Tierische Ingenieure: Wie Wildtiere ganze Lebensräume umbauen
Ob Biber, Büffel oder Wal: Es gibt Tiere, die komplette Ökosysteme gestalten. Damit spielen sie auch eine zentrale Rolle für das Wohl der Menschen.
![Grauwal Grauwal](https://static.nationalgeographic.de/files/styles/image_3200/public/whales_04.webp?w=1600&h=900)
Zwei Grauwale in Baja, Mexiko.
Der größte Star unter den tierischen Architekten ist zweifellos Castor fiber. Seine Gestaltungskraft ist verblüffend. Er erschafft Biotope und hilft so beim Artenschutz. Für seine einzigartigen Fähigkeiten, Gewässer durch selbst gebaute Dämme aufzustauen und damit mitunter ganze Landschaften zu verändern, wurde der Biber allerdings lange Zeit erbittert verfolgt.
Heute schätzen Ökologinnen und Naturschützer den Nager als effektiven Landschaftsmanager: „Vom Biber angelegte Feuchtgebiete sind wesentlich artenreicher und kostengünstiger als jedes vom Menschen angelegte Biotop“, sagt der bayerische BUND-Landesvorsitzende Richard Mergner.
Der Biber ist zwar der bekannteste Ingenieur der Tierwelt, aber bei weitem nicht der einzige. Ob zu Lande, im Wasser oder in der Luft: Nahezu überall gibt es Tiere, die ganze Landschaften gestalten und dabei eine wichtige Rolle für die Ökosysteme spielen.
Selbst Winzlinge leisten Großes
„Jede noch so kleine oder unscheinbare Art hat eine Rolle im dynamischen Gleichgewicht von Wäldern, Steppen, Flüssen und Ozeanen“, sagt Anne Hanschke, Artenschutzexpertin beim WWF Deutschland. Ein neuer Bericht der Umweltorganisation zeigt, welche außerordentlichen gestalterischen Leistungen Tiere erbringen – und wie sie damit auch die menschlichen Lebensgrundlagen erhalten.
Selbst unsichtbare Winzlinge leisten Großes. Mikroorganismen im Boden erzeugen fruchtbare Erde, indem sie organisches Material zersetzen und daraus Nahrung für Pflanzen herstellen. So halten sie den Nährstoffkreislauf am Laufen und sorgen so auch für gesunde Ackerböden.
Luchse als Landschaftsgestalter
Bienen bestäuben Blühpflanzen und sind damit in der Landwirtschaft unverzichtbar. Hornvögel verteilen Samen im Regenwald und helfen so bei der Aufforstung. Große Pflanzenfresser wie Elefant oder Bison erhalten einzigartige Biotope wie die Savanne oder Prärie, indem sie die Landschaft durch Abweiden und Zertrampeln offenhalten.
Raubtiere spielen ebenfalls eine wichtige Rolle als Landschaftsgestalter. Auch in Europa, unterstreicht der WWF-Bericht. Luchse beispielsweise regulierten die Rehbestände und damit Schäden im Wald, die durch Wildverbiss entstehen. So helfen sie der Fortwirtschaft. Andere Arten wie Eichhörnchen oder Eichelhäher unterstützen Förster, indem sie auf natürlichem Wege Eicheln und Bucheckern aussäen.
![Luchs mit Nachwuchs Luchs mit Nachwuchs](https://static.nationalgeographic.de/files/styles/image_3200/public/tierarten-eurasicher-luchs-lynx-lynx-norwegen-ww214778-c-staffan-widstrand-wwf.webp?w=760&h=503)
Luchs mit Nachwuchs
Wie Wale die Meere düngen
Auch unter Wasser wird fleißig gearbeitet. Da sind zum Beispiel die Giganten der Tierwelt. Wale düngen mit ihren Ausscheidungen die Weltmeere. Davon lebt das Phytoplankton. Das sind zum Beispiel einzellige Algen und andere frei schwebende Organismen, die am Anfang der marinen Nahrungskette stehen. Die Menge an Phytoplankton hat also massive Auswirkungen auf die Bestände von unzähligen anderen Tieren wie Ruderkrebschen, Krill, Fischen bis hin zu Walen. Alles hängt in irgendeiner Weise zusammen.
Wesentlich unscheinbarer, aber nicht minder effektiv ist die Auster. Auch sie zählt als Ökosystem-Ingenieurin zu den Schlüsselarten der Meere. Weltweit bilden Austern große Kolonien. Solche Austernbänke oder -Riffe bieten vielen Arten einen Lebensraum, darunter auch wirtschaftlich wichtigen Fischen wie Sardelle und Hering. Außerdem sind Austern natürliche Filteranlagen. Eine einzige Muschel reinige bis zu 200 Liter Wasser pro Tag, indem sie Plankton und andere Partikel als Nahrung aufnimmt, heißt es im WWF-Bericht.
Galerie: 9 faszinierende Aufnahmen von Walen
![Grauwal Grauwal](https://static.nationalgeographic.de/files/styles/image_3200/public/whales_14.webp?w=760&h=506)
Papageifisch: Korallengärtner mit Biss
Auch Korallenriffe sind bekannt für ihre Artenvielfalt. Darüber hinaus schützen sie unsere Küsten vor Stürmen, Tsunamis, Überschwemmungen und Erosion. Der bunt schillernde Papageifisch sorgt als Korallengärtner dafür, dass alles im Lot ist.
Mit seinem schnabelartigen Maul raspelt er Pflanzen von den Korallen und produziert dabei auch Sand. Auf diese Weise pflege er die bestehenden Korallen und schafft zudem die Grundlage für das Wachstum neuer Riffe, erklärt Hanschke.
„Wildtiere sind unersetzlich für das menschliche Wohlergehen“
Die Liste der Arten ließe sich beliebig weiterführen. Doch es gehe nicht allein um die Artenvielfalt, betont Hanschke. Entscheidend sei auch die Zahl der Individuen. „Die Populationen müssen groß genug sein, um ihre ökologischen Rollen so erfüllen zu können, dass Funktionen der Natur nicht in Gefahr geraten.“
Das Dilemma: Die Menschheit dezimiert die Wildtierbestände konstant und verursacht aktuell das größte Artensterben seit Ende der Dinosaurierzeit. Hanschke ist überzeugt: Wildtiere sind unersetzlich für unser menschliches Wohlergehen. „Wir müssen uns klar machen, dass die Beiträge von Wildtieren für unser eigenes gutes und sicheres Leben niemals hinreichend von technischen Alternativen ersetzt werden können.“
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