Tierische Einwanderer: Waschbär, Marderhund und Mink breiten sich aus

Aus der Pelztierfarm in die Freiheit. Invasive Arten wie Waschbär, Marderhund und Mink gelangten erst durch den Menschen nach Deutschland. Wie schädlich sind sie für die heimische Natur?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 8. März 2021, 12:54 MEZ, Aktualisiert am 8. März 2021, 14:11 MEZ
Gut integriert oder eine Gefahr für die heimische Tierwelt? Am Waschbär scheiden sich die Geister.

Gut integriert oder eine Gefahr für die heimische Tierwelt? Am Waschbär scheiden sich die Geister.

Foto von AdobeStock

Sie fristen ein heimliches Dasein und gehen bevorzugt nachts auf die Jagd. Die meisten Menschen in Deutschland haben sie wahrscheinlich noch nie in freier Wildbahn gesehen. Doch sie sind da – und es werden immer mehr. Ursprünglich waren Waschbär, Mink und Marderhund nicht bei uns heimisch. Sie zählen zu den gebietsfremden, invasiven Arten. Naturschützer verstehen darunter Tiere oder Pflanzen, die unabsichtlich oder gezielt vom Menschen eingeschleppt werden, sich rasch und unkontrolliert ausbreiten und so angestammte Arten und ganze Ökosysteme schädigen können.

Bislang haben sich im Laufe der letzten 500 Jahre rund 1.200 gebietsfremde Arten dauerhaft in Deutschland angesiedelt, erklärt das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Mindestens 168 Arten gelten als invasiv, haben also negative Auswirkungen auf die heimische Flora und Fauna. Beispielhaft dafür steht der Waschbär. Der bis zu neun Kilo schwere Allesfresser kann als Nesträuber „erheblichen Einfluss auf die Bestände bedrohter Vogelarten nehmen“, erklärt der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Gerade für ohnehin gefährdete Bodenbrüter wie Kiebitz oder Feldlerche verschärfe sich die Situation.

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    Schätzungsweise weit über eine Million Waschbären streifen inzwischen auch durch unsere Wiesen und Wälder. Fotograf Joel Sartore hat diese Aufnahme für sein Artenschutzprojekt „Photo Ark“ in einer Tierrettungsstation in Florida gemacht.

    Foto von Joël Sartore, National Geographic, Photo Ark

    Invasion der Waschbären

    Zwei Waschbärenpaare wurden 1934 am hessischen Edersee ausgesetzt. Heute streifen schätzungsweise weit über eine Million Exemplare des Neubürgers aus Nordamerika durch unsere Wiesen und Wälder. Fakt ist: Jäger haben in der Saison 2019/20 so viele Waschbären erlegt wie noch nie. Mit bundesweit über 202.000 geschossenen Tieren waren das 22 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, teilt der Deutsche Jagdverband (DJV) mit.

    Vor allem in Hessen und Ostdeutschland fühlt sich der anpassungsfähige Kleinbär offenbar wohl. Inzwischen zieht es ihn sogar bis in den städtischen Raum. Ein Waschbär auf dem Dachstuhl ist vielerorts keine Seltenheit mehr. Alle heute bei uns lebenden Waschbären stammen von Artgenossen aus europäischer Gefangenschaft ab.

    Gleiches gilt für Marderhund und Mink. Auch sie zählen zu den hundeartigen Raubtieren, die wegen ihres Fells schon im frühen 20. Jahrhundert in Pelztierfarmen und Gehegen gehalten wurden. Immer wieder konnten Tiere entkommen und sich mangels natürlicher Feinde teilweise stark vermehren. Wie viele inzwischen in Deutschland leben, weiß niemand.

    Der Marderhund ähnelt äußerlich dem Waschbär. Experten stufen ihn als weniger gefährlich für unsere Tierwelt ein. Auch dieses Bild stammt von Fotograf und Tierschützer Joel Sartore.

    Foto von Joël Sartore, National Geographic, Photo Ark

    Marderhund: Sammler statt Jäger

    Der Marderhund ähnelt dem Waschbär, ist aber nicht näher mit ihm verwandt. Auch er vertilgt Nagetiere, Amphibien, Vögel und Eier von Bodenbrütern. Weil er aber kein Jäger ist, sondern wie ein Dachs eher gemächlich sammelnd durch sein Revier streift, stufen ihn Experten als weniger gefährlich für unsere Tierwelt ein als den Waschbär.
    Sein ursprüngliches Verbreitungsgebiet umfasst Ostasien. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entwischten viele Marderhunde aus Pelzfarmen. In Deutschland wurden zunächst Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern besiedelt.

