Ein Jahr auf dem Mars

Die Reise zum Roten Planeten soll das nächste große Abenteuer werden. Die Geophysikerin Christiane Heinicke hat ein Jahr in einer simulierten Mars-Station auf Hawaii verbracht – und erzählt von Enge, Freundschaft und kostbarem Wasser.

Von Ines Bellinger
Seit 2012 erkundet der Nasa-Forschungsroboter „Curiosity“ die Oberfläche des Roten Planeten und schickt manchmal auch Selfies zur Erde.
Foto von NASA, JPL Cal-tech, Msss

Die Sonne brennt auf die rote Erde. Kein Zeichen von Leben. Nirgends. Bis auf eine kleine, weiße Kuppel am Hang eines Berges, in der sechs mutige Männer und Frauen daran arbeiten, dass eines Tages eine Weltraum-Mission zum Mars starten kann – dahin, wo noch nie ein Mensch gewesen ist. Die Raumfahrtagenturen rechnen erst nach dem Jahr 2030 mit bemannten Missionen zum Roten Planeten. Der Wettlauf zum Mars aber hat begonnen. Auf Hawaii haben die sechs Wissenschaftler ein Jahr lang das isolierte Leben auf dem Mars simuliert. Mit dabei: Christiane Heinicke, Geophysikerin aus Bitterfeld.

Frau Heinicke, willkommen zurück im irdischen Alltag. Sie haben es überstanden. Was haben Sie in der Zeit der Isolation am meisten vermisst?
So banal es klingt: Die Möglichkeit, eine längere Strecke frei geradeaus laufen zu können. Die Kuppel, in der wir lebten, hatte einen Durchmesser von gerade einmal zwölf Metern.

Und was hat Ihnen nicht gefehlt?
Verkehrslärm, Staus, Handyklingeln, Einkaufen, Schlangestehen, Rechnungen ...

Auf dem Mars ist auch nicht alles besser. Warum träumen wir seit langer Zeit von einer Reise zum Roten Planeten?
Die Menschheit hat sich nun einmal über alle Kontinente ausgebreitet und auch den letzten Winkel erforscht. Da ist unser Nachbarplanet nur das nächste logische Ziel. Das nächste große Abenteuer.

Was genau war das Ziel des Experiments auf Hawaii?
Unser Aufenthalt war Teil einer Studie, die die psychosozialen Folgen einer bemannten Mars-Mission untersucht. Eine Reise zum Mars dauert mehrere Jahre. Und wenn die Crew nicht perfekt miteinander kooperiert, ist die Mission zum Scheitern verurteilt. Wir wollten herausfinden, wie man ein Team zusammenstellt, das in der Lage ist, über einen langen Zeitraum und ohne externe Impulse produktiv zusammenzuarbeiten.

Warum wollten Sie dabei sein?
Ich fand die Herausforderung faszinierend, ein Jahr mit nur fünf anderen Leuten zu leben – abgeschnitten vom Rest der Welt, ganz auf uns allein gestellt. Außerdem hatte ich so die Möglichkeit, einen Beitrag zur Weltraumforschung zu leisten.

Was hat Ihre Familie zu der Idee gesagt?
Die erste Reaktion war: „Du bist verrückt!“ Dicht gefolgt von: „Wir sind stolz auf dich!“

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Wie lief das Auswahlverfahren ab?
Ich habe zunächst ein normales Bewerbungsschreiben abgeschickt. Danach folgten etliche Fragebögen zur psychischen Verfassung und intellektuellen Leistungsfähigkeit und ein Vorstellungsgespräch via Skype. Zum Schluss gingen acht Finalisten eine knappe Woche lang in den Rocky Mountains trekken.

Wie vertraut waren Sie mit Ihren Mars-Mitbewohnern vor dem Experiment?
Carmel und Cyprien kannte ich von einer zweiwöchigen Mars-Simulation im November 2014. Die anderen lernte ich erst bei der Trekking-Tour kennen. Anschließend haben wir Mails ausgetauscht und die letzte Woche vor dem Start gemeinsam trainiert.

Wie realitätsgetreu war die Simulation?
Das Habitat könnte in seiner jetzigen Form tatsächlich auf dem Mars stehen, zumindest was Größe, Raumaufteilung und einen Großteil der Einrichtung angeht. Allerdings müssten einige Details angepasst werden. So war die Wohnkuppel auf Hawaii zum Beispiel nicht luftdicht. Und Wasser und Lebensmittel wurden alle paar Wochen per Pick-up geliefert – und nicht mit einer Rakete.

