Doch nicht ausgestorben: Das Zwergwildschwein kehrt in die Wildnis zurück
Das kleinste Schwein der Welt wurde 1971 wiederentdeckt. Seitdem nimmt die Zahl der scheuen Tiere dank erfolgreicher Zuchtprogramme in ihrer Heimat Indien stetig zu.
Ein in Gefangenschaft lebendes Zwergwildschwein im Pygmy Hog Breeding Center in Guwahati, Indien.
Im dichten, hohen Grasland der Ausläufer des Himalayas lebt das Zwergwildschwein, eine vom Aussterben bedrohte Art, die so klein ist, dass ihre Ferkel in die Hosentasche passen. Früher durchstreifte das scheue, etwa 25 Zentimeter große Tier auf der Suche nach Insekten und Knollen die Grenzregionen von Indien, Nepal und Bhutan.
Doch ein Jahrhundert voller Umweltzerstörung und dem Verschwinden seiner Lebensräume machte dem Schweinchen zu schaffen: Insbesondere die Umwandlung von Grasland zu Agrarflächen setzte dem Zwergwildschwein stark zu. Sein Bestand wurde so sehr dezimiert, dass man bis zu seiner „Wiederentdeckung“ im Jahr 1971 allgemein davon ausging, dass die Art ausgestorben war.
Mitte der 1990er Jahre aber gelang es Naturschützern, einige der wilden Schweine zu fangen. Sie züchteten die Tiere erfolgreich und wilderten sie im Nordosten Indiens, im Bundesstaat Assam, aus.
25 Jahre später ziehen Experten eine positive Bilanz: Zwischen 300 und 400 Zwergwildschweine leben insgesamt in freier Wildbahn, 76 in Gefangenschaft – und die Art entwickelt sich weiter bestens.
Aufgrund des großen Erfolgs des Programms, entschied man sich für eine Weiterführung. In diesem Rahmen entließen Wissenschaftler in den Jahren 2008 bis 2020 insgesamt 130 Zwergschweine in die freie Wildbahn in Assam – verteilt auf zwei Nationalparks (Manas und Orang) und zwei Wildschutzgebiete (Barnadi und Sonai Rupai).
Weitere 60 Schweine sollen innerhalb der nächsten fünf Jahre in Manas ausgewildert werden, so Parag Deka, Projektleiter des Pygmy Hog Conservation Programme (PHCP) mit Sitz in Guwahati, der Hauptstadt Assams.
„Für mich persönlich ist es sehr wichtig, weiterzumachen und diese Art vor dem Aussterben zu bewahren“, sagt Deka. „Wir alle suchen nach einem Sinn im Leben. Ich habe meinen gefunden, als ich begann, an diesem Projekt mitzuarbeiten.“
Das Ende einer ganzen Gattung
Siebzehn Wildschweinarten gibt es weltweit, fast alle sind vom Aussterben bedroht. Im Falle des Zwergwildschweins ist es nicht nur seine geringe Größe, sondern auch seine evolutionäre Einzigartigkeit, die es zu etwas ganz Besonderem machen. „Es ist die einzige Art aus der Gattung Porcula“, sagt Matthew Linkie, Asien-Koordinator des Fachkreises für Wildschweine der International Union for Conservation of Nature.
„Wenn wir diese Art verlieren“, erklärt er, „verlieren wir gleichzeitig eine ganze Gattung und Millionen von Jahren ihrer Evolution.“
Das Schutzprogramm verhilft der Art zu einer „reellen Überlebenschance“, sagt Linkie. Er lobt den jüngsten Einsatz des Teams, die in Gefangenschaft lebenden Zwergwildschweine vor Krankheiten wie der Afrikanischen Schweinepest zu schützen – einer Viruserkrankung, die in der Region 2020 zeitgleich mit COVID-19 auftrat.
Auf dem Zuchtgelände gelten für Fahrzeuge, Ausrüstung und Mitarbeitende deshalb strenge Biosicherheitsmaßnahmen, erklärt er. „Die lokale Schweineindustrie hat wegen des Virus [Afrikanische Schweinepest] große wirtschaftliche Einbußen zu befürchten. Doch für die Zwergwildschweine und andere bedrohte Arten steht noch mehr auf dem Spiel. Für sie besteht das Risiko des Aussterbens“, erklärt Johanna Rode-Margono, Vorsitzende des Fachkreises für Wildschweine der IUCN.
„Die Teams vor Ort tun alles, um die wilden Populationen und die Tiere in Gefangenschaft zu schützen.“
Das Comeback einer Art
Nachdem die westliche Wissenschaft im Jahr 1847 das Zwergwildschwein zum ersten Mal erwähnte, wurde es aufgrund seiner Größe und großen Scheu im darauffolgenden Jahrhundert nur sehr selten gesichtet. In seinem 1964 erschienenen Buch „Die Tierwelt Indiens“ beschrieb der Naturforscher Edward Pritchard Gee seine Bemühung, herauszufinden, „ob [das Zwergwildschwein] noch existiert“.