    Besonders rasant verlief danach die Ausbreitung in Schleswig-Holstein. Inzwischen ist der auch als Waschbärhund, Tanuki oder Enok bekannte Räuber in 38 Prozent aller deutschen Jagdreviere zu finden. Das sind knapp drei Viertel mehr als 2006. Damals hatten Jäger erstmals das Vorkommen sogenannter gebietsfremden Arten erfasst.

    Der eingewanderte Mink hat den Europäischen Nerz nahezu komplett verdrängt. Joel Sartore hat das Foto im US-Staat Nebraska geschossen.

    Foto von Joël Sartore, National Geographic, Photo Ark

    Mink: Akzeptiert oder unerwünscht?

    Weniger stark verbreitet ist der aus Nordamerika stammende Mink oder Amerikanische Nerz. Er ist an Gewässer gebunden und kommt bundesweit in acht Prozent der Jagdreviere vor – immerhin zwei Drittel mehr als 2006. Vor allem in Sachsen-Anhalt ist er inzwischen weit verbreitet.

    Minke werden schon seit über 100 Jahren in europäischen Pelztierfarmen gezüchtet. Seitdem hat der eingewanderte Marder den Europäischen Nerz, mit dem er nicht nahe verwandt ist, nahezu komplett verdrängt. In Deutschland ist die heimische Art schon 1925 ausgestorben. Amerikanische Nerze sind Fleischfresser. Sie verzehren nicht nur kleine Säugetiere, sondern auch Krebse, Frösche und Fische.

    Auch der Mink gilt als Nesträuber und damit als potenzielle Gefahr für die heimische Vogelwelt. Über tatsächlich nachweisbare Schäden an geschützten Arten sind aber laut Umweltamt BfN keine Zahlen bekannt.

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    Hitzige Diskussionen um Bekämpfung

    Wie gefährlich sind Waschbär, Marderhund und Mink also tatsächlich für heimische Tiere und Pflanzen? Hitzige Diskussionen sind um diese Frage entbrannt. Während der Jagdverband sich dafür ausspricht, Waschbär, Mink und Marderhund „deutlich stärker zu bejagen“ und so „die heimische Artenvielfalt nach Kräften zu fördern“, fordert der Nabu zu mehr Gelassenheit auf. Entgegen aller Befürchtungen würden sich die drei Arten zumeist ohne dramatische Folgen in unsere Ökosysteme einfügen.

    Grundsätzlich sieht eine EU-Verordnung vor, dass Deutschland für invasive Arten geeignete Maßnahmen festlegen muss. Beginnt eine Spezies gerade erst, sich anzusiedeln, soll sie vollständig bekämpft werden. Vor allem bei invasiven Arten, die erst am Anfang ihrer Ausbreitung stehen, gibt es laut BfN eine gute Chance, sie vollständig zu beseitigen. Ein Beispiel dafür seien exotische Pflanzen, die schon im frühen Besiedlungsstadium entdeckt und ausgerissen wurden und sich so nicht dauerhaft ansiedeln konnten.

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    Kein Patentrezept im Umgang mit fremden Arten

    Anders sieht es allerdings bei Arten aus, die sich schon fest in ihrer neuen Heimat etabliert haben. Ist eine flächendeckende Bekämpfung nicht mehr möglich, sollen die rund 3600 Maßnahmen zum Einsatz kommen, die das BfN in einem Management-Handbuch zu gebietsfremden Arten definiert hat.

    „Für den Umgang mit fremden Arten gibt es kein Patentrezept“, sagt Janosch Arnold vom World Wide Fund For Nature (WWF). „Jede neue Art muss genau beobachtet und untersucht werden, um die Auswirkungen dokumentieren zu können – und dann gegebenenfalls sinnvolle Maßnahmen zur Eindämmung einzuleiten.“ Vorsorge gegen weitere Einschleppung sei der beste Weg, den möglichen Gefahren von invasiven Arten zu begegnen.

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