man hofft auf einen permanenten Ausstellungsraum für Oplontis in Torre Annunziata und auf Gelder, um Öffentlichkeitsarbeit, Restaurierungen und weitere Ausgrabungen zu unterstützen. Wenn man sich den sprunghaften Anstieg des Tourismus ansieht, der entstand, als private Spender und Regierungen Millionen für Pompeji und Herculaneum spendeten, wird klar, dass es solche Möglichkeiten auch für Oplontis im Überfluss gibt.

    In der Zwischenzeit haben Gelehrte, Einheimische und neugierige Reisende diese Reichtümer für sich allein. „Ich bekomme nie Anfragen von Touristen, nach Oplontis zu gehen“, sagt Fiorella Squillante, eine neapolitanische Fremdenführerin für das Unternehmen Vesuvius vs Pompeji. „Aber manchmal, wenn ich den Eindruck haben, dass sie tiefer eintauchen wollen, nehme ich sie mit. Ich liebe es immer zu sehen, wie sie den Kontrast erleben – von der Ankunft in der modernen Stadt bis zum Betreten der Villa aus fener Vergangenheit. Für mich ist ihre Überraschung zusammen mit den Fresken wunderschön.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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