Streit um Genfood: Wie viel Gentechnik darf ins Essen?
Die EU will die Vorschriften für Grüne Gentechnik lockern. Befürworter sehen genetisch veränderte Organismen als Schlüssel im Kampf gegen den Welthunger. Gegner warnen vor Umweltschäden und mehr.
Getreide aus dem Genlabor? Die Diskussion um Gentechnik in der Landwirtschaft erhitzt die Gemüter.
Am Anfang war die Anti-Matsch-Tomate. Vor 30 Jahren kam sie als erstes gentechnisch verändertes Nahrungsmittel auf den US-Markt. Ein großer Erfolg war sie nicht. Nur drei Jahre später verschwand die Gentomate mit dem Produktnamen „Flavr Savr“ wieder aus den Supermärkten – auch, weil die Verbraucherinnen und Verbraucher skeptisch waren.
Heute sind gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in vielen Ländern etabliert. Statistiken zufolge liegt der Anteil von Gensoja in den USA inzwischen bei 95 Prozent. Bei Mais sind es 93 Prozent. Auch Brasilien, Argentinien, Kanada oder Indien setzen massiv auf Grüne Gentechnik oder Agrogentechnik, also auf Verfahren zur Veränderung des Erbguts von Nutzpflanzen.
In Europa ist das anders. Grundsätzlich gibt es in der EU zwar das Recht, Genpflanzen anzubauen und zu verkaufen. Dafür braucht es aber strenge Risikobewertungen und Genehmigungsverfahren. De facto spielt die Gentechnik auf europäischen Anbauflächen eine untergeordnete Rolle. Deutschlands Äcker sind frei davon.
Gentechnisch verändertes Obst und Gemüse gibt es hierzulande nicht zu kaufen. Verarbeitete Lebensmittel, zum Beispiel Polenta aus importiertem Maismehl, dürfen Bestandteile aus GVO enthalten. Das muss aber auf der Verpackung stehen.
Gentechnik im Essen: Chance oder Risiko?
Doch das könnte sich bald ändern. Die EU-Kommission will die Regeln für den Einsatz von Agrogentechnik lockern. Die Zulassung neuer GVO soll deutlich einfacher werden, Risikoprüfungen und Pflichten zur Nachverfolgbarkeit würden weitgehend entfallen. Ausgenommen von den Plänen ist der Bioanbau.
Das Europaparlament hat dem Vorhaben bereits grundsätzlich zugestimmt, verlangt aber, dass GVO im Supermarkt weiter gekennzeichnet werden. Aktuell liegen die Pläne auf Eis, weil es bislang keine Mehrheiten im EU-Rat gibt.
Grüne Gentechnik ist stark umstritten. Kritiker warnen vor möglichen Gesundheitsrisiken und kaum vorhersehbaren Umweltschäden. Befürworter sehen Genpflanzen dagegen als große Chance für die Ernährungssicherheit und eine nachhaltige Landwirtschaft. Umfragen zufolge lehnt die Mehrheit der Menschen in Deutschland gentechnisch veränderte Lebensmittel ab. Nur wenige dürften aber mit dem Thema vertraut ein.
Pflanzenzucht: Wie funktioniert Grüne Gentechnik?
Klar ist: Seit Jahrtausenden manipuliert die Menschheit das Erbgut von Nutzpflanzen durch Züchtungen. Da ist zum einen die klassische Kreuzung. Schon unsere Vorfahren in der Steinzeit erkannten, dass es sinnvoll sein kann, bestimmte Wildgräser in das Getreide einzukreuzen, um Sorten schmackhafter, widerstandsfähiger oder ertragsreicher zu machen. Zufällig auftretende Genveränderungen, also Mutationen, führen dabei zu unterschiedlichen Pflanzeneigenschaften. Der Mensch selektiert dann die aus seiner Sicht besten Pflanzen und vermehrt sie weiter. Die klassische Kreuzung wird auch heute noch angewendet. Doch die Methode ist mühsam und langwierig.
Im frühen 20. Jahrhundert haben Forschende deshalb die Mutationszüchtung entwickelt. Dabei behandelt man das Saatgut mit Chemikalien oder ionisierender Strahlung. Diese „Schrotschuss-Methode“ beschädigt die DNA und löst so zahlreiche Zufallsmutationen aus. Nur ein kleiner Teil der veränderten Pflanzen ist für die Weiterzucht geeignet, die meisten Mutanten zeigen Defekte. Fast alle modernen Braugerste- und Hartweizensorten gehen auf die Mutationszüchtung zurück.
Präziser arbeitet die klassische Gentechnik. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können damit Erbinformationen eines anderen Organismus in die DNA einer Pflanze einbauen. Beispielsweise lassen sich Insektengene in eine Maissorte einschleusen, um diese resistent gegen Schädlinge zu machen. Solche transgenen Mutationen kommen bisweilen auch in der Natur vor. Süßkartoffeln zum Beispiel enthalten Gene bestimmter Agrobakterien.
