Hören ohne Ohren - ganz normal für diese Spinnen

Großaugenspinnen können mit ihren Beinen eine überraschende Bandbreite an Geräuschen wahrnehmen. Diese Fähigkeit ist bei vielen anderen Spinnenarten bislang unbekannt.

Von Liz Langley
Veröffentlicht am 30. Okt. 2020, 16:44 MEZ
Großaugenspinne

Großaugenspinnen haben acht Augen. Ihren Namen bekam die Spinnenart von den beiden riesigen, nach vorne gerichteten Sehorganen.

Foto von Jay Stafstrom

Die Großaugenspinne trägt ihren Namen absolut zu Recht: Mit ihren gigantischen Sehorganen ist sie für die Beutejagd im Dunkeln perfekt ausgestattet.

Doch wie sich nun herausstellt, besitzt die nachtaktive Spinne noch eine weitere, außergewöhnliche Fähigkeit: Sie kann hören. Eine neue Studie belegt, dass die Tiere eine erstaunliche Bandbreite an Geräuschen aus zwei Metern Entfernung wahrnehmen können. Das Besondere dabei sind die Sinnesorgane, denn die Spinne hört mit ihren Beinen.

Die Großaugenspinne Dinopsis spinosus ist im Südosten der USA heimisch, wo sie sich von Ästen und Zweigen abseilt, um ihre fliegende Beute mit einem geschickten Rückwärtssalto in ihr klebriges Netz zu befördern.

Jay Stafstrom, der als promovierter Neurobiologe an der Cornell University forscht, wurde neugierig, wie die Tiere diese präzise Leistung vollbringen können. Daher führte er einen Versuch durch, bei dem er die Augen der Spinnen mit einem Stück Silikon abdeckte. Trotz des Verlusts ihres Sehsinns konnten die kleinen Räuber immer noch fliegende Insekten fangen, was darauf hindeutete, dass sie ihre Beute tatsächlich hören.

Spinnen besitzen keine Ohren im konventionellen Sinn. Doch es gibt immer mehr Belege dafür, dass einige Spinnenarten – wie Springspinnen, Fischerspinnen und nun auch Großaugenspinnen – mithilfe von Rezeptoren in ihren Beinen hören können. Diese Rezeptoren funktionieren im Prinzip wie Ohren, indem sie Schallwellen aufnehmen und die Impulse ans Gehirn weiterleiten. Dass Spinnen durch Beutetiere ausgelöste Vibrationen in ihren Netzen wahrnehmen können, ist längst bekannt. Das hat jedoch nichts mit tatsächlichem Hören zu tun.

Beeindruckend ist, wie gut die Großaugenspinnen hören, sagt Stafstrom, dessen Studie am 29. Oktober 2020 im Wissenschaftsmagazin „Current Biology“ veröffentlicht wurde. Anders als einige andere Arten (wie zum Beispiel Springspinnen), die keine hohen Frequenzen wahrnehmen, können Großaugenspinnen nicht nur die niederfrequenten Geräusche von Insektenflügelschlägen hören. Stafstrom fand heraus, dass die Tiere auch auf das hohe Zwitschern von Vögeln reagieren, die ihre Hauptfressfeinde sind.

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BELIEBT

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    Die Entdeckung einer so ausgefeilten Hörfähigkeit in einem so einfach strukturierten Tier könnte Wissenschaftlern bei der Entwicklungsforschung des Hörsinns helfen, meint Sen Sivalinghem, ein Biologie mit Spezialisierung auf Sinnesorgane der University of Toronto, der nicht an der Studie beteiligt war.

    „Wenn wir verstehen, wie sensorische Informationen im Gehirn von verhältnismäßig wenig komplexen Tieren mit weniger Neuronen verarbeitet werden – und wie sich das auf das Verhalten und die Entscheidungen des Organismus auswirkt –, erhalten wir dadurch Informationen über die Funktionsweise und Verarbeitungsfähigkeit aller Gehirne“, sagt er. „Das menschliche mit eingeschlossen.“

    Spinnensinne

    Laut der Studie weben Großaugenspinnen klebrige Netze aus Seide, in denen sie Insekten mithilfe eines „akrobatischen Saltos“ fangen.

    Foto von Jay Stafstrom

    In ihrem neuen Versuchsaufbau führten Stafstrom und seine Kollegen winzige Elektroden in die Gehirne der Spinnen und parallel in abgetrennte Beine ein, die noch bis zu einer Stunde nach der Abtrennung Geräusche wahrnehmen können. Die Forscher vermuteten, dass die metatarsalen Organe, die am unteren Ende jedes Spinnenbeins sitzen und für die Wahrnehmung von Vibration zuständig sind, auch zum Hören genutzt werden.

    Anschließend spielten die Wissenschaftler Geräusche aus knapp zwei Metern Entfernung ab. Die Elektrodenmesswerte belegten, dass das Gehirn der Spinne und die metatarsalen Organe sowohl bei nieder- als auch bei hochfrequenten Tönen aktiv werden. Als die Forscher eben jene Organe abdeckten, reagierten die Spinnen nicht mehr so stark auf die Geräusche, was den Rückschluss zulässt, dass die Organe Trommelfellen gleichen.

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    Um die Laborerkenntnisse zu verifizieren, führte das Team außerdem Versuche an Spinnen in freier Wildbahn in der Region um Gainesville in Florida durch. Dort spielten sie nachts die gleichen Geräusche ebenfalls aus knapp zwei Metern Entfernung ab.

    Das Ergebnis war das gleiche: Die Spinnen legten ihr Netz aus, wenn sie tiefe Frequenzen hörten, die Flügelschläge von Insekten imitieren. Hörten sie hochfrequente Laute, die auf einen Beutegreifer in der Nähe hindeuten, blieben sie still sitzen. Diese Reaktionen untermauern für die Studienautoren die Beweise, dass die Spinnen tatsächlich hören können und nicht nur auf Vibrationen in ihren Netzen reagieren.

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    „Einer der wirklich spannenden Aspekte dieser Studie ist die Kombination aus Verhaltensexperiment mit neurobiologischer Forschung“, sagt Sivalinghem.

    „Gehirnaktivität von Spinnen zu dokumentieren ist ziemlich schwierig“, fügt er hinzu. „Deswegen wissen wir nur wenig darüber, wie sensorische Informationen verarbeitet werden und welche dieser Informationen wichtig für Spinnen sind. Studien wie diese füllen diese Wissenslücke.“

    Eine Schatztruhe für die Technologie

    Die Entdeckung könnte möglicherweise bei der Entwicklung von fortschrittlicher Technologie wie etwa hochsensibler Mikrofone helfen, meint Stafstrom.

    Da Großaugenspinnen „wirklich gut in ihrem seltsam anmutenden Verhalten sind“, könnten wir vielleicht ihre Fähigkeiten in irgendeiner Form nachahmen.

    Er stellt sich beispielsweise Mikrofone oder Smart-Aufnahmegeräte mit acht „Beinen“ vor, die jeder einen Sensor besitzen, sodass „man eine gute Einschätzung erhält, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt, mit welcher Geschwindigkeit und wohin es weitergeht.“ Solche Geräte könnten hilfreich bei der Filterung einer Stimme aus einem Gesprächshintergrund sein, erklärt er.

    „Wir gehen davon aus, dass in diesen Spinnen eine wahre Schatztruhe an Informationen steckt.

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