Makaken-Shows: Tierschützer sind gegen Japans Affentheater

In der japanischen Tradition gelten Makaken als Mittler zwischen Göttern und Menschen. Doch ihre Auftritte werden immer mehr zu Spaßnummern – und rufen besorgte Tierschützer auf den Plan.

Von Rene Ebersole
Veröffentlicht am 8. Apr. 2020, 12:29 MESZ
Makaken beim alltäglichen Spaziergang

Die Trainer gehen täglich mit ihren Schützlingen in Windeln  spazieren. Im ersten Trainingsstadium des Sarumawashi (Affenauftritts) bringen sie den Kleinen bei, auf winzigen Schemeln zu sitzen. Nach und nach lernen die Tiere, auf Stelzen zu laufen und über Hindernisse zu springen.

Foto von Jasper Doest

Sechs angeleinte Japanmakaken schossen den Ball den Rasen auf und ab, angefeuert von ihren Trainern und den Zuschauern. Das Match: Japan gegen Brasilien. Die Tiere in den blauen Trikots der Japaner sahen kräftiger aus, aber Brasiliens gelbe Riege war flink – besonders, wenn der Spieler mit der Nummer zehn aufhörte, seine Hände zu lecken. Plötzlich bekam er den Ball, schoss und traf. Sieg! Japans Mannschaft verbeugte sich. Die Zuschauer platzten vor Lachen. Die Fußballnummer war eine der Eröffnungsübungen, bevor es in der Arena des Vergnügungsparks Nikko Saru Gundan in der Stadt Nikko richtig losging.

Tradition ohne Bedeutung

Im Innenhof spielte ein Makake in Windeln und einem orangefarbenen Jogginganzug Airhockey gegen ein fünfjähriges Kind – und gewann haushoch. Kam der Puck in seine Richtung, schlug der Affe ihn zurück zum Tor des Gegners. Auf einer Außenbühne sprang ein Männchen im Kimono über Hürden. In der Hauptarena zeigten eine Frau namens Yuria Suzuki und ihr treuer Primat Riku eine Parodie auf eine beliebte japanische Polizeishow. Im Finale sprang Riku in gepunkteten Hosen und einer Satinweste über eine Spalte zwischen Treppenaufgängen und führte einen einarmigen Handstand auf einer hohen, schwankenden Stange aus.

Die Veranstaltung im Nikko Saru Gundan wurzelt in der traditionellen japanischen Kultur. Sarumawashi (Affenvorstellung) entspringt dem Glauben, dass der saru (Affe) der Beschützer von Pferden und Mittler zwischen Göttern und Menschen ist, fähig, böse Geister zu bannen und den Weg zum Glück zu ebnen. Wie die traditionelle Theaterform Kabuki wurde auch sarumawashi schon vor tausend Jahren in öffentlichen Theatern aufgeführt. Doch im modernen Japan ist die spirituelle Bedeutung in Vergessenheit geraten. Die Affennummern verflachen immer mehr zum Zirkus.

Tierschützer sind alarmiert

Viele Tiere werden mit Geduld und positiver Verstärkung ausgebildet, manche aber harsch diszipliniert und sogar körperlich misshandelt, sagt Keiko Yamazaki, Leiterin des Animal Literacy Research Institute, das die facettenreiche Beziehung zwischen Mensch und Tier erforscht. Sie ist auch Vorstandsmitglied der japanischen Tierschutzorganisation Coalition for Animal Welfare. Affen in Gefangenschaft sind vom Tierschutzgesetz geschützt. Dass dies auch für Makaken in Windeln gilt, die über Bürgersteige wackeln, ist vielen Japanern anscheinend nicht bewusst. „Viele Tierschutzgruppen setzen sich für Kätzchen und Welpen ein – für Tierheime, in denen nicht getötet wird. Katzenliebhaberinnen haben eine größere Gefolgschaft“, sagt Keiko Yamazaki. „Unser Ziel ist es, Japans Tierschutzgesetz auf alle Tiere anwendbar zu machen – Nutztiere, Zootiere, Labortiere.“

Dass Tiere der Unterhaltung dienen, hat in dem Land eine lange Tradition. Dies sollte jedoch dem Schutz vor Ausbeutung nicht entgegenstehen, findet sie. „Es ist wie beim Zirkus. Geht man in der Geschichte zurück, sieht man, wie Tiere mit extrem gewalttätigen Methoden dressiert wurden, das Affengeschäft ist da keine Ausnahme. Aber Kultur entwickelt sich – sie ist nicht in Stein gemeißelt.“ Die Sarumawashi-Versionen des 21. Jahrhunderts reichen von Affen, die auf Straßenfesten Rückwärtssalti in Rüschenkleidern schlagen, bis zu den Primatenschülern im Nikko Saru Gundan, die in YouTube-Videos Klavier spielen. In einer Bar in Utsunomiya nördlich von Tokio servieren Affen kühles Bier und tragen Masken aus Pappmaschee, darunter auch eine mit dem Konterfei von US-Präsident Donald Trump.