Noch genauer ist die Genom-Editierung. Mit Hilfe der modernen CRISPR/Cas-Methode, auch bekannt als Genschere, ist es nun möglich, einen DNA-Strang an einer bestimmten Stelle zu schneiden, umzubauen, ein Gen abzuschalten oder neue Sequenzen einzufügen – ohne dabei fremde DNA einzuschleusen. Forschende sprechen von einer exakten, schnellen und vergleichsweise kostengünstigen Methode.
Galerie: Gentechnik: Die zweite Grüne Revolution
Pro: Argumente für die Grüne Gentechnik
Der Gesetzgeber behandelt die Züchtungsmethoden unterschiedlich. Die klassische Kreuzung zum Beispiel fällt nicht unter die strengen Gentechnik-Regelungen. Aber auch für die Mutationszüchtung, bei der die Erbinformationen durch Chemikalien oder Bestrahlung unkontrolliert verändert werden, gelten laschere Vorschriften als bei der viel präziseren Genom-Editierung.
Fürsprecher der Grünen Gentechnik kritisieren das. Sie fordern, dass die EU die geplanten Lockerungen zügig umsetzt und die Anwendung neuer Gentechniken erleichtert. Mit Hilfe der Genschere ließen sich Pflanzen züchten, die auch durch natürliche Mutation oder klassische Kreuzungszucht hätten entstehen könnten. „Risiken ergeben sich nicht per se aus dem Verfahren, sondern immer erst aus dem erzeugten Organismus, seinen Merkmalen und seiner Anwendung“, sagt der Rechtswissenschaftler und Gentechnik-Experte Hans-Georg Dederer von der Uni Passau.
Genforschende sehen im CRISPR/Cas-Verfahren große Chancen. Ihr Argument: Nutzpflanzen lassen sich mit Hilfe der Genschere schneller an widrige Umweltbedingungen anpassen. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels sei dies von großer Bedeutung. Außerdem könnten Pflanzen so gezüchtet werden, dass sie resistent gegen bestimmte Schädlinge seien. Die Folge: weniger Pflanzenschutzmittel auf den Äckern.
Alles in allem bringe das nicht nur höhere Erträge und weniger Ernteverluste. Die Landwirtschaft werde durch weniger Pestizide auch umweltfreundlicher. Gesundheitlich unbedenklich sei die Agrogentechnik ohnehin. Das hätten Studien hinlänglich gezeigt. „Nach 30 Jahren Sicherheitsforschung kann man mit Fug und Recht sagen, dass die Technologie an sich sicher und gesundheitlich unbedenklich ist“, sagt Molekularbiologe Ralph Bock vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie.
Contra: Argumente gegen die Grüne Gentechnik
Kritiker der Grünen Gentechnik widersprechen dem zum Teil vehement. Nicht nur Verbraucherschutz-Organisationen und Umweltverbände haben Bedenken. Auch das Bundesumweltministerium äußert sich kritisch. Zum Beispiel, weil damit zu rechnen sei, dass GVO unerwartete Effekte in der Natur auslösen können. Eine modifizierte Maissorte, die ein Gift gegen Schädlinge bildet, gefährde womöglich auch andere Tierarten.
Außerdem bestehe die Gefahr, dass sich Resistenzen bilden, wenn Pflanzen so gezüchtet werden, dass sie immun gegen Unkrautvernichtungsmittel oder Schädlinge sind. Am Ende lande dann noch mehr Gift auf dem Acker. Fazit des Umweltministeriums: Gentechnik ist nicht hilfreich in der Landwirtschaft. „Ihr großflächiger Einsatz führt zu gravierenden Schäden an Natur und Umwelt.“
Umweltverbände teilen die Bedenken. Neben möglichen Risiken für Natur und Umwelt fürchten sie, dass Agrarkonzerne durch Patente ihre Macht erweitern und damit Kleinbauern gefährden. Aber auch gesundheitliche Aspekte dürften nicht außer Acht bleiben. Der Zusammenhang zwischen gentechnisch veränderten Pflanzen und neuen Allergien oder Antibiotikaresistenzen etwa sei nicht hinreichend untersucht, erklärt der BUND. „Gentechnik muss reguliert bleiben“, fordert deshalb Verbands-Chef Olaf Brandt.
Risikoprüfung und Rückverfolgbarkeit: Diese Punkte sind Verbraucherschützern besonders wichtig. Die Verbraucherzentrale pocht darauf, dass es bei einer ausführlichen Risikobewertung von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln bleibt. Gleiches müsse für die Kennzeichnungspflicht gelten: Ohne entsprechende Deklaration könnten sich die Menschen nicht mehr bewusst für oder gegen den Kauf entscheiden. Nur wenn Genfood im Supermarkt erkennbar bleibe, hätten Verbraucherinnen und Verbraucher die freie Wahl, was am Ende auf ihrem Tisch landet.