Agri-Photovoltaik: Stromproduktion beim Gemüseanbau

Oben die Sonne anzapfen, unten Kartoffeln ernten: Mit Agri-Photovoltaik kann man grünen Strom und Lebensmittel auf derselben Fläche produzieren. Ist das der Schlüssel für die Energiewende?

Agrophotovoltaik-Pilotanlage des Fraunhofer ISE in Heggelbach am Bodensee

Foto von © Fraunhofer ISE
Von Jens Voss
Veröffentlicht am 5. Apr. 2022, 09:24 MESZ

Deutschland steht vor einer Mammutaufgabe. Das Land soll unabhängiger von fossilen Brennstoffen und Energieimporten werden. Allein für die Windenergie will die Bundesregierung zwei Prozent der Landesfläche reservieren. Gleichzeitig wollen wir die heimische Landwirtschaft stärken, um unsere Lebensmittelversorgung krisenfester zu machen.

Doch auch dazu braucht es viel Platz. Nicht zuletzt deshalb, weil die Landwirtschaft umweltverträglicher werden soll. Wegen der geringeren Erträge verbraucht der Ökolandbau aber mehr Ackerfläche als die konventionelle Landwirtschaft. Fläche, die ohnehin rar ist in Deutschland. Allein die Siedlungs- und Verkehrsfläche wächst seit Jahrzehnten täglich um 52 Hektar. Das entspricht der Größe von 73 Fußballfeldern. Wohin also mit all den neuen Windanlagen und Solarparks, Obstplantagen und Getreidefeldern?

Ein Lösungsansatz: Doppelt ernten auf gleicher Fläche. Agri-Photovoltaik (Agri-PV) heißt die Technologie, mit der sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen. Sie bringt Ökostromerzeugung und Landwirtschaft buchstäblich unter ein gemeinsames Dach. Das Grundprinzip klingt so simpel wie einleuchtend: Solarmodule werden mithilfe von Spezialgerüsten meist in drei bis fünf Metern Höhe über landwirtschaftlichen Flächen installiert.

Auf diese Weise lässt sich der Platz doppelt nutzen: unten für den Obst- und Gemüseanbau und oben für eine saubere Energieerzeugung. „Das reduziert die Konkurrenz um landwirtschaftliche Flächen und trägt zu einer effizienteren Landnutzung bei“, sagt Max Trommsdorff vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE. Der gelernte Volkswirt leitet ein Forschungsteam für Agri-Photovoltaik in Freiburg.

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    Grüne Waffe gegen den Klimawandel

    Trommsdorff spricht von einer großen Chance für Landwirtschaft und Energiewende. Nur rund vier Prozent der deutschen Ackerflächen würden ausreichen, um den gesamten aktuellen Strombedarf in Deutschland zu decken.

    Doch das sei längst nicht der einzige Vorteil. „Darüber hinaus kann die Agri-PV Schutz vor Hagel-, Frost- und Dürreschäden bieten“, so Trommsdorff. Folien und andere Schutzmaterialien würden dann überflüssig. Und weil die aufgeständerten Solarmodule die Pflanzen vor Wind und zu starker Sonneneinstrahlung schützen, brauche man weniger Bewässerung.

    Das Fraunhofer Institut sieht Agri-PV deshalb als hilfreiches Instrument, um die heimische Landwirtschaft widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen. Und die ohnehin schon von Wetterextremen gebeutelten Landwirte hätten ein zusätzliches Einkommen.

    Die Forschungs- und Demonstrationsanlage für Agri-Photovoltaik in Morschenich im Rheinischen Revier.

    Foto von © Forschungszentrum Jülich/Ralf-Uwe Limbach

    Agri-PV: Doppelt ernten auf dem Acker

    Eine der Kernfragen lautet: Wie muss das Zusammenspiel von Pflanzen und Solarsystem funktionieren, damit Ertrag und Energieausbeute gleichermaßen effizient sind? Entscheidend ist unter anderem, wie Pflanzen mit dem Wechsel von Licht und Schatten unter der Photovoltaikanlage umgehen.

    Meier-Grüll erklärt: „Ein Teil der Anlage wurde so konzipiert, dass sich die Solarmodule je nach Licht- oder Schutzbedarf der Pflanze automatisch kippen und damit gezielt einstellen lassen.“ Mit bildgebenden Messverfahren wird das Pflanzenwachstum beobachtet und analysiert. Auf dieser Grundlage entwickelt das Team dann neue Anbauverfahren.

    Auch die Photovoltaik-Technik wird mithilfe von integrierter Messtechnik unter die Lupe genommen. So wollen die Forschenden herausfinden, inwiefern sich der Pflanzenanbau auf die Robustheit der Solarmodule und die Energieausbeute auswirkt.

    „Zudem können wir das Wassermanagement der Pflanzen anpassen“, sagt Meier-Grüll. „Das Regenwasser, das von den Solarmodulen abfließt, wird aufgefangen und den Pflanzen darunter bei Bedarf gezielt zugeführt.“ In Kombination mit der Schatten spendenden Dachkonstruktion sei man so für Hitzesommer besser gerüstet.

    Innovationslabor statt Kohleabbau

    Gut 450 Kilometer weiter nördlich im Kreis Düren in Nordrhein-Westfalen: Eigentlich dürfte es das Örtchen Morschenich-Alt gar nicht mehr geben. Es sollte dem Braunkohleabbau weichen. Schon seit 2015 wurde damit begonnen, die Einwohner umzusiedeln. Doch Anfang 2020 erklärte der Tagebaubetreiber RWE, auf einen Abriss des Dorfes und den dortigen Kohleabbau zu verzichten.

    Wo ursprünglich fossile Brennstoffe gefördert werden sollten, steht jetzt eine Versuchsanlage für Agri-Photovoltaik. Knapp 1000 Solarmodule an Metallgerüsten und darunter der fruchtbare Boden der Jülicher Börde: Das sind die Eckpunkte des Innovationslabors auf dem Acker, das die Strukturwandelinitiative BioökonomieRevier in Kooperation mit dem Fraunhofer ISE im Rheinischen Revier betreibt.

    „Die bisherigen Erfahrungen mit Agri-PV-Anlagen haben gezeigt, dass sie grundsätzlich gut funktionieren“, sagt Projektkoordinator Matthias Meier-Grüll. „Aber es gibt weiteren Forschungsbedarf.“

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    „Win-Win-Win für Klima, Natur und Landwirtschaft“

    Aktuell wird in Morschenich-Alt vor allem an Nutzpflanzen geforscht, deren Anbau sich in der Region ökologisch und ökonomisch lohnt. Das sind zum Beispiel regenempfindliche Beerenfrüchte, Heilpflanzen oder Pflanzen, die sich für Öle oder Fasern verwenden lassen.

    Will Deutschland das Pariser Klimaschutzabkommen einhalten, muss der Solarenergieausbau bis 2035 auf 590 Gigawatt verzehnfacht werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

    Meier-Grüll ist überzeugt: „1700 Gigawatt ließen sich gewinnen, wenn wir zusätzlich das Potenzial an Flächen nutzen, auf denen gartenbauliche und Spezialkulturen produziert werden.“ Zum Vergleich: Weltweit werden derzeit rund 14 Gigawatt Strom mit Agri-PV erzeugt.

    Es gibt also noch viel zu tun. Neben technischen Herausforderungen müssen bürokratische Hürden gemeistert werden. Fehlende rechtliche Rahmenbedingungen würden viele landwirtschaftliche Betriebe abschrecken, kritisiert das Fraunhofer ISE. Eine wirtschaftliche Umsetzung von Agri-PV sei deshalb in Deutschland zurzeit „nur in den seltensten Fällen möglich“.

    Das will die Bundesregierung ändern. Agri-PV-Anlagen sollen künftig auf allen Ackerflächen über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert werden. Das würde eine landwirtschaftliche und energetische Nutzung ein und derselben Fläche ermöglichen und vor allem auch rentabel machen. Geld aus den Agrarfördertöpfen der EU soll fließen, sofern die landwirtschaftliche Nutzung nur bis zu 15 Prozent durch die Stromerzeugung beeinträchtigt ist.

    Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir spricht von einem Win-Win-Win für Klima, Natur und Landwirtschaft: „Agri-Photovoltaik ermöglicht es unseren Landwirtinnen und Landwirten, einen Beitrag zur Versorgung mit erneuerbaren Energien zu leisten und landwirtschaftliche Nutzflächen trotzdem weiter bewirtschaften zu können.“

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