Was haben Sie gesehen, wenn Sie aus dem Fenster schauten?
Die Umgebung des Habitats ist vegetationslos und extrem trocken. Aus mineralogischer Sicht ist das Gestein dem auf dem Mars sehr ähnlich – es wird sogar bei biologischen Experimenten anstelle von Marsboden eingesetzt. Einen Umgebungsfaktor konnten wir nicht beeinflussen: das Wetter. Es regnet zwar nicht oft auf Hawaii, aber auf dem Mars nie.

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Hawaii heißt für die meisten: Sonne, Strand und Surfen. Sie saßen in einer Kuppel ohne Meerblick an einem kargen Vulkanhang und durften nur acht Minuten duschen – pro Woche. Wie kamen Sie damit zurecht?
Im Prinzip konnten wir so lange duschen, wie wir wollten – nur ging das zulasten unseres Trink- und Kochwassers. Wir haben verschiedene Strategien entwickelt, um so wenig Wasser wie möglich für die Körperhygiene zu verbrauchen. Die einen duschten ein-, zweimal in der Woche für 30 Sekunden, andere stellten sich einmal in der Woche zwei Minuten unter die Dusche. Ich bevorzugte die Schüssel-Methode: Wenn man zwei bis drei Liter Wasser in eine Schüssel gibt, kann man seine Haare so lange waschen, wie man will.

Wie streng wurde die Isolation der Mars-Station gehandhabt?
Unsere einzige Kontaktmöglichkeit mit der Außenwelt waren E-Mails, die um 20 Minuten in jede Richtung verzögert wurden, um die riesige Distanz zwischen und Mars zu simulieren. Es gab kein Telefon, kein Skype, kein Fernsehen. Immerhin konnten wir Videos an unsere E-Mails anhängen.

Haben Sie auch Notfälle simuliert?
Ja, zum Beispiel Wasserknappheit oder die Evakuierung des Habitats während eines Sonnensturms. Kommunikationsausfälle brauchten wir nicht zu simulieren, die hatten wir ganz real.

Kameras haben die Station überwacht, die Körperfunktionen der Crew-Mitgliederwurden gemessen, sie mussten täglich mindestens sieben Fragebögen ausfüllen. Kamen Sie sich nicht manchmal vor wie im Big-Brother-Container?
Nein. Die Kameras waren ausschließlich auf den Essensbereich gerichtet. Labor, Bad, Lagerraum, Gemeinschaftsraum und unsere Zimmer wurden nicht überwacht. Jeder hatte seine eigene Schlafkammer, die war zwar nur fünf Quadratmeter groß, aber wer seine Ruhe haben wollte, konnte sich zurückziehen.

Der Mars

Welche Körperfunktionen wurden gemessen – und warum?
Unter anderem wurde unser Puls aufgezeichnet, um zu sehen, wie aktiv wir tagsüber waren. Und wir gaben Urin-, Speichel- und Haarproben ab, die Aufschluss darüber geben sollten, wie gestresst wir uns fühlten.

Und welche Fragen mussten Sie täglich beantworten?
Es ging vor allem um Interaktionen in der Gruppe und das subjektive Stress-Level. Aber auch die Arbeit der „Bodenstation“ sollten wir bewerten – dabei handelte es sich um Freiwillige aus aller Welt, die uns per Mail unterstützt haben. Unsere Stimmung hat sich im Laufe der Zeit natürlich geändert.

Im Sinne von: Das Schnarchen Ihres Zimmernachbarn hat Sie anfangs nicht gestört, aber nach drei Monaten wären Sie ihm am liebsten an die Gurgel gegangen?
Der Inhalt der Fragebögen ist vertraulich. Deshalb nur so viel: Die Veränderung der Wahrnehmungen in der Gruppe war ja gerade das Spannende an dieser Mission.

Wie lautet Ihr persönliches Fazit?
In unserer Crew kamen diejenigen am besten zurecht, die an spannenden Projekten arbeiteten. Eine stabile Beziehung entstand zwischen Crew-Mitgliedern, die sich ehrlich sagen konnten, was sie dachten.

