Künstliche Intelligenz oder zurück zu den Wurzeln: Wie gelingt die Landwirtschaft der Zukunft?
Wetterextreme lassen die Ernten schrumpfen. Retten uns Hightech und Digitalisierung aus der Landwirtschaftskrise? Oder sollten wir vor allem auf die Kraft der Natur vertrauen? Ein Farmrebell aus Brandenburg zeigt, was möglich ist.
Ernteroboter bei der Arbeit: Sieht so die Zukunft aus? (Illustration)
Das Silicon Valley der Agrarwirtschaft liegt 80 Kilometer südöstlich von Amsterdam. Wageningen in der niederländischen Provinz Gelderland hat zwar nur knapp 41.000 Einwohner. Doch das dort ansässige Universitäts- und Forschungszentrum WUR gilt als wichtigste landwirtschaftliche Forschungseinrichtung der Welt. Zahlreiche Agrartechnikfirmen, Start-ups und Versuchsfarmen haben sich um das WUR angesiedelt. Im Foodvalley arbeiten sie an der Landwirtschaft der Zukunft.
Die Niederlande sind klein. Doch kaum ein anderes Land holt so viel Ertrag aus so wenig Fläche. Die Niederlande sind der zweitwichtigste Exporteur landwirtschaftlicher Produkte – direkt nach den USA, die 270-mal so groß sind. Viel Ertrag auf kleiner Fläche – das geht nur mit Hightech. Überall auf der Welt nehmen sich andere Länder die Anbaumethoden aus den Niederlanden zum Vorbild. Präzisionslandwirtschaft, heißt das Zauberwort.
Mit digitalen Technologien lassen sich komplexe Prozesse in Echtzeit überwachen, steuern und damit optimieren. Auf diese Weise will man die Arbeit im Stall und auf dem Acker noch sicherer, effizienter und schneller machen. Möglichst hohe Produktivität zu möglichst geringeren Kosten also. Zugleich soll die Landwirtschaft nachhaltiger werden. Denn wenn sich der Einsatz von Wasser, Nährstoffen und Chemikalien mithilfe moderner Technik präzise steuern lässt, braucht man weniger Ressourcen.
Galerie: Wie Holland mit Hightech die Landwirtschaft revolutioniert
Drohnen, Feldroboter und intelligente Kühe
Damit all das gelingt, muss die Landwirtschaft der Zukunft vernetzter sein als je zuvor. Spezialisierte Drohnen überwachen Felder und Herden aus der Luft. Sie kartierten Ackerflächen, Weiden und Böden, um ein genaues Bild des landwirtschaftlichen Betriebs zu erstellen. Außerdem können sie so präpariert werden, dass sie Wasser, Nährstoffe oder Pestizide exakt dorthin bringen, wo sie gebraucht werden. Auf dem Feld verrichten Roboter ihre Arbeit. Sie pflügen, säen und bewässern. Sie jäten Unkraut und ernten selbstständig. Durch Einsatz von künstlicher Intelligenz lernen sie voneinander und werden so immer besser.
Autonom fahrende Traktoren werden von GPS-Daten geleitet, um die Fahrwege zu optimieren. Das vermindert Erosionen und senkt den Treibstoffverbrauch. Nutztiere tragen intelligente Wearable-Technologie mit sich, um Standort und Gesundheit der Tiere zu überwachen. Die Daten aus den eingesetzten technischen Geräten und intelligenten Sensorgen werden ausgewertet, um Effizienz, Produktivität und Nachhaltigkeit steigern.
Nicht nur auf dem Acker, auf der Weide und im Stall – auch im Gewächshaus tut sich einiges. Hochtechnisierte Agraranlagen regulieren Temperatur, Wasser und Pflanzennährstoffe in geschlossenen Systemen. Ein Beispiel sind vertikale Farmen. Hierbei wachsen die Pflanzen in geschlossenen Hallen in übereinander gestapelten Regalen auf künstlichem Substrat. Während ein Großteil des Wassers auf dem Acker verdunstet, verbleibt es beim Vertical Farming in einem Kreislaufsystem.
Mit Agri-Photovoltaik (Agri-PV) kann man sogar doppelt auf gleicher Fläche ernten. Das Grundprinzip klingt so simpel wie einleuchtend: Solarmodule werden mithilfe von Spezialgerüsten meist in drei bis fünf Metern Höhe über landwirtschaftlichen Flächen installiert. Oben zapft man die Sonne an, darunter wachsen Obst und Gemüse.
Technik versus Natur?
Für den Deutschen Bauernverband ist „die Digitalisierung landwirtschaftlicher Prozesse ein chancenträchtiger Megatrend mit großem Anwendungspotenzial für eine ressourcen- und klimaschonende Landbewirtschaftung und eine Tierwohl fördernde Haltung.“
Sind Drohnen und Agrarroboter, Big Data und künstliche Intelligenz also der Schlüssel für eine erfolgreiche Agrarwirtschaft von morgen? Eine Landwirtschaft, die sich heute schon im Wettlauf mit dem Klimawandel befindet? Die gegen Hitze, Dürre, Starkregen und Ernteausfälle kämpft? Und die mit Windrädern und Solaranlagen zunehmend um begehrte Fläche konkurriert?
Verfechter der regenerativen Landwirtschaft sind davon überzeugt, dass es mehr für eine zukunftsfähige Landwirtschaft braucht. Ihnen geht es vor allem um gesunde Böden und biologische Vielfalt. Gerade in Zeiten der Klimaveränderungen sei das die Grundlage für stabile Erträge und sichere Ernten.
Eines der wichtigsten Ziele: der Humusaufbau im Boden. Humusreiche Böden gelten als besonders fruchtbar. So sollen sich die Nährstoffkreisläufe möglichst ohne Einsatz von Chemie auf natürliche Weise schließen. Alles in allem wollen Anhänger der regenerativen Landwirtschaft die Kräfte der Natur nutzen, um die Äcker widerstandsfähig gegen Klimaveränderungen zu machen.
Galerie: Wasser, Nahrung, Energie – Die Wüsten werden grün
„Technologie allein ist nicht der Schlüssel“
Einer von ihnen ist Benedikt Bösel. Der ehemalige Investmentbanker hat 2016 den Hof seiner Eltern in Brandenburg übernommen – an einem der trockensten Landstriche Deutschlands. In der Finanzindustrie hatte er zuvor viel mit Start-ups im Agrarbereich und moderner Umwelttechnologie zu tun. Da lag es nahe, einen landwirtschaftlichen Modellbetrieb für technologische Innovation aufzubauen und zu zeigen, was heute mit der digitalen Landwirtschaft alles möglich ist.
Doch gleich zu Beginn wurde der Quereinsteiger von drei Dürrejahren überrascht. Die Existenz des Hofs stand auf dem Spiel. So konnte es nicht weitergehen. „Als ich in der Realität von einer Dürre zu anderen gekommen war, wurde mir klar, dass Technologie allein nicht der Schlüssel sein würde“, erinnert sich Bösel. „Die Technologie und die Versuche, die Natur weitestgehend zu kontrollieren und in lineare Produktionsformen zu pressen, ist genau das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Was wir brauchen, ist ein gesunder Boden, sind gesunde Ökosysteme.“
Bösel begann selbst zu forschen und seinen extrem schwierigen Standort als Reallabor für alternative Formen der Landwirtschaft zu nutzen. Er entwickelte ein neues Betriebskonzept nach dem Vorbild der syntropischen Landwirtschaft, einer besonderen Form der regenerativen Landwirtschaft.
Verfechter der regenerativen Landwirtschaft: „Boden ist die Basis all unserer Arbeit“, sagt Quereinsteiger Benedikt Bösel.
Syntropische Landwirtschaft: Zurück zu den Wurzeln
Syntropisch bedeutet im Griechischen miteinander, zusammen. Die syntropische Landwirtschaft beruht auf dem komplexen Zusammenspiel verschiedener Pflanzen und Organismen, die sich gegenseitig schützen und Nährstoffe zur Verfügung stellen. Sie ist also das Gegenstück zur Monokultur. Auch moderne Technik spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie sind aber nicht alles. „Boden ist die Basis all unserer Arbeit“, sagt Bösel. Zurück zu den Wurzeln also. Zentraler Punkt ist deshalb der Aufbau von Humus. Auf seinem Hof „Gut und Bösel“ werden dazu große Mengen an Kompost hergestellt.
Eine eigene Baumschule versorgt die sogenannten Agroforstflächen mit jungen Bäumen. Agroforst kombiniert Land- und Forstwirtschaft auf einer Fläche. Bösel setzt dazu Baumreihen zwischen die Ackerpflanzen. Sie schützen mit ihrem Schatten vor Erosion und Verdunstung. Der Anbau verschiedener Pflanzen auf einer Fläche soll die Biodiversität und damit die Robustheit und Fruchtbarkeit des gesamten Agrarsystems fördern. Im Herbst will er das größte syntropische Agroforst-System Europas pflanzen.
Auch mit seinen Weiderindern folgt der Bodenrebell dem ganzheitlichen, syntropischen Weg. Die Herde bleibt das komplette Jahr über auf der Weide, eng zusammen und in Bewegung. Weil die Tiere täglich weiterziehen, fressen sie die Pflanzen nicht bis zum Boden ab, sondern regen durch das maßvolle Weiden das Wurzelwachstum an. So wird der Boden vor Dürre, Ausschwemmung und Wind geschützt.
Höhere Gewinne für die Landwirte
Gleiches gilt für den 2.000 Hektar großen Forst in Alt Madlitz, der ebenso zum Betrieb gehört. Derzeit besteht er größtenteils aus Kiefernmonokulturen. Bösel will ihn zu einem gesunden Mischwald umbauen und damit widerstandsfähig für die kommenden klimatischen Herausforderungen machen.
Anfang des Jahres hat Bösel den Förderbescheid für ein Forschungsprojekt mit der Bundesregierung erhalten. Bereits 2022 wurde er zum „Landwirt des Jahres“ ausgezeichnet. Er sieht das als „großartiges Zeichen, dass wir mit unserer Forschungsarbeit zur regenerativen Landwirtschaft auf dem richtigen Weg sind“. Eine aktuelle Studie scheint ihm recht zu geben. Demnach hilft die regenerative Landwirtschaft nicht nur der Natur. Auch die Bauern profitieren. Den Untersuchungen zufolge bringt die Umstellung auf regenerative Landwirtschaft bis zu 60 Prozent höhere Gewinne.
Bösel ist sicher: „Die Landwirtschaft ist der mit Abstand größte Hebel, um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen. Es geht um Biodiversität, Gesundheit, Chancengleichheit, Entwicklung ländlicher Räume, Bildung, Klimaanpassung. Wenn wir das verinnerlichen und demnach die Ausrichtung der Politik, die Technologieentwicklung, die Bildung und Ausbildung sowie den Zugang zu Land anpassen, haben wir alle Chancen, den Wagen noch aus dem Dreck zu ziehen.“
Erlebt Benedikt Bösel mit seinem jungen Team und sein visionäres Engagement für eine neue Form der Landwirtschaft in einer außergewöhnlichen Doku-Serie: FARM REBELLION – ab dem 14. Juni 2023 alle sechs Folgen exklusiv auf Disney+ streamen.
JETZT TRAILER SEHEN: