Der größte Süßwasserfisch der Welt erholt sich – und alle gewinnen

Zwei Meter lang, bis zu 130 Kilogramm schwer: Der Arapaima ist ein Brotfisch für die lokalen Gemeinschaften am Amazonas. Durch Überfischung wurde er fast ausgerottet, jetzt ist er in großer Zahl zurück. Über einen seltenen Erfolg beim Artenschutz.

Von Stefan Lovgren
Veröffentlicht am 24. Juni 2024, 14:30 MESZ
Nahaufnahme eines Arapaimas aus dem brasilianischen Amazonas. Die Schuppen des Fisches sind eines der härtesten natürlichen ...

Nahaufnahme eines Arapaimas aus dem brasilianischen Amazonas. Die Schuppen des Fisches sind eines der härtesten natürlichen Materialien der Welt.

Foto von Andre Dib

Große Süßwasserfische zählen zu den am meisten gefährdeten Tierarten der Welt. Einer von ihnen schwimmt im Amazonas jedoch gegen diesen Trend an: der Arapaima. 

Er kann über zwei Meter lang werden und bringt ein Gewicht von bis zu 130 Kilogramm auf die Waage. Erst zehn Jahre ist es her, dass die beliebte Speisefischspezies kurz vor dem Aussterben stand. Doch durch Schutzmaßnahmen, die von den lokalen Gemeinschaften vorangetrieben wurden, blieb ihm dieses Schicksal erspart. Inzwischen wachsen die Populationen im Amazonas wieder – und das rapide.

Ein Fischer zieht im Jahr 2022 einen Arapaima an Bord seines Bootes.

Foto von Andre Dib

Der brasilianische Ökologe und National Geographic Explorer João Campos-Silva ist einer der Forschenden, die an der Perpetual Planet Amazon Expedition mitarbeiten. Ihm zufolge stieg die Zahl der Arapaimas in Gebieten, in denen nachhaltiger Fischfang betrieben wird, in nur elf Jahren um sagenhafte 425 Prozent. Seit Beginn des auf zwei Jahre angelegten Forschungsprojekts von National Geographic und Rolex im Amazonasbecken, ist diese Zahl laut Campos-Silva weiter angestiegen – auf 600 Prozent.

Im Rahmen seines Projekts hat der Forscher bereits mit 40 Gemeinschaften zusammengearbeitet, die am Amazonas-Nebenflusses Rio Juruá leben. Er durchfließt im Westen Brasiliens größtenteils unberührten Regenwald. Insgesamt haben bis heute rund 1.100 Gemeinschaften im Amazonasgebiet Maßnahmen zum Schutz des Arapaimas ergriffen. Der tatsächliche Gefährdungsstatus der Spezies ist unbekannt, weil der International Union for Conservation (IUCN) bisher keine aussagekräftigen Daten über ihn vorliegen.

Dass die Population des Arapaimas wieder wächst, wertet Campos-Silva als Sieg des Naturschutzes. Ihm zufolge kann dieser eine Blaupause für die Rettung anderer großer Wasserspezies sein – im Amazonas und weltweit. Die Geschichte des Arapaimas verdeutliche außerdem, wie wesentlich die Mithilfe lokalen Gemeinschaften sei, wenn Naturschutzmaßnahmen zu einem Erfolg führen sollen.

„Jahrzehntelang hat man außerhalb der Region nach Lösungen für die Probleme des Amazonas gesucht“, sagt er. „Die Rettung des Arapaimas zeigt, dass die Menschen vor Ort, die Gemeinschaften, die im Regenwald leben, die besten Ideen haben. Sie sind Hüter des Wissens.“

Maßgeschneiderte Schutzmaßnahmen

60 Prozent des südamerikanischen Amazonasbeckens liegen innerhalb der Grenzen Brasiliens. Viele Millionen Menschen leben an seinen Ufern, darunter hunderte indigene Gemeinschaften. Tausende Flüsse kreuzen das Amazonasbecken, in dem es mehr Fischarten gibt als in jedem anderen Flusssystem der Erde.

BELIEBT

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    Fischer der Lago Serrado-Gemeinschaft machen sich bei Sonnenaufgang auf den Weg, um Arapaimas zu fangen. Rund 1.100 Gemeinschaften, die am Amazonas leben, haben sich Projekten zum Schutz der Fischart angeschlossen.

