Wilde Nandus in Deutschland: Die Riesenvögel vom Schaalsee

Es ist eine kleine ökologische Sensation: Seit gut 20 Jahren streifen Nandus durch den Nordosten Deutschlands. Die einzige wildlebende Population in Europa könnte sich weiter ausbreiten – doch es gibt Bedenken.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 31. Aug. 2023, 08:48 MESZ
Nandus (straußenähnliche Vögel) überqueren eine Straße in Mecklenburg-Vorpommern. Von hinten naht ein Auto.

Achtung, Nandus auf der Fahrbahn! Im Biosphärenreservat Schaalsee lebten zwischenzeitlich mehr als 560 der riesigen Laufvögel. 

Foto von Adobe Stock

In ihrer südamerikanischen Heimat werden sie immer seltener. In Deutschland haben sie ein zweites Zuhause gefunden. Um 2000 entkamen einige Nandus einem Freigehege bei Lübeck. Zum Erstaunen vieler überlebten die bis 1,4 Meter großen und 30 Kilo schweren Laufvögel den ersten norddeutschen Winter. Und obwohl sie – wie der Strauß, dem sie äußerlich ähneln – nicht fliegen können, fanden sie schnell eine neue Heimat: das Biosphärenreservat Schaalsee zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Auf den dortigen Äckern und Wiesen scheinen sich die tierischen Neubürger ausgesprochen wohlzufühlen. 

Am Anfang wuchs die Population nur sehr langsam. „Besonders in kalten, nassen Wintern starben viele Jungtiere“, erklärt Elke Dornblut vom Biosphärenreservatsamt Schaalsee-Elbe. In der südamerikanischen Savanne ist es eben deutlich milder. Wer aber den ersten Winter überlebte, hatte gute Chancen, im nächsten Frühjahr selbst für Nachwuchs zu sorgen.

Zweimal jährlich werden die Nandus am Schaalsee gezählt. Schon 2011 war der Bestand auf gut 100 Vögel angewachsen. Im milden und trockenen Hitzejahr 2018 erreichte die Population mit 566 nachgewiesenen Tieren ihren bisherigen Höhepunkt. Seitdem ist der Bestand rückläufig. Im Herbst 2022 waren es noch 144 Vögel. Im Rahmen des aktuellen Frühjahrsmonitorings wurden 91 Nandus gezählt. In manchen Jahren fällt fast der komplette Nachwuchs der nasskalten Witterung zum Opfer. Im Winter 2009/10 etwa überlebte nur einer von 82 Jungvögeln.

 

Nandu mit Jungtieren auf einer Wiese in Mecklenburg-Vorpommern 

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Deutschland hat eine neue Vogelart

Aber auch der Mensch macht den bis zu 60 km/h schnellen Exoten zu schaffen. „Bereits seit 2017 wurde versucht, durch die Manipulation der Gelege und eine Vergrämung der Tiere ein weiteres Anwachsen der Population zu verhindern“, sagt Dornblut. Der Grund: Nandus können erhebliche Schäden auf landwirtschaftlichen Flächen verursachen. Sie lieben Raps und zertrampeln Äcker und Felder.

Ranger und Landwirte durften deshalb mit behördlicher Genehmigung Löcher in Nandu-Eier bohren. Weil diese Art der Geburtenkontrolle allerdings wenig brachte, darf der Nandu seit 2020 bejagt werden. „Das heißt aber nicht, dass er nun ganz aus unserer Landschaft verschwinden soll“, betont Dornblut. Ein Bestand von etwa 50 erwachsenen Tieren solle erhalten bleiben.

Deutschland hat also eine neue Vogelart. Und laut Biosphärenreservatsamt ist der Nandu gekommen, um zu bleiben. Aus den Ergebnissen der bisherigen Zählungen lasse sich ablesen, dass die Population durch klimatische Faktoren nicht zusammenbrechen werde. Selbst wenn es in einem schwierigen Jahr kaum erfolgreiche Bruten gebe, steige der Anteil der Altvögel und damit der fortpflanzungsfähigen Tiere merklich an.

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    Der Nandu – eine invasive Art?

    Nandus sind anpassungsfähig. Zu diesem Schluss kommt auch eine aktuelle Studie des Monitoring-Teams. Demnach schließen sich moderne Landwirtschaft und stabile Nandu-Populationen nicht zwangsläufig aus. Die eigentliche Frage lautet vielmehr: Duldet der Mensch die gefräßigen Riesenvögel auf seinen Äckern und Feldern?

    Entscheidend dürfte sein, ob der Nandu als sogenannte invasive Art eingestuft wird. Etwa 1.200 gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten haben sich im Laufe der letzten 500 Jahre dauerhaft in Deutschland angesiedelt, erklärt das Bundesamt für Naturschutz. Manche wurden unabsichtlich, andere gezielt vom Menschen eingeschleppt. Die Wissenschaft spricht hierbei von Neozoen (Tiere) und Neophyten (Pflanzen). Davon gelten rund 170 Arten als invasiv, haben also erwiesenermaßen negative Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt. 

    Wissen kompakt: Invasive Arten
    Invasive Arten verursachen jedes Jahr Kosten in Höhe von mehr als einer Billion Dollar. Wie gelangen sie in neue Ökosysteme, welche Schäden richten sie dort an und wie kann man ihre Verbreitung verhindern?

    Beim Nandu ist das nach derzeitiger Einschätzung des Bundesamts nicht der Fall. Er wird aktuell als „potenziell invasive Art“ eingestuft und muss deshalb besonders intensiv beobachtet werden. Sollte sich allerdings herausstellen, dass der Nandu doch heimische Arten bedroht, könnte es rasch vorbei sein mit der einzigen wildlebenden Nandu-Population in Europa. Das Bundesnaturschutzgesetz sieht vor, dass invasive Arten vollständig bekämpft oder zumindest an ihrer weiteren Ausbreitung gehindert werden sollen.

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