Bergsteiger verschmutzen den Everest mit Mikroplastik

Aber nicht nur die Outdoor-Ausrüstung macht dem Berg zu schaffen. Viel verhängnisvoller ist die Gletscherschmelze, die mittlerweile selbst in großen Höhenlagen auftritt.

Von Freddie Wilkinson
Veröffentlicht am 25. Nov. 2020, 11:51 MEZ, Aktualisiert am 2. Dez. 2020, 12:45 MEZ
Bergsteiger warten in der Schlange, um im Mai 2019 den Gipfel des Mount Everest zu erreichen.

Bergsteiger warten in der Schlange, um im Mai 2019 den Gipfel des Mount Everest zu erreichen. Der Strom von Menschen, die jedes Jahr den Berg besteigen, hat unwissentlich seine Spuren hinterlassen – in Form von winzigen Mikroplastik-Fasern aus synthetischen Materialien, die üblicherweise für Outdoor-Kleidung verwendet werden.

Foto von Mark Fisher, National Geographic

Für Abenteurer auf der ganzen Welt ist der Mount Everest ein unvergesslicher Anblick: Eine majestätische Schneefahne weht von seinem Gipfelkamm, während Eis seine Flanke ziert. Aber wer einen genaueren Blick auf das Naturwunder wirft, erkennt verräterische menschliche Spuren. Genau damit hat sich ein Team von Klimawissenschaftlern befasst.

Heutzutage liegt die Oberfläche des Eises im Basislager in Nepal mehr als 45 Meter tiefer als noch vor 35 Jahren. Die Ursache ist die Gletscherschmelze infolge unseres sich ständig erwärmenden Klimas. Selbst Zonen mit Hochgebirgseis, die einst als vor dem Klimawandel sicher galten, beginnen nun zu schrumpfen. Sogar der strahlend weiße Schnee ist nicht mehr ganz so rein. In einer Rekordhöhe von 8.443 Metern ist er mit Mikroplastik verunreinigt.

Wie der höchste Gipfel der Welt zum Klimalabor wurde
Im Rahmen der Perpetual Planet Everest Expedition von National Geographic und Rolex macht sich ein Team von Wissenschaftlern und Sherpas auf, um Informationen über die Gletscherveränderungen im Himalaya zu sammeln. Mit der Entnahme von Eisbohrkernen aus dem höchsten Gletscher der Welt hat das Team damit begonnen, Details über den Klimawandel aufzudecken, die bisher in diesem schwer zugänglichen Eis verborgen waren.

All das geht aus einer Reihe von Studien hervor, die im November 2020 in einer Sonderausgabe der Zeitschrift „One Earth“ veröffentlicht wurden. Sie sind Teil einer stetig wachsenden Reihe von Forschungsarbeiten – die Ergebnisse eines ehrgeizigen Projekts, das von der National Geographic Society organisiert und von Rolex als Teil der Perpetual Planet Initiative unterstützt wird: Forschende aus aller Welt untersuchen, wie sich der Klimawandel und andere menschliche Handlungen auf den Everest und die umliegende Region auswirken.

Zwischen April und Juni 2019 zog ein interdisziplinäres Team von mehr als dreißig Wissenschaftlern durch das nepalesische Khumbu-Tal, installierte fünf Wetterstationen und sammelte Hunderte von Proben von Gestein, Wasser, Schnee, Eis und mehr. Die Ergebnisse, die in dieser Sonderausgabe vorgestellt werden, verdeutlichen die Belastung der Umwelt durch den Menschen – selbst an den höchsten Punkten des Planeten.

BELIEBT

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    Heather Clifford, Klimawissenschaftlerin an der University of Maine, nimmt eine Wasserprobe aus einem Bach südlich des Dorfes Pheriche in Nepal. Sie soll später auf Mikrokunststoffe getestet werden.

    Foto von Paul Mayewski, National Geographic

    Schneeproben vom Balcony des Mount Everest, einem Rastplatz auf über 8.300 Metern Höhe. Dort legen Bergsteiger eine Pause ein, bevor sie versuchen, den Gipfel zu besteigen. In den Proben waren winzige Plastikfasern aus Materialien vorhanden, die in Outdoor-Bekleidung üblich sind.

    Foto von Imogen Napper, National Geographic

    Einige der Entdeckungen, wie das Vorhandensein von Mikrokunststoffen, stellen keine unmittelbare Gefahr für die Umwelt dar. Andere sind weitaus besorgniserregender. Selbst die höchsten Gletscher der Welt verlieren mit zunehmender Geschwindigkeit Eis. Gefährdet sind dadurch nicht nur die lokalen Gemeinden und die Bergtourismusindustrie, auf die sie angewiesen sind, sondern auch die Millionen von Menschen, die stromabwärts ihr Trinkwasser von den Gletschern beziehen.