    Foto von Andre Dib

    Der Arapaima ist der größte beschuppte Süßwasserfisch der Welt. In Brasilien wird er auch pirarucu genannt. Das Wort stammt aus der Sprache des Tupi-Volks und bedeutet „roter Fisch“ – Grund ist seine rote Schwanzflosse. Der Arapaima kann sich höchstens zehn bis 20 Minuten unter Wasser aufhalten. Nach dieser Zeit muss er an die Oberfläche der Seen und Sümpfe schwimmen, in denen er auf Beutezug ist, und nach Luft schnappen. Den Sauerstoff nimmt er mithilfe des lungenähnlichen Gewebes in seiner Schwimmblase auf.

    Dieses Verhalten macht es leicht, die Fische zu fangen. Im Jahr 2014 stellte eine Studie fest, dass in drei von vier untersuchten Fanggebieten die Arapaima-Populationen durch Überfischung stark geschrumpft waren. Aus einem fünften war die Fischart völlig verschwunden.

    In Fanggebieten, in denen Programme zu ihrem Schutz eingeführt wurden – wie hier am Lago Serrado –, sind die Populationen des Arapaimas in elf Jahren um 425 Prozent gewachsen.

    Foto von Andre Dib

    Zu diesem Zeitpunkt hatte die brasilianische Regierung bereits ein umfassendes Netzwerk von Schutzgebieten im Amazonasbecken aufgebaut und den Fang von Arapaimas in mehreren Bundesstaaten verboten. Um einen besseren Überblick über die Populationsgrößen zu erhalten, entwickelten Forschende Methoden, um die Tiere in ihren Lebensräumen zu zählen. Dafür orientierten sie sich an Techniken, die bei der Beobachtung von springenden Walen im Ozean angewendet werden.

    Die besten Ergebnisse bei solchen Zählungen erzielten die, die den Arapaima am besten kennen: die lokalen Fischer*innen. „Die Tiere tauchen nur für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Wasser auf“, sagt Tropenökologe Leandro Castello, der am Global Change Center der Virginia Tech in Blacksburg die Zählmethode mitentwickelt hat. „Für erfahrene Fischer reicht das aber aus, um Größe, Gewicht und die Richtung, in die der Arapaima schwimmt, zu bestimmen.“

    Positive Effekte für Fische und Menschen

    Ursprünglich hatte Campos-Silvas zu Vögeln geforscht. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Artenvielfalt im Amazonasbecken. Vor etwa 15 Jahren begann er mit seiner Arbeit am Rio Juruá und kooperierte zunächst mit der São Raimundo-Gemeinschaft. Gleichzeitig unterstützte er die Bemühungen der lokalen Associação dos Produtores Rurais de Carauari, die sich um die Einrichtung und Organisation von Arapaima-Schutzgebieten kümmert.

    Mitarbeiter des Carauari Fish Processing Center bereiten im Jahr 2022 nachhaltig gefangene Arapaimas für den Verzehr vor.

    Foto von Andre Dib

    Indem sie ihr traditionelles Wissen mit wissenschaftlichen Methoden kombinierten, fanden die Mitglieder der São Raimundo-Gemeinschaft Campos-Silva zufolge ihren eigenen Weg, um den Arapaima zu schützen. „Sie hatten selbst bemerkt, dass es immer weniger von den Fischen gab, und waren sehr interessiert daran, eine Lösung für dieses Problem zu finden“, sagt er.

    Die Gemeinschaft führte eine auf den Fischzählungen basierende Fangquote ein. Die Regierung erlaubt, dass bis zu 30 Prozent der ausgewachsenen Arapaimas in Schutzgebieten entnommen werden dürfen. Fische dieser Art, die kürzer als anderthalb Meter sind, müssen zurück ins Wasser geworfen werden.

    Arapaimas laichen meist kurz nach der Hochwassersaison, wenn der Amazonas über die Ufer tritt und Teile des Regenwalds flutet. Während der Niedrigwassersaison sind die Fische in isolierten Seen und Flussläufen eingeschlossen. Nur in dieser Zeit ist es erlaubt, sie zu fangen.  

    Die Maßnahmen zeigten sofort einen Effekt: Die Arapaima-Populationen erholten sich umgehend – begünstigt durch das außergewöhnlich schnelle Wachstum der Tierart.

    Luftaufnahme der Vegetation in den Überschwemmungsgebieten des Amazonas. Während der Niedrigwassersaison sind Arapaimas in Seen und Flussläufen eingeschlossen, in denen sie ihre Eier in den schlammigen Erdboden am Grund vergraben.

    Foto von Andre Dib

    Andere Gemeinschaften am Rio Juruá folgten dem Beispiel der São Raimundo-Gemeinschaft. Laut Campo-Silva waren die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verbesserungen, die das für die Menschen brachte, bemerkenswert. Familien hatten plötzlich ein höheres Einkommen, Einnahmen aus der nachhaltigen Fischerei wurden in Schulen, Gesundheitszentren und die allgemeine Infrastruktur investiert. „Die Leute merkten, dass die Schutzmaßnahmen ihr Leben zum Besseren verändern“, sagt er.

    Wichtiger Schritt zur Bekämpfung der Armut

    Die Programme haben sich auch als förderlich für die Frauen in den Gemeinschaften erwiesen. Obwohl fast die Hälfte der Beschäftigten der Fischerei weiblich sind, bekommen sie kaum Beachtung und nicht selten auch keinen Lohn. Inzwischen nimmt die Zahl der Frauen auf den Fischerbooten des brasilianischen Amazonas und ihre Teilhabe an wichtigen Entscheidungsprozessen wissenschaftlichen Erhebungen zufolge aber immer mehr zu.

    „Unsere Forschung hat ergeben, dass Frauen am Amazonas nun erstmals ihr eigenes Geld mit dem Fischfang verdienen“, sagt Campo-Silva. „Das ist ein wichtiger Schritt bei der Bekämpfung der allgemeinen Armut.“

    Im Jahr 2018 gründete Campos Silva das Instituto Juruá. Die Non-Profit-Organisation mit Sitz in Manaus setzt sich für den Erhalt der Artenvielfalt und eine bessere Lebensqualität lokaler Gemeinschaften ein. Seit ihrem Bestehen hat Campos-Silva das Projekt auf andere Teile des brasilianischen Amazonasgebiets und den Ucayali ausgeweitet. Der Ucayali ist ein wichtiger Nebenfluss des Amazonas und Heimat einer großen indigenen Bevölkerung.

    Gemeinsam mit anderen Forschenden arbeitet Campo-Silva daran, durch Markierungen und Funkortung mehr über die Dynamik, Ökologie und Populationen des Arapaimas zu erfahren. So wurde unter anderem herausgefunden, dass eine Population dann als gesund bezeichnet werden kann, wenn in einem Überschwemmungsgebiet auf einem Quadratkilometer mindestens 30 Individuen leben.

    Gefahr für unbekannte Unterarten

    Im guyanischen Amazonas haben Schutzmaßnahmen unter Beteiligung der lokalen Gemeinschaften sogar noch spektakulärere Ergebnisse hervorgebracht. Dort hat sich die Zahl der Arapaimas laut Donald Stewart, Professor für Fischerei an der State University New York, seit der Jahrtausendwende sogar verzehnfacht.

    Doch auch in Guyana gibt es weiterhin Gebiete des Amazonas, aus denen der Arapaima aufgrund mangelnden Schutzes bald verschwinden könnte. „In diesen Regionen werden keine strengen Zählungen durchgeführt und der Fischfang wird nicht reguliert“, so Stewart.

    Ihm zufolge könnte der Arapaima der größte Süßwasserfisch der Welt sein. Untersuchungen der Wachstumsringe der Schuppen von Arapaimas, deren Lebensraum der guyanische Essequibo ist, haben gezeigt, dass diese Vertreter der Tierart sehr viel schwerer werden als ihre Artgenossen in Brasilien. Stewarts Forschung legt nahe, dass es mehrere bisher unbekannte Unterarten des Arapaimas geben könnte, von denen einige möglicherweise kurz vor dem Aussterben stehen.

    Wird die Wanderung der Arapaimas durch das brasilianische Amazonasgebiet nicht ausreichend überwacht, könnte dies zur Verbreitung von Krankheiten und der genetischen Durchmischung spezifischer Unterarten führen – Probleme, die bisher kaum untersucht wurden.

    Laut Zeb Hogan, National Geographic Explorer und Biologe an der University of Nevada in Reno, könnten die erfolgreichen Maßnahmen zum Schutz des Arapaimas sich als Vorbild für Projekte zum Erhalt anderer bedrohter Fischarten erweisen.

    „Die Ergebnisse widersetzen sich dem generellen, düsteren Trend des dramatischen Rückgangs der aquatischen Megafauna“, sagt er. „Die Rettung des Arapaimas ist ein seltenes Beispiel für eine Situation, in der es nur Gewinner gibt – und die in vielen Orten auf der Welt eins zu eins umgesetzt werden könnte.“

     

    Dieser Artikel wurde durch die Unterstützung von Rolex ermöglicht. Das Unternehmen pflegt eine langjährige Partnerschaft mit der National Geographic Society, um die Herausforderungen der Ökosysteme zu beleuchten, die unseren Planeten am Leben halten – mit Forschung, Expeditionen und Geschichten.

     

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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