Urmenschen im Regenwald – so überlebten sie

In einer Höhle in Sri Lanka wurde – neben anderen Objekten – die älteste Pfeil-und-Bogen-Technik außerhalb Afrikas gefunden. Sie ist 48.000 Jahre alt.

Von Tim Vernimmen
Veröffentlicht am 7. Juli 2020, 11:42 MESZ
In der Ausgrabungsstätte Fa-Hien Lena wurden mitten im Regenwald Sri Lankas unter anderem Perlen aus rotem ...

In der Ausgrabungsstätte Fa-Hien Lena wurden mitten im Regenwald Sri Lankas unter anderem Perlen aus rotem Ocker und Muschelschalen gefunden. Die Werkzeuge, darunter auch Pfeilspitzen, sind bis zu 48.000 Jahre alt.

Image by M. C. Langley

Im Dschungel Ski Lankas haben Archäologen in einer Höhle eine bemerkenswerte Sammlung uralter Objekte gefunden. Darunter befinden sich auch Werkzeuge, die die Forscher für einige der ältesten Überlebenshilfsmittel halten, die der Mensch im Regenwald benutzt hat.

Die Artefakte sind zwischen 48.000 und 4.000 Jahre alt und umfassen 130 Pfeilspitzen aus Knochen – die ältesten Pfeilspitzen, die bislang außerhalb Afrikas gefunden wurden – sowie 29 Knochenwerkzeuge zur Herstellung von Taschen oder Kleidung und eine Handvoll Zierperlen. Archäologen machten den Fund im Rahmen einer Ausgrabung in der Fa-Hien-Lena-Höhle. Sie vermuten, dass die Objekte vier verschiedene Phasen der menschlichen Besiedlung dieser Stätte repräsentieren, wobei Pfeilspitzen und pfriemenartige Werkzeuge in der frühesten Phase zum ersten Mal auftauchten. Dreißig Gegenstände aus der Stätte wurden mit Hilfe der Radiokarbonmethode datiert. Dadurch konnten die Forscher einen Zeitstrahl erstellen und sehen, wie die Werkzeuge im Laufe der Jahrhunderte immer ausgefeilter wurden.

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„Die meisten dieser Werkzeuge wurden aus Affenknochen gefertigt, und viele von ihnen scheinen sorgfältig zu Pfeilspitzen geformt worden zu sein“, sagt die Archäologin Michelle Langley von der Griffith University in Australien. Sie leitet die Forschungen, deren bisherige Ergebnisse in „Science Advances“ veröffentlicht wurden. „Sie sind zu klein und leicht für Speerspitzen, die etwas Gewicht brauchen, um an Kraft zu gewinnen. Aber sie sind auch zu schwer und stumpf, um Pfeile für Blasrohre gewesen zu sein.“

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    In Fa-Hien Lena in Sri Lanka nutzten Menschen früher Werkzeuge aus Knochen und Zähnen, um kleine Affen und Eichhörnchen zu jagen, Häute oder Pflanzen zu bearbeiten und vielleicht Netze herzustellen. Hier zu sehen sind eine mutmaßliche Netznadel, eine Ahle oder ein Messer aus einem Affenzahn und eine Geschossspitze.

    Foto von M. C. Langley

    Spuren an den Pfeilspitzen legen nahe, dass sie an Schäften befestigt waren – ebenso wie kleine Brüche, die möglicherweise beim Aufprall auf ein Ziel entstanden sind. Die Bögen, zu denen sie gehörten, „wären aus verderblichem Pflanzenmaterial hergestellt worden“, sagt Langley, und haben die Jahrtausende daher nicht überlebt. Aber die Sammlung von Knochenwerkzeugen, die erhalten geblieben sind, offenbart einige der frühesten Schritte der Menschen in den Regenwald hinein.

    Die Anpassung an neue Lebensräume

    Vermutlich verließ eine große Welle von Menschen Afrika vor etwa 60.000 Jahren und erschloss sich langsam die gesamte Welt. Kleinere Gruppen scheinen den Kontinent aber schon vor 200.000 bis 100.000 Jahren verlassen zu haben. Vor 85.000 Jahren waren die modernen Menschen auf der Arabischen Halbinsel angekommen. Etwa 15.000 Jahre später befanden sie sich in Südostasien, und vor 65.000 Jahren hatten sie den ganzen Weg bis nach Australien zurückgelegt.

    Auf seinem Weg begegnete der Homo sapiens vielen herausfordernden Umgebungen, an die er sich anpasste – von der eisigen Kälte der sibirischen Arktis bis zu der dünnen Luft des Hochlands von Tibet. Als der Mensch nach Südasien kam, traf er dort auf einen weiteren einschüchternden neuen Lebensraum: den tropischen Regenwald. Dort erschwerten eine dichte Vegetation, schwer zu fassende Beute, hartnäckige Insekten und gut getarnte Raubtiere das Überleben des Menschen.