    „Das ist ein echter Weckruf“, sagt Paul Mayewski, Leiter der Expedition und Direktor des Instituts für Klimawandel an der University of Maine. „Obwohl die Region sehr hoch gelegen ist, wird sie ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen.“

    Mikroplastik-Schnee

    An einem hellen Morgen im Mai 2019 beobachtete der Glaziologe Mariusz Potocki einen stetigen Strom von Freizeitkletterern, die am Balcony vorbeimarschierten – ein flacher Aussichtspunkt in 8.382 Metern Höhe, nur wenige Stunden vom Gipfel des Everest entfernt. Potocki von der University of Maine hoffte, einen Eisbohrkern aus dem windverdichteten Schnee auf dem Gipfel des Berges bergen zu können. Doch die Menschenmenge veranlasste ihn und seine Crew dazu, den Aufstieg abzubrechen. (Potocki gelang es schließlich, den höchsten Eisbohrkern der Welt aus einer Höhe von 8.077 Metern am South Col zu bergen). Stattdessen schlenderte er ein paar hundert Meter den Pfad hinauf, um ein kleines Edelstahlgefäß mit Schnee zu füllen.

    Spätere Analysen zeigten, dass die Probe – genau wie zehn weitere, die zwischen dem Basislager und dem Balcony gesammelt wurden – voller dünner, gekräuselter Mikroplastik-Fasern waren.

    „Die Konzentrationen auf dem Berg sind überraschend“, sagt die Meereswissenschaftlerin Imogen Napper, die die Schneeproben in ihrem Labor an der britischen University of Plymouth analysierte. „Und das an einem Ort, den ich immer noch für eines der abgelegensten und unberührtesten Gebiete der Erde halte.“

    Galerie: Everest-Expeditionen im Wandel der Zeit

    In Wahrheit hätte es vielleicht gar keine Überraschung sein sollen. Fast überall, wo Forscher gesucht haben, haben sie Mikrokunststoffe gefunden – von den tiefsten Tiefen des Ozeans bis hin zu weiten offenen Landschaften. Einige dieser Partikel wurden durch Staub im Wind oder durch Meeresströmungen über weite Strecken mitgerissen. Aber am Everest, so Napper, sind wahrscheinlich vor allem Trekker und Bergsteiger schuld.

    Synthetikstoffe verlieren ständig winzige Mengen Fasern, wenn sie getragen werden. Eine Studie ergab, dass ein Gramm synthetischer Kleidung während des Tragens alle 20 Minuten 400 Mikroplastikfasern verliert, was bei einem etwa ein Kilogramm schweren Mantel bis zu einer Milliarde Fasern pro Jahr ausmachen könnte.

    Die Mikrokunststoffe auf dem Everest bestehen größtenteils aus Polyester, gefolgt von Acryl-, Nylon- und Polypropylen-Materialien, die alle üblicherweise in Outdoor-Ausrüstung verwendet werden. Die Kunststoffe waren dort in größerer Konzentration vorhanden, wo Menschen am häufigsten zelten. Vor Kurzem wurden bereits Einwegkunststoffe im gesamten Khumbu-Tal verboten, und die Bergsteigergemeinschaft hat Fortschritte bei der Müllentsorgung an den Hängen des Everest gemacht. Dennoch werden sich dort wahrscheinlich weiterhin Mikrokunststoffe ansammeln. Es sei auch möglich, dass Winde zusätzliches Mikroplastik auf den Berg tragen, sagt Mayewski.

    Mikrokunststoffe sind zu klein, um sie mit bloßem Auge zu sehen. Deshalb sind sie äußerst schwer einzusammeln und werden beim Thema Müllreduzierung häufig weggelassen. Der Fokus liegt eher auf der Reduzierung, Wiederverwendung und dem Recycling großer Gegenstände. „Diese Maßnahmen sind notwendig und wichtig“, sagt Napper. Aber „Lösungen müssen auch ausgeklügeltere technologische Lösungen und neuartige Ansätze berücksichtigen“.

    Obwohl wir täglich häufig mit Mikrokunststoffen in Kontakt kommen, sei der Fund in großer Höhe laut Napper ein Augenöffner. „Wir haben es jetzt überall vom Boden der Tiefsee bis fast zum Gipfel des höchsten Berges der Erde gefunden“, sagt sie.

    Alex Tait, ein Geograf der National Geographic Society, verwendet LIDAR – eine Form der Laserabtastung –, um die Topographie des Gebietes um das Basislager des Everest in extrem hoher Auflösung zu erfassen.

    Foto von Brittany Mumma, National Geographic

    Während seines Treks zum Everest-Basislager perfektionierte das Kartierungsteam seine LIDAR-Scanmethoden an einem alten buddhistischen Monument – einer Stupa im Dorf Phortse in Nepal. Dieselben Methoden wurden später zur Kartierung des Basislagers und des umliegenden Khumbu-Gletschers verwendet.

    Foto von Dirk Collins, National Geographic

    Gletscher als Förderband

    Während Potocki Schneeproben von den oberen Hängen des Everest nahm, schufteten andere am Fuße des Everest. Alex Tait, ein Geograf der National Geographic Society, leitete ein Team, das die bislang genaueste Vermessung des Basislagers und des umliegenden Khumbu-Gletschers durchführte. Das Team benutzte sowohl LIDAR (eine Art Laserscanning) als auch Photogrammetrie (Fotografie aus verschiedenen Winkeln), um ein dreidimensionales Modell zu erstellen, das jedes Detail zentimetergenau erfasst.

    „Die Wissenschaftler können es gar nicht erwarten, diesen LIDAR-Datensatz zu bekommen“, sagt Tait. „Auch wenn es sich um eine einzige Momentaufnahme handelt, so bietet sie doch einen Kontext für das historische Verständnis.“

    Einer dieser Forscher ist der Glaziologe Owen King von der University of St. Andrews in Großbritannien, der die neuen Bilder mit historischen Luftaufnahmen und Bildern von alten Spionagesatelliten verglich. Anschließend erstellte er digitale Rekonstruktionen der Oberfläche des Khumbu-Gletschers und 78 weiterer Gletscher in der Nähe des Everest aus dem Jahr 1962.

    Die Daten dienen nicht nur als Grundlage für die Quantifizierung des zukünftigen Eisverlusts in der Region, sondern zeichnen ein klares Bild der heutigen Situation in den Bergen. Seit 1962 schmelzen die Gletscher im gesamten Himalaya-Gebirge kontinuierlich ab.

    Mittlerweile schrumpfen sie mehr als doppelt so schnell wie noch vor 60 Jahren. Wahrscheinlich ist der Anstieg der Temperaturen die treibende Kraft hinter diesem Wandel. Im untersuchten Zeitraum stiegen sie an den südlichen Hängen des Himalaya um etwa ein Grad Celsius an.

    Am beunruhigendsten ist vielleicht die Erkenntnis der Wissenschaftler, dass das Eis in Höhen über 6.100 Metern schmilzt. „Das hat mich ein bisschen sprachlos gemacht, muss ich sagen“, sagt King. In dieser Höhe sollte das Eis ihm zufolge das ganze Jahr über gefroren bleiben. Dort oben sollte sich Schnee ansammeln, der das Gletschersystem speist.

    Kings Forschungen zeigen außerdem, dass die Gletscher des Himalaja nicht so sehr zurückweichen, sondern dass ihr Eis einfach dünner wird und von oben her abtaut. „Man kann sich einen Gletscher wie ein Förderband vorstellen“, sagt King. Schnee sammelt sich im Oberlauf des Gletschers und verdichtet sich zu Eis, das bis zur Gletscherzunge hinunter transportiert wird. Doch durch steigende Temperaturen und immer weniger Schneefälle hat sich das Förderband verlangsamt und der Gletscher verlor an Mächtigkeit.

    EDMUND HILLARY und TENZING NORGAY. Die ersten Bezwinger des Mount Everest

    Paradoxerweise ist die Ausdünnung in den unteren Zonen vieler großer Himalaya-Gletscher weniger ausgeprägt, obwohl dort die Temperaturen höher sind. Aber das eisige Förderband hat eine dicke Decke aus felsigen Trümmern aufgebaut, die das Eis vor der Sonne schützt. Die Ausdünnung ist oft in den höher gelegenen Gletscherabschnitten am stärksten, wo es keine oder nur eine dünne Schuttdecke gibt. Dadurch schmilzt das Eis bei steigenden Temperaturen schneller.

    Doch selbst die Schuttdecke reicht nicht immer aus, um die Gletscherzunge zu schützen. Die Förderbandwirkung häuft am Ende des Gletschers auch einen Kieshügel an, eine sogenannte Endmoräne. Diese felsige Barriere kann Schmelzwasser einfangen und einen See entstehen lassen, der das Abschmelzen der Gletscher oft noch beschleunigt.

    Wie sieht nun die Zukunft für den Everest und den Himalaya aus? Das Team hofft, dass seine Arbeit ein Ausgangspunkt sein kann, um herauszufinden, welche Vorgehensweise die beste wäre.

    Eines sei jedoch sicher, sagt Mayewski: „Wo immer wir Menschen hingehen, hinterlassen wir unseren Abdruck. Und dieser Abdruck ist nicht immer positiv.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

    Perpetual Planet

    Schneller ist keiner oben: Bergsteiger aus Nepal schreibt Geschichte

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