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Kam es nicht zu einer Grüppchenbildung?
Wir hatten zu Beginn drei lose Zweierpaare, die im Laufe der Zeit auch enger zusammenwuchsen. Cyprien und ich, die einzigen Europäer, verbrachten viel Zeit miteinander und witzelten gern über die Amerikaner. Carmel und Tristan stammen beide aus dem US-Bundesstaat Montana; sie kamen gut miteinander zurecht. Und Sheyna und Andrzej haben einfach viel gemeinsam: Beide wollen Astronauten werden, beide sind verheiratet, und beiden ist die Sicherheit wichtiger als alles andere. Ironischerweise waren sie gleichzeitig die Teilnehmer mit den meisten Ausfalltagen wegen Verletzungen.

Wie oft haben Sie sich gestritten?
Wir haben versucht, Konflikte zur Sprache zu bringen, bevor sie in einem Streit mündeten. Üblicherweise haben wir beim Abendessen besprochen, was am Tag so vorgefallen ist. Ein Punkt, der immer wieder zu Diskussionen geführt hat, war die Frage der Sicherheit: Manche von uns fühlten sich wegen der Bedenken von anderen Crew-Mitgliedern gelegentlich etwas eingeschränkt.

Was für Bedenken waren das?
Das reichte vom Tragen einer Schutzbrille beim Verwenden eines Akkuschraubers bis zur Verweigerung der Teilnahme an missionsrelevanten Außeneinsätzen. Dabei mussten wir das Terrain vor dem Habitat queren, wo das Lavagestein zum Teil scharfkantig ist und es Hohlräume gibt, in die man einbrechen kann. Das war manchen zu gefährlich.

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Was haben Sie während der simulierten Außeneinsätze gemacht?
Instandhaltungsarbeiten am Habitat, Außenexperimente und geologische Feldforschung. Die meiste Zeit haben wir wahrscheinlich mit der Erkundung von Höhlen in unserer Umgebung verbracht.

Trugen Sie echte Raumanzüge?
Die Raumanzüge sollten uns vor allem von unserer Umgebung isolieren, sodass wir keinen Wind auf der Haut spüren oder Gestein mit unseren Fingern fühlen konnten. Ein Unterschied zu echten Raumanzügen war die Sauerstoffzufuhr. Unsere Anzüge hatten Ventilatoren, die Umgebungsluft in den Anzug und verbrauchte Luft nach draußen beförderten. Das wäre auf dem Mars nicht möglich, weil die Atmosphäre dort zu dünn zum Atmen ist und auch kaum Sauerstoff enthält.

Sind fehlende Sinneseindrücke nicht generell ein Problem bei längeren Weltraum-Missionen?
Ja, deshalb hatte ich bewusst ein paar Duftöle mitgenommen und mein Lieblingskissen, das nach zu Hause riecht.

Wie waren die Tage strukturiert?
Unseren Strom bezogen wir aus Solarmodulen, konnten elektrische Geräte also vor allem tagsüber betreiben. Sonst lebten wir nach unserem eigenen Zeitplan. Um halb sieben trafen wir uns zum Abendessen, mittwochs und samstags begannen wir um neun mit der Vorbereitung von Außeneinsätzen. Vorgegeben waren nur die Zeiten für das Ausfüllen der Fragebögen und für die Experimente.

Welche wissenschaftlichen Experimente haben Sie durchgeführt?
Eins meiner Projekte war die Gewinnung von Wasser aus dem Boden. Das Lavagestein des Vulkans auf Hawaii ist vergleichbar mit dem auf dem Mars, sowohl was den Wassergehalt angeht als auch die chemische Zusammensetzung. In einer guten Woche habe ich durch reine Verdunstung etwa zwei Liter Wasser aus einem Quadratmeter Boden gewonnen. Andere Experimente drehten sich um unser Schlafverhalten und mögliches Pflanzenwachstum auf dem Mars.

Könnte man auf dem Mars mit Ihrer Methode genug Wasser gewinnen, um mehrere Menschen längere Zeit zu versorgen?
Wasser gibt es auf dem Mars. Es steckt in winzigen Konzentrationen in der Atmosphäre, liegt als Eispanzer an den Polen oder befindet sich als Permafrost tief im Boden – die Schwierigkeit ist, das Wasser aus diesen Quellen zu gewinnen. Mit meinem Experiment produzierte ich zwar nur wenige Liter, das jedoch auf einer Fläche von weniger als einem Quadratmeter. Im Prinzip müsste man also nur eine wesentlich größere Bodenfläche abdecken und könnte dann genug Wasser für eine ganze Crew sammeln.

In der Station gab es nur Gefriergetrocknetes zu essen. Haben Sie abgenommen?
Ein paar Kilo. Das lag aber weniger an der gefriergetrockneten Nahrung als an den fragwürdigen Kochkünsten mancher Kollegen.

Haben Sie viel Sport getrieben?
Ich war etwa eine Stunde am Tag auf dem Radergometer oder dem Laufband. Später habe ich zusammen mit Carmel und Tristan eine Stunde lang Krafttraining gemacht. Außerdem war ich bei fast jedem längeren Außeneinsatz dabei. Regelmäßig auf 2500 Meter Höhe kilometerweit zu laufen, hält auch fit.

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Müssten echte Mars-Raumfahrer viel trainieren, um dem Verlust von Muskel- und Knochenmasse in der geringen Schwerkraft entgegenzuwirken?
Auf der ISS treiben Astronauten im Schnitt zwei Stunden Sport am Tag. Trotzdem müssen sie, wenn sie zur Erde zurückkehren, ihren Körper erst mühsam wieder an das aufrechte Stehen und Gehen gewöhnen. Diese Ruhephase nach dem Raumflug hätte eine Mars-Crew aber nicht – außerdem wäre sie viel länger der geringeren Schwerkraft ausgesetzt als eine ISS-Crew. Ich schätze, dass sie während einer Mission zum Mars etwa drei bis vier Stunden am Tag trainieren müsste.

Eine bemannte Mars-Mission soll es frühestens nach dem Jahr 2030 geben, sagen Raumfahrtagenturen. Was sind die größten Probleme, die noch gelöst werden müssen?
Ein großes Problem ist die Weltraumstrahlung. Anders als die Erde haben der Mars oder ein Raumschiff kein schützendes Magnetfeld. Würde man Astronauten ohne geeigneten Schutz zum Roten Planten schicken, entspräche das einem langen Aufenthalt in Tschernobyl. Und natürlich ist die Frage noch nicht gelöst, wie die Raumfahrer zur Erde zurückkehren sollen. Um ein Raumschiff auf dem Mars zu starten, bräuchte man enorme Mengen Treibstoff, die man kaum von der Erde mitbringen könnte. Erst wenn man eine Möglichkeit gefunden hat, Treibstoff auf dem Mars zu produzieren, kann man Astronauten ohne Treibstoff für den Rückflug losschicken.

Gäbe es nicht auch die Option, auf dem Mars zu bleiben?
Um eine Mars-Station zu bauen, in der mehrere Menschen dauerhaft leben können, müssten wir technisch in der Lage sein, Wasser, Nahrung und Baumaterialien auf dem Mars zu produzieren – man kann das schließlich nicht alles einfliegen.

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Warum ist der Rote Planet so wichtig für die Weltraumforschung?
Die Ausbreitung auf mehrere Planeten würde die Überlebenschancen unserer Spezies vergrößern für den Fall, dass die Erde langfristig – warum auch immer – unbewohnbar wird. Ich hoffe vor allem auf eine Antwort auf die Frage, ob es Leben auf dem Mars gibt. So könnten wir auch etwas über den Ursprung der irdischen Biosphäre lernen.

Wäre es nicht realistischer und wirtschaftlicher, zunächst den Mond zu besiedeln?
Der Mond liegt natürlich viel näher als der Mars, aber der Mars ist der Erde ähnlicher. Er hat eine – wenn auch dünne – Atmosphäre, eine stärkere Anziehungskraft und diverse Rohstoffe. Die Antwort auf die Frage „Mond oder Mars?“ hängt davon ab, welches Ziel man verfolgt. Wenn man Helium-3 gewinnen will, das auf der Erde selten ist, sollte man zum Mond fliegen. Wenn man Spuren von außerirdischem Leben finden möchte, ist der Mars die bessere Option.

Eine Mission zum Mars und zurück würde zwei bis drei Jahre dauern. Würden Sie tatsächlich teilnehmen?
Wenn ich die Chance hätte, zum Mars zu fliegen, dort zu landen und wieder zur Erde zurückzukehren, würde ich zusagen. Aber natürlich nur, wenn die richtige Crew zusammengestellt wurde.

(NG, Heft 9 / 2016, Seite(n) 118 bis 126)

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