Weil es so schwer zu fassen war, wusste man kaum etwas über Lebensweise und Verhalten von Porcula salvania. Bekannt war, dass ausgewachsene Zwergwildschweine zwischen 7,5 und 11 Kilogramm wiegen, und im Grasland nach Nahrung, Baumaterial und Schutz vor Fressfeinden wie Pythons und Krähen.
Die Schweine benutzen abgerupfte Grashalme, um Dächer für ihre Bodenmuldennester zu bauen. Normalerweise besteht eine Zwergwildschweinfamilie aus drei bis fünf Tieren, ausschließlich Weibchen und Jungtiere. Die Eber schließen sich der Rotte für gewöhnlich nur für ein paar Monate während der Paarungszeit an.
Galerie: Ausgestorben
Im Jahr 1971 – lange nach der letzten bekannten Sichtung eines Zwergwildschweins – fing der Arbeiter einer Teeplantage in Assam eine Gruppe von Zwergwildschweinen, die auf der Flucht vor einem kontrolliert gelegten Feuer in der Nähe des Barnadi-Schutzgebiets waren. Kurz darauf bot er sie auf dem Markt zum Verkauf an, und so kam es, dass Richard Graves, Verwalter einer Teeplantage, zwölf Tiere erwarb.
Graves’ Chef, John Yandel, informierte den Naturforscher Gerald Durrell, Gründer des Durrell Wildlife Conservation Trust, über den Fund. Daraufhin kamen zwar Trust-Wissenschaftler nach Assam, um die Schweine zu erforschen, doch es dauerte noch zwei Jahrzehnte, bis das Pygmy Hog Conservation Programme ins Leben gerufen wurde und 1996 damit begann, Zwergwildschweine zu züchten.
Mit etwa sechs Monaten ziehen in Gefangenschaft gezüchtete Ferkel in das Outdoor-Auswilderungszentrum in Potasali um, das in der Nähe des Nameri-Nationalparks liegt. Dort können die Jungen weitere sechs Monate lang das Grünland-Habitat erkunden und sich an ihren neuen Lebensraum gewöhnen. Nach ihrer Auswilderung wird mithilfe von Kamerafallen und Funksendern das Leben der Schweine weiterhin verfolgt.
Ein Lebensraum verschwindet
Doch die Züchtung der Zwergwildschweine ist nur die halbe Miete. Um überleben zu können, benötigen sie auch gesundes Grasland. Auf der Suche nach geeigneten Auswilderungsgebieten legt das Team ein besonderes Augenmerk auf das Vorkommen bestimmter Gras- und Pflanzenarten. Außerdem muss die ausgewählte Fläche mindestens fünf Quadratkilometern bietet und bevorzugt, wegen des hohen Mineraliengehalts im Boden, Marschland an den Ufern von Flüssen.
Doch Areale zu finden, auf die diese Kriterien zutreffen, ist schwer: Assams Grasland verschwindet, wird umgewidmet oder aufgeteilt. Das Schutzgebiet Barnadi, in dem 1971 die Schweine gefangen wurden, verfügte damals über eine Graslandfläche von etwa 10 Quadratkilometern – inzwischen ist diese auf knapp einen Quadratkilometer geschrumpft.
Das illegale und wahllose Abbrennen von Grasland zur Schaffung von Flächen für den Tierfutteranbau bringt die Zwergwildschweine vor allem in der Paarungszeit und während der Aufzucht ihrer Jungen in Bedrängnis. Außerdem fördert es das Wachstum von Unkraut, das in diesem gestörten Umfeld besonders gut gedeiht und die einheimischen Gräser verdrängt.
„Es mag grün aussehen, doch ich nenne es grüne Wüste, weil dort nichts wachsen kann“, sagt Deka. Um den Druck auf das Grasland zu reduzieren und Praktiken zu entwickeln, die die Nutzung der Lebensräume besser steuern, arbeitet das Naturschutzteam mit lokalen Gemeinden und Forstbeamten zusammen. „Auf unseren Patrouillen entfernen wir graslandgefährdende Arten wie das Siamkraut und den Asiatischen Kapokbaum“, erzählt Arjun Kumar Rabha. Der Forstbeamte im Manas-Nationalpark arbeitet seit sechs Jahren mit den Zwergwildschwein-Schützern zusammen.
„Früher konnten die illegal gelegten Feuer im Grünland wegen gesellschaftspolitischer Unruhen in der Region nicht überwacht werden. Jetzt arbeiten wir mit kontrolliert gelegten Bränden.“ Die Naturschützer raten Einheimischen dazu, mithilfe von Feuerlinien zwischen einzelnen Graslandflächen sicherzustellen, dass sich im Fall eines Brandes die Flammen nicht ausbreiten. Außerdem empfehlen sie, zwischen gelegten Bränden eine Regenerationsphase von einigen Wochen einzulegen, damit sich die Vegetation in anderen Gebieten erholen kann. So haben Zwergwildschweine und andere Grasland-Arten die Möglichkeit, in diese abzuwandern.
Das Ziel ist es laut Deka, bis 2025 mindestens 28 Quadratkilometer Grasland im Manas-Nationalpark wiederherzustellen, sodass die Zwergwildschweine das Land wieder bevölkern und gedeihen können.
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.