Tierwohl gegen Tradition: Das Ende der Windhundrennen in den USA

Zwischen Mafiabossen, Hollywoodstars, echten Tierfreunden und skrupellosen Tierquälern waren die Rennstrecken jahrzehntelang Schauplatz großer Dramen. Nun blickt die Industrie ihrem Ende entgegen.

Von Craig Pittman
bilder von Erika Larsen
Veröffentlicht am 14. Okt. 2020, 13:02 MESZ
Acht Greyhounds donnern um das sandige Oval in der Derby Lane in St. Petersburg, der ältesten ...

Acht Greyhounds donnern um das sandige Oval in der Derby Lane in St. Petersburg, der ältesten kontinuierlich betriebenen Hunderennbahn in den USA. Die Wähler in Florida entschieden sich für ein effektives Verbot von Hunderennen in diesem Bundesstaat bis Ende 2020 – das bedeutet faktisch das Ende der Windhundrennindustrie des Landes.

Foto von Erika Larsen

ST. PETERSBURG, FLORIDA.
Es ist 20:30 Uhr an einem Samstagabend im August. Eine Mondsichel hängt tief am Himmel Floridas, aber ihr fahler Schein ist keine Konkurrenz für die roten Leuchtreklamen, die „WINDHUNDRENNEN“ und „DERBY LANE“ verkünden. Etwa 300 Menschen sind auf Tribünen verstreut, auf denen einst Tausende Platz fanden. Sie unterhalten sich leise, während die Lautsprecher Big-Band-Musik und Rockabilly-Songs spielen.

Sie verstummen, als es für Frederick Davis an der Zeit ist, die Hunde vorzuführen.

„TNT Sherlock“, sagt der Ansager und verkündet die Namen der acht geschmeidigen Tiere, als Davis sie vor den Tribünen anhalten lässt. Jeder Hund trägt eine große Zahl, die an einer eng anliegenden Weste befestigt ist, die als „Decke“ bezeichnet wird. „Tailspin“, ruft der Ansager, „Charlotte York, ...“

In den glorreichen Tagen der 1950er zog die Rennbahn Derby Lane Tausende von begeisterten Fans an – wie zum Beispiel Joe DiMaggio, der Marilyn Monroe im Auto sitzen ließ, während er hineinrannte, um seine Wetten zu platzieren. Jetzt kommen nur noch ein paar Hundert Besucher zu den Rennen; ein Zeichen dafür, dass die Fangemeinde schrumpft.

Foto von Erika Larsen

Als nächstes bringen Davis, 41, und die acht Hundeführer unter seiner Aufsicht die Hunde in die Startboxen. Die mechanische Hasenattrappe mit dem Namen „Hare-son Hare“ schnellt los, quietscht und sprüht blaue Funken. Die Türen gehen auf und die Greyhounds stürzen drauflos – ihre Körper sind verschwommen, ihre Pfoten schleudern Sand in die Luft, während sie 30 Sekunden lang um das Oval galoppieren. Sie erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 80 Kilometer pro Stunde, was sie zum zweitschnellsten Landtier der Welt macht, nur noch übertrumpft vom Geparden.

BELIEBT

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    Sturmwolken ziehen über dem Eingang der Derby Lane auf. Seit ihrer Eröffnung im Januar 1925 wird die Rennbahn in Florida von derselben Familie betrieben und hatte so namhafte Fans wie Babe Ruth und Sophie Tucker. Glücksspiele waren damals illegal, aber die Wettenden fanden einen Weg, das Gesetz zu umgehen, bis es 1931 legalisiert wurde.

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    Der berühmte Sportkolumnist Ring Lardner nannte Derby Lane einmal „das Churchill Downs des Windhundrennsports“. Wenn die Hunde laufen, kann man immer noch einen Hauch seiner glorreichen Tage erahnen. Dies war einst ein Ort voller Glanz und Aufregung. Auf den Tribünen drängten sich Männer und Frauen in Anzügen und Hüten. Babe Ruth und Sophie Tucker waren häufige Besucher. Joe DiMaggio ließ Marilyn Monroe einmal im parkenden Auto warten, während er hineinrannte, um seine Wetten zu platzieren.