    Als der moderne Mensch vor etwa 48.000 Jahren nach Sri Lanka vordrang – vermutlich entlang der Küsten Südasiens–, begab er sich nicht sofort in die dichten Wälder. „Die ersten Menschen, die auf die Insel kamen, lebten wahrscheinlich an der Küste“, sagt der Archäologe Oshan Wedage von der Universität von Sri Jayewardenepura in Sri Lanka. Er hat selbst eine Reihe von Ausgrabungen in und um die Fa-Hien-Lena-Höhle geleitet. „Aber als die Bevölkerung wuchs, hat es möglicherweise einige ihrer Nachkommen in den Regenwald gezogen.“

    Das neue Lebensumfeld erforderte einige wichtige Neuerungen. „In den Ebenen jagten die Menschen große Tiere, die in Herden lebten und deshalb leicht auszumachen und anzugreifen waren“, sagt Langley. „Aber im Tropenwald sind viele Beutetiere sehr flink und können hoch in Bäumen leben. Ein Speer ist nicht besonders nützlich, um in einem Wald einen Affen oder ein Eichhörnchen zu erlegen. Man braucht etwas, das schnell ist und eine große vertikale Reichweite hat. Bogen und Pfeile sind ideal für eine solche Umgebung.“ Die Affenknochen wiederum waren ein hervorragendes Material für neue Pfeilspitzen.

    Einige der Knochenwerkzeuge scheinen anderen Zwecken gedient zu haben. „Ein abgeflachtes Stück Knochen sieht sehr wie eine Netznadel aus – ein Werkzeug, mit dem bei der Herstellung oder Reparatur von Netzen der Faden mitgezogen wird“, sagt Langley. Ein solches Objekt wäre sowohl an Flüssen wie auch an den Küsten nützlich gewesen. Andere Werkzeuge sehen aus, als wären sie zur Bearbeitung von Leder und Pflanzenfasern verwendet worden, möglicherweise zur Herstellung von Taschen oder sogar Kleidern. „Die Menschen im Regenwald brauchten nicht viel Kleidung, um sich warm zu halten. Aber vielleicht war sie nützlich, um die Haut vor Verletzungen durch Insekten oder die Vegetation zu schützen“, mutmaßt Wedage.

    Der Archäologe Ian Gilligan von der University of Sydney, der die frühe Geschichte der Kleidung studiert, wäre nicht überrascht, wenn Menschen zu jener Zeit in Sri Lanka Kleidung hergestellt hätten. Genetische Spuren von Kleiderläusen – die zum Überleben auf Menschen Kleidung benötigen – legen nahe, dass der Homo sapiens in Afrika bereits vor 170.000 Jahren Kleidung getragen haben könnte.

    „Je mehr sich das Tragen von Kleidung etablierte, desto mehr soziale Funktion erhielten Kleidungsstücke. Zweifellos wurde diese Funktion in vielen Regionen zu einem dominierenden Faktor für das fortwährende Tragen der Kleidung“, sagt Gilligan.

    Kulturelle Artefakte wie Kleidung und Perlen haben den Menschen möglicherweise dabei geholfen, enge soziale Gruppen zu erzeugen und so in fast jeder neuen Umgebung erfolgreich zu sein. Neue Werkzeuge, die von klugen Köpfen erdacht wurden, konnten mit anderen geteilt, vererbt und über Generationen hinweg verbessert werden.

    Farben verbinden die Menschheit

    Obwohl die Menschen im Wald eine neue Lebensweise entwickelten, scheinen sie auch eine Verbindung zu jenen Populationen aufrecht erhalten zu haben, von denen sie sich getrennt haben. In der Höhle im Regenwald wurden Perlen aus den Schalen von Meerestieren gefunden, obwohl die Höhle etwa 40 Kilometer von der Küste entfernt liegt. Das deutet darauf hin, dass die Fa-Hien-Lena-Gruppe möglicherweise mit anderen Menschen, die sich an den Küsten aufhielten, gehandelt hat, sagt Wedage.

    Die Perlen wurden rund geschliffen, poliert und durchbohrt, sodass man sie an einer Schnur auffädeln konnte. Die ältesten Funde bestehen aus Perlmutt, später wurden sie jedoch auch aus hellroten Ockerstücken gefertigt.

    „Ich bin mir nicht sicher, ob die Menschen diese Ockerperlen als Schmuck getragen haben“, erklärt Langley. „Vielleicht war das nur eine praktische Möglichkeit, sie zusammenzuhalten und zu transportieren. Vielleicht wurden sie abgekratzt und das so entstehende farbige Pulver dazu genutzt, die Haut zu bemalen.“ Neben diesen drei speziellen Ockerperlen, die bis zu 8.700 Jahren alt sind, entdeckten die Forscher 136 Fragmente von gelbem, rotem und silberfarbenem Muskovit, das unter anderem aus den ältesten Schichten der Höhle stammt. Auch dieser Glimmer wurde möglicherweise als Pulver abgekratzt, um anschließend als Körperbemalung zu dienen.

    „Helles Rot scheint die beliebteste Farbe für Körperbemalung gewesen zu sein, meist in Kombination mit Weiß“, meint Langley. „Diese Farben finden sich von der Blombos-Höhle in Südafrika bis hinauf nach Australien und darüber hinaus.“ Die verschiedenen Gruppen von Homo sapiens zogen also hinaus in die Welt, passten sich von unwegsamen Bergregionen über die Arktis bis in die Regenwälder effizient den Gegebenheiten an und waren doch durch eins verbunden: Sie nahmen ihren Lieblingsfarben in alle Teile der Erde mit.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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