BELIEBT

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    Im Nationalpark Joshin’etsukogen, in einer vulkanischen Region von Honshu, entspannen „Schneeaffen“ in heißen Quellen. Vor Jahren begannen Menschen sie zu füttern, um sie von ihren Höfen abzulenken. Dann wurden die Tiere zu einer Touristenattraktion. Heute füttert sie das Personal des Parks.

    Foto von kat334, Stock.adobe.com

    Schneeaffen im Visier

    In der Natur sind Japanmakaken, auch Schneeaffen genannt, robuste Geschöpfe. Vom Menschen abgesehen, gibt es keine Primaten, die in so nördlichen Breiten leben. Im Affenpark Jugokudani, eine dreieinhalbstündige Fahrt nordwestlich von Tokio gelegen, sind all die Bilder aus Zeitschriften und Naturdokumentationen zu sehen: reifbedeckte Affen, wie sie in heißen Quellen vor Tierfotos und Selfies knipsenden Touristenhorden lümmeln. Trotz ihres Beinamens findet man Schneeaffen fast im gesamten Land, auch in den subtropischen Wäldern im südlichen Teil ihres Verbreitungsgebiets. Als wahre Allesfresser mögen sie Pflanzen, Früchte, Insekten, Rinde und sogar Erde. Dies hat sie auch ins Visier von Bauern gebracht. Jedes Jahr sorgt engai, Affenschaden, für millionenschwere Ernteverluste – meist bei Obst und Gemüse. Produzenten benutzen Zäune, Vogelscheuchen und Pyrotechnik, um Affen abzuschrecken. In manchen Kommunen können Bauern Beschwerden bei Agenturen einreichen, die Programme zum Einfangen und Töten von Problemtieren betreiben. Laut Umweltministerium werden in diesem Rahmen jährlich über 19 000 Affen getötet. Ein Nebenprodukt dieser Vernichtungsprogramme können verwaiste junge Affen sein, die fürsorgliche Bürger vereinzelt aufnehmen und an Unterhaltungsgruppen weitergeben. Eines Nachmittags machte ich in der Nähe der Stadt Yamaguchi, im Südwesten Japans, einen Spaziergang mit dem 72-jährigen Shuji Murasaki auf einem Feldweg. Er hielt an und deutete auf einen leeren Metallkäfig, etwa so groß wie vier Schulbusse, auf einem Feld. Es war eine Falle, dazu gedacht, Affen mit einem Köder von den Früchten wegzulocken. Das Dorf hatte in der vorigen Woche etwa zehn Affen gefangen, sagte Murasaki. Er wusste nicht, was mit ihnen geschehen war – wahrscheinlich wurden sie erschossen, obwohl er wünschte, sie wären an einen Zoo geschickt worden.

    Oft schlafen die Ausbilder bei den Babys und bauen Bindungen zu den Tieren auf, während diese zu Darstellern heranwachsen.

    Foto von Jasper Doest

    Aufwändige Affenausbildung

    Zwei kleine Affen fanden ein Zuhause bei seinem Sohn Kohei, der sie zu Darstellern ausbilden würde, sagte er. Murasaki, ein Menschenrechtsaktivist und ehemaliger Schauspieler, gehörte zu einer kleinen Gruppe von Leuten, die das traditionelle sarumawashi wiederbelebten, als es in den Sechzigerjahren praktisch verschwunden war. Jetzt ist er im Ruhestand und hat seine Methode, den spirituellen Wurzeln des sarumawashi treu zu bleiben, an Kohei weitergegeben. Die Vorstellungen greifen das originale Gedankengut des Ostens auf, so Murasaki. „Die Tiere sind Mittler zwischen dem Publikum und Gott – es ist nicht einfach eine Affenshow, es ist eine Zeremonie.“ Murasaki erklärte, dass nach japanischen Überzeugungen jedes Tier einen Weg habe, Glück zu bringen. Demnach besitzt jedes Affenkunststück eine Bedeutung. Wenn der Trainer das Tier an den Armen kreisen lässt, wird der Auftrittsort gereinigt. Springt ein Affe durch zwei Reifen, verteilt er Gesundheit und ein langes Leben. Affen auf Stelzen erweitern Wünsche nach Wohlergehen und Glück für die Kinder.

    Erkennt ihr die Stimmung eines Makaken an seinem Gesicht?

    Es sei nicht einfach, die Tiere für die komplizierten Kunststücke auszubilden, sagt Shuji Murasaki. Selbst elementare Sarumawashi- Tricks können über ein Jahr Lernzeit beanspruchen. In einem ersten Schritt lerne der Affe, sich auf einen kleinen Schemel zu setzen. Der Trainer zeigt den Schemel und klopft, damit der Affe Platz nimmt. Ist er willig, überschüttet der Trainer ihn mit Lob und Anerkennung. Als Nächstes kommt das zweibeinige Laufen. „Sehr unnatürlich für Affen“, betont Murasaki, weshalb es Monate dauern könne, in denen der Trainer einen Affen an der Hand führe, bis das Tier beginne, dies auf Befehl zu tun. Allmählich arbeiten sich Trainer und Affe zu aufwendigeren Bewegungen und Turnübungen vor. Das Tier bewältigt kurze Stelzen, dann höhere.

    Murasaki und sein Sohn erlauben den Affen, das Tempo zu bestimmen, sagt er, weil die Alternative – Geschrei oder Schläge – Vertrauen kosten würden. Die Trainingsmethoden sind jedoch unterschiedlich. Bei meinem Besuch im Nikko Saru Gundan sagte mir Tsuyoshi Oikawa, der seit 20 Jahren dort Trainer ist, dass Tierbetreuer traditionell Dominanz anwendeten, um den Affen beizubringen, dass Menschen höherrangig seien. Um eine Hackordnung festzulegen, würden sie brüllen und die Affen sogar beißen. Er sagte, er arbeite mit Lob und verbaler Maßregelung. „Wir behandeln sie wie unsere Kinder. Wenn sie gute Leistungen bringen, sagen wir: Gut gemacht. Wenn nicht, schimpfen wir sie.“

    Die Trainer sagen, sie behandeln die Affen als wären sie ihre eigenen Kinder. Sie ziehen sie an, baden sie und füttern sie täglich mit Joghurt-Snacks.

    Foto von Jasper Doest

    Wachsende Kritik

    Weltweit stoßen Attraktionen wie das Nikko Saru Gundan auf wachsende Kritik von Menschen, die aus moralischen Gründen dagegen sind, wilde Tiere für Unterhaltungszwecke zu instrumentalisieren. „Die Welt ist empört über reißerische Tierdarbietungen, weshalb Zirkusse schließen und viele Länder sie verbieten“, sagte Jason Baker, Vizepräsident der Tierschutzorganisation Peta in Asien. „Leider hat die Geschichte uns gezeigt, dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass Länder Tiere schützen, vor allem Japan, wo Tierschutzgesetze kraftlos sind. Niemand überwacht Lebensbedingungen, vorbereitendes Training, Trennung von der Mutter oder was mit den Tieren geschieht, wenn sie nicht mehr von der Unterhaltungsindustrie genutzt werden.“ Der Trainer Oikawa sagt dagegen, dass Menschen, die die Tierethik der Shows kritisierten, Japans Sarumawashi-Kultur nicht verstehen würden. „Wir lieben Affen – wir sind auf ihrer Seite“, sagt er. „Wir gebrauchen keine gewalttätigen Trainingsmethoden.“

    Alles für die Show

    Satoshi Harada arbeitete als Dompteur bei Affenauftritten, ehe er Direktor und leitender Tiertrainer einer Affenschau namens Sen-zu No Sarumawashi wurde, die auf Straßenfesten, in Schulen und auf Partys auftritt. Als ich ihn im Büro des Unternehmens in Kawasaki traf, sagte er, dass er belastende Trainingsmethoden vermeiden wolle, indem er eher auf positive Verstärkung und Zuneigung setze. Das schließe sogar mit ein, bei den Tieren zu schlafen, solange sie noch sehr jung seien. Wir traten in den Übungsraum seiner Truppe, wo Harada mich seinen Kollegen und ihren Mitarbeitern in Windeln vorstellte, darunter vier junge Babys. Er erklärte, dass es einen strengen Trainingsplan gebe – je zwei Stunden morgens und nachmittags, mit Ausnahme der Tage, an denen die Affen auftreten. Früher an diesem Morgen, während einer Vorführung vor 300 Vorschulkindern in einer Turnhalle, hatte ich über die Akrobatik der Tiere gestaunt. Der Star der Show war Ponzo, gekleidet in eine gelbe Weste und einen schwarzen Overall. Die Kinder quietschten vor Freude, während der Affe seine Tricks zum Besten gab und auf Stelzen durch den Zuschauerraum schritt. „Ankoru! Ankoru!“, schrien die Kinder. – „Zugabe! Zugabe!“ Zurück im Sen-zu-Büro, zogen die Trainer den Affen die Windeln aus und schlossen sie in Metallkäfige, in denen sie leben, wenn sie nicht auftreten. Dann machten sich die Trainer an ihre Routinen fürs Tagesende: übel riechende Fäkalien von den metallenen Tropfrinnen unter den Käfigen schrubben und Schalen mit Orangen, Äpfeln und Bananen für das Abendessen der Affen vorbereiten, die sie ihnen gemeinsam präsentierten. Es war fünf Uhr, Zeit, nach Hause zu gehen. Vor dem Frühstück würden sie wieder da sein, um die nächste Show vorzubereiten.

     

    Aus dem Englischen von Anne Sander. 

    Rene Ebersole schreibt über Tiere und Verbrechen an Wildtieren. Jasper Doest gewann für dieses Projekt den Wildlife Photographer of the Year Photojournalist Story Award 2019.

    Der Artikel wurde ursprünglich in der März 2020-Ausgabe des deutschen National Geographic Magazins veröffentlicht. Jetzt ein Abo abschließen!

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