    Derby Lane ist die älteste ununterbrochen betriebene Windhundrennbahn in den Vereinigten Staaten – aber sie befindet sich auf den letzten Metern. Vor zwei Jahren gab es in Florida mehr Windhundrennbahnen als in jedem anderen Bundesstaat: 11 der landesweiten 17. Jetzt sind es nur noch 3, auf denen noch etwa 1.700 Hunde laufen.

    Im Jahr 2018 hatten Floridas Wähler die Chance, einer Verfassungsänderung zuzustimmen, die das Wetten auf Windhunde zum 31. Dezember 2020 verbieten würde. Der Änderungsantrag 13, der Windhundrennen im Grunde illegal macht, wurde von Kritikern des Sports eingebracht, die argumentierten, dass Hunderennen grausame Tierquälerei seien.

    Die Rennsportindustrie vertraute darauf, den Änderungsantrag zu überstimmen. Ihre Vertreter waren der Ansicht, Kritiker hätten mit den Geschichten über die Misshandlung von Hunden übertrieben. Die Industrie gab für ihre Kampagne nur einen Bruchteil der finanziellen Mittel aus, die die Gegenseite mobilisierte. Sie baute fest darauf, dass der Sport populär genug sei, um eine Mehrheit der Stimmen gegen das Verbot zu garantieren.

    Greyhounds vertreten sich die Beine in den Zwingern von Farmer Racing. Obwohl Windhunde im Allgemeinen sanftmütig und nicht aggressiv sind, tragen sie oft Maulkörbe, weil sie durchaus miteinander konkurrieren können. Außerdem haben sie eine sehr dünne Haut und nur wenig Körperfett, sodass selbst ein verspieltes Schnappen schwere Verletzungen verursachen kann.

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    Aber damit hatten sie sich verschätzt. Fast 70 Prozent der Wähler sagten Ja zum Verbot. Jetzt müssen die Rennbahnen bis Neujahr geschlossen werden. Das letzte Rennen der Derby Lane findet am 27. Dezember statt.

    Davis, ein großer, schlanker Mann mit Dreadlocks und einem kurzen Lächeln, wird einer von 400 bald arbeitslosen Mitarbeitern der Derby Lane sein. Er ist sich nicht sicher, was er als nächstes tun wird. Seit 14 Jahren ist er schon an der Rennbahn und betrachtet das als seinen Traumjob.

    „Ich liebe Hunde“, sagt er, „und ich liebe es, an der frischen Luft zu sein.“

    Womöglich wird er versuchen, einen Job als Wachmann zu finden, sagt er. Dann könnte er wieder mit Hunden arbeiten – allerdings mit Wachhunden, nicht mit Windhunden.

    Er ist nicht der einzige Mitarbeiter der Derby Lane, der sich Gedanken über die Zukunft macht.

    „Es ist eine Schande, nach 95 Jahren schließen zu müssen“, sagt Richard Winning, der 64-jährige Geschäftsführer der Derby Lane. Seit ihrer Eröffnung im Jahr 1925 befindet sie sich im Besitz seiner Familie. Er prophezeit, dass die Rennbahnen in anderen Bundesstaaten folgen werden, wenn Derby Lane in Florida erst einmal geschlossen ist.

    „Wird sich in 20 Jahren überhaupt noch jemand daran erinnern, was Windhundrennen sind?“

    In diesem Punkt stimmt er mit Carey Theil überein. Dessen in Massachusetts ansässige Greyhound-Lobbygruppe, die Grey2K USA, war die treibende Kraft hinter dem Änderungsantrag. Auch er glaubt: Sobald Floridas Rennbahnen verschwunden sind, verschwindet auch die gesamte Industrie.

    „Florida war im Grunde wirklich die Industrie“, sagt Theil.

    Sprichworte, Schmiergeld und königliche Hoheiten

    Winning ist ein geborener Geschichtenerzähler mit einer drolligen Art, einem grauen Bart und einem Zigarrentrio, das in der Tasche seines blaugrünen Fischerhemdes steckt. Er begann vor 45 Jahren auf der Rennbahn zu arbeiten und sammelte 50-Cent-Stücke von den Drehkreuzen ein. Seitdem hat er hier fast jeden Job erledigt, den es gibt. Er erinnert sich noch an die Zeiten, als zu den Stammgästen Draufgänger wie „The Flicker“ und „Champagne Tony“ gehörten, als das Restaurant der Rennbahn kiloweise Rippchen servierte und zwischen den Rennen Live-Bands spielten.

    Hundehalsbänder hängen über einer mit rohem Rindfleisch und Reis gefüllten Wanne, während der Zwingerbesitzer und Ausbilder John Farmer sich darauf vorbereitet, etwa 60 Hunde zu füttern. Zusammen fressen die Tiere etwa 40 Kilogramm Rindfleisch gemischt mit handelsüblichem Trockenfutter, Wasser, Elektrolyten, Reis oder Makkaroni, Multivitaminen und Ergänzungsmitteln gegen Blutarmut.

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    Winning sagt, dass Windhunde die einzige Hunderasse sind, die in der Bibel erwähnt wird. In den Sprüchen Salomons werden Tiere aufgezählt, die einen „feinen Gang“ haben, und zu ihnen gehört auch „ein Windhund von guten Lenden“ (30:31). Gelehrte glauben eher, dass sich das hebräische Original auf Afghanen oder Salukis bezieht.

    Aber schon zu Zeiten der Bibelübersetzung waren Windhunde bekannt. Anfang des 16. Jahrhunderts war ganz England von einem Sport namens „Coursing“ begeistert, bei dem zwei Windhunde um die Wette rannten, um einen Hasen zu fangen. Auch Queen Elizabeth I. war Fan – daher heißt es auch, Windhundrennen seien ein „Sport der Königinnen“.

    Farmer reibt seinen Hund Rick Swift Creek mit einer muskelberuhigenden Salbe ein. Außerdem untersucht er seine Hunde auf Zecken, schaut sich ihre Nägel an und massiert ihre Muskeln. Die Hunde verbringen ihre Tage entweder damit, auf die 30 Sekunden ihres Rennens zu warten oder sich danach zu erholen.

    Foto von Erika Larsen

    Im 18. Jahrhundert schuf ein exzentrischer englischer Adliger, der vom Coursing geradezu besessen war, durch selektive Zucht den modernen englischen Greyhound. So zumindest schildert es Cynthia A. Branigan in ihrem Buch „The Reign of the Greyhound“. Mit schlanken, aerodynamischen Körpern, langen Beinen und stoßdämpfenden Fußpolstern sind Greyhounds auf Geschwindigkeit gezüchtet. Sie haben ein proportional größeres Herz als andere Rassen und mehr rote Blutkörperchen und Hämoglobin, die mehr Sauerstoff zu ihren Gliedmaßen transportieren. Ihr sprintender Gang und der hohe Anteil an schnell zuckenden Muskelfasern sorgen für kurze, schnelle Geschwindigkeitsschübe.

    Aber das Hunderennen, wie wir es heute kennen, geht auf einen amerikanischen Erfinder namens Owen P. Smith zurück, der Tieren ironischerweise etwas Gutes tun wollte. Für ihn klangen die sterbenden Hasen, die damals eingesetzt wurden, wie ein schreiendes Kind.

    Als Sohn eines Leichenbestatters in Memphis arbeitete Smith gelegentlich als Barbier und liebte es, zu tüfteln. Seine brillante Idee: den lebenden Hasen durch einen mechanischen ersetzen. Im Jahr 1910 sicherte er sich ein Patent für eine mechanische Attrappe.

    „Niemand in der Geschichte irgendeines Sports hat eine Veränderung herbeigeführt, die mit der Erfindung dieses Geräts vergleichbar wäre, und doch ist kein Erfinder in der Sportgeschichte so wenig bekannt“, kommentierte „Sports Illustrated“ 1973.

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    Die Geschichte der Xolos reicht mehr als 3.500 Jahre zurück und die Tiere spielten in der präkolumbianischen Zeit eine wichtige Rolle.

    Smith hat aber weit mehr getan, als nur einen mechanischen Köder zu erfinden. Er und zwei Partner entwarfen die erste moderne Windhundrennbahn, die 1919 bei Oakland in Kalifornien eröffnet wurde. Sie scheiterte, ebenso wie mehrere andere, die sie eröffneten. Das Problem der Rennbahnen war, dass sie keine Wetten zuließen. Glücksspiele waren zwar beliebt, aber illegal.

    Die erste kommerziell erfolgreiche Rennbahn wurde 1921 von Smith und seinen Partnern in einem sumpfigen Gebiet in Südflorida eröffnet, das als „Humbuggus“ bekannt war. Später entstand dort die Stadt Hialeah. Sie lag so nahe an den Everglades, dass die Bahnbesitzer einen Schlangenfänger anheuerten, um die Reptilien im Umkreis des Etablissements einzufangen. Fünftausend Menschen kamen zum ersten Rennen und sahen zu, wie ein Hund namens Old Rosebud das Preisgeld von 60 Dollar heimbrachte, heißt es in „Going to the Dogs“ von Gwyneth Anne Thayer.

    Der Schlüssel zu diesem Erfolg: elektrisches Licht. Die abendlichen Rennen bedeuteten, dass auch arbeitende Menschen zuschauen konnten. In den 1920ern boomte der Bundesstaat regelrecht, und Tausende neue Einwohner suchten nach Abendunterhaltung. Die Rennbahn wurde bis 1926 betrieben, als ein Hurrikan sie zerstörte. Die neuen Besitzer bauten sie zu einer Pferderennbahn um.

    Flamenco Dancer, Spitzname Bunny, war einer der erfolgreichsten Rennhunde von Farmer. Zwischen 2017 und ihrer Pensionierung im Jahr 2020 erlief Bunny mehr als 83.000 Dollar Preisgeld, von dem Farmer einen Prozentsatz erhielt. Die meisten Rennhunde gehen mit etwa fünf Jahren in den Ruhestand, wenn sie mit zunehmendem Alter langsamer werden.

    Foto von Erika Larsen

    1925 eröffnete auf der anderen Seite des Staates die Derby Lane unter düsteren Vorzeichen. Den Partnern, die sie bauten, ging das Geld aus. Sie konnten weder die Immobilie abbezahlen, noch das Holz für den Bau. Und so kam es, dass die Rennbahn in den Besitz von T.L. Weaver überging, der Urgroßvater von Winning. Er baute Bohnen auf dem Feld im Inneren der Bahn an, erzählt die Rennbahnhistorikerin Louise Weaver. Zwischen den regulären Rennen ließ er Affen in Uniform auf den Hunden reiten, als wären sie Jockeys. Ihre Outfits waren an den Decken der Hunde festgenäht, damit sie nicht abspringen konnten.

    Da Wetten illegal waren, überlegten sich die Rennbahnen in den 1920ern „etwas Gewitztes“, sagt Winning. „Sie verkauften Anteile an den Hunden.“ Die Gewinner bekamen ihr Geld zurück, zuzüglich einer „Dividende“. Die Verlierer erhielten ihre „Investition“ nicht zurück. Andere Bahnen ließen solche Täuschungsmanöver sein und bestachen einfach gleich die örtlichen Gesetzeshüter.

    Im Jahr 1931, als die Große Depression die Kommunalverwaltungen in den Bankrott trieb, brachten die Gesetzgeber in Florida einen Gesetzentwurf auf den Weg, um Wetten auf Hunde- und Pferderennen zu legalisieren und zu besteuern. Gouverneur Doyle Carlton, ein bibeltreuer Baptist, lehnte den Gesetzentwurf ab. Dreißig Jahre später behauptete er, dass „interessierte Parteien sich in die Legislative einkauften“ und dass die Zocker ihm 100.000 Dollar angeboten hätten, um den Gesetzesentwurf zu unterzeichnen. Stattdessen legte er sein Veto ein. Staatssenatoren setzten sein Veto jedoch außer Kraft und machten Florida damit zum ersten Bundesstaat, der Wetten auf Pferde- und Hunderennen legalisierte.

    Susan Butchko, die seit 1999 Greyhounds pflegt und adoptiert, streichelt ihren neuesten Vierbeiner, einen pensionierten Rennhund namens Remy. Greyhounds, die „70-km/h-Stubenhocker“, seien gute Haustiere, sagen die Besitzer.

    Foto von Erika Larsen

    Sobald dieses Gesetz verabschiedet war, ging es mit den Rennen los. Neue Windhundrennbahnen tauchten im ganzen Staat auf, von Tampa (1932) über Orlando und Jacksonville (1935) nach Pensacola (1947) bis nach Key West (1953).

    Windhundrennen wurden ein Teil von Floridas Image als Staat voller Sonne und Vergnüglichkeit. Mickey Mantle drehte in der Derby Lane einen Zigarettenwerbespot. Boxchampions und Filmstars trieben sich an den Rennstrecken herum. Der Film „A Hole in the Head“ von 1959 zeigt Frank Sinatra und Keenan Wynn beim Wetten auf Rennen im Flagler Kennel Club in Miami.

    Im Haus der Dippels in Florida läuft die ehemalige Rennhündin Roxanne durch das flache Ende des Swimmingpools.

    Foto von Erika Larsen

    Ein „Dachau für Hunde“

    Florida ist ein sonniger Ort, in dem sich eine Menge zwielichtiger Gestalten rumtreiben. Das Geld, das mit den Hunderennen zu holen ist, hat viele von ihnen angezogen. Winning erinnert sich daran, wie der Mafiaboss von Tampa, Santo Trafficante, Jr., in der Derby Lane Wetten abschloss. Einige Mafiosi waren mehr als nur Kunden. Lucky Luciano und Meyer Lansky hatten laut Scott Deitche, der sieben Büchern über die Mafia schrieb, ein Interesse an Hunderennen in Südflorida.

    Eine staatliche Rennkommission sollte unseriöse Elemente eigentlich fernhalten. Doch 1950 berichtete der Sonderausschuss zur Untersuchung des organisierten Verbrechens von Senator Estes Kefauver, dass Mafiosi die Kommission kontrollierten und illegale Wahlkampfspenden an Politiker entrichteten, darunter auch an den damaligen Gouverneur Fuller Warren.

    Der Einfluss des Mobs löste Gerüchte über manipulierte Rennen aus: Hunde sollen vor dem Lauf überfüttert worden sein, um sie zu verlangsamen, ihre Zehen wurden mit Gummibändern zusammengebunden, um ihre Lauffähigkeit zu behindern, oder sie wurden angeblich unter Drogen gesetzt, um sie schneller oder langsamer zu machen.

    Galerie: Willkommen im Land der tausend Streuner

    Hundedoping ist nach wie vor ein Problem, insbesondere Kokain, das einen kurzfristigen Geschwindigkeitsschub bewirken kann. Im Jahr 2017 entzogen staatliche Rennbehörden einem Trainer die Lizenz, weil fünf seiner Greyhounds, die in der Derby Lane liefen, positiv auf Kokain getestet worden waren. Monate später wurde auch ein Trainer auf einer Rennbahn in Nordflorida suspendiert, nachdem ein Dutzend seiner Hunde positiv getestet worden waren. In den drei Jahren, die seither vergangen sind, haben Staatsbeamte eigenen Aussagen zufolge Hunde von zehn weiteren Trainern positiv auf Kokain getestet.

    Der Gebrauch von leistungssteigernden Medikamenten ist nur einer der Faktoren, den Gegner des Windhundrennsports kritisieren. Laut Grey2K, das seit fast 20 Jahren Berichte über das Wohl von Windhunden im Rennsport verfasst, kämen selbst die üblichen Praktiken der Industrie einer Misshandlung gleich. Wenn die Hunde zum Beispiel gerade nicht an Rennen teilnehmen, werden sie oft in kleinen Käfigen in Lagerhäusern eingesperrt. Die Tiere würden außerdem gezwungen, unter Bedingungen zu rennen, die schwere Verletzungen verursachen können. Die Website von Grey2K hat dokumentierte Fälle von Windhunden gesammelt, die sich die Beine, den Rücken, den Schädel oder die Wirbelsäule gebrochen haben und sogar durch die Hasenattrappe einen Stromschlag erhielten.

    Die Florida Greyhound Association, eine Industriegruppe, reagierte nicht auf Bitten um Stellungnahme.

    Die größere Sorge ist allerdings, was mit den Hunden passiert, die nicht an Rennen teilnehmen.

    Was den Windhund zur schnellsten Hunderasse macht...

    Foto von Diana Marques, NG STAFF SOURCE: MICHAEL GRANATOSKY, NEW YORK INSTITUTE OF TECHNOLOGY

    1952 hieß es im „Greyhound Racing Record“, dass nur 30 Prozent der für Rennen gezüchteten Greyhounds auch antreten würden. Das Schicksal der anderen 70 Prozent blieb offen. Selbst die Tiere, die für Rennen eingesetzt wurden, laufen nur bis zu einem Alter von etwa fünf Jahren. Grey2K hat im Laufe der Jahre zahlreiche Nachrichtenberichte über Windhunde zusammengetragen, die getötet oder für Tierversuche an Labore verkauft wurden.

    Zu den Belegen dieser Grausamkeit gehört auch ein besonders erschütternder Fall. Er eignete sich im Jahr 2010 auf einer Rennbahn in der Stadt Ebro in Florida. Dort ließ ein Trainer 37 Hunde nach Ende der Rennsaison verhungern. Schlussendlich bekannte er sich in mehr als 30 Fällen der Tierquälerei schuldig und wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

    Der vielleicht schlimmste Fall geschah 2002. Ein Wachmann für die Pensacola-Rennstrecke wurde verhaftet, nachdem die Behörden einen Schrottplatz in Alabama gefunden hatten, auf dem er im Laufe von zehn Jahren um die 3.000 Windhunde getötet und begraben hatte. Er gab an, dass er zehn Dollar pro Hund bekommen habe, den er erschoss, wenn er zu alt wurde. Ein Staatsanwalt nannte den Schrottplatz ein „Dachau für Hunde“. Der Wachmann starb, bevor er wegen Tierquälerei vor Gericht gestellt werden konnte.

    Ein Sport für die Generation von gestern?

    Solche Skandale schmälerten die Popularität des Windhundrennsports, da die Fans durch die Berichte über Tierquälerei abgeschreckt wurden. Währenddessen schöpften die konkurrierenden Glücksspielbetriebe die Gewinne ab, sagte Winning.
    Die treuen Besucher wurden immer älter. Als Steven Soderbergh 2001 in der Derby Lane eine Szene für „Oceans 11“ drehte, in der George Clooney und Brad Pitt jemanden für ihren Raubüberfall rekrutierten, war ihr Ziel Carl Reiner, damals 79 Jahre alt. Er passte perfekt in die ergraute Menge der Windhundsportfans.

    Fotos von der Ziellinie helfen den Richtern der Derby Lane dabei zu bestimmen, welche Hunde auf welchem Platz landen.

    Foto von Erika Larsen

    „Die jungen Leute wollen sich nicht mit den Handicaps [der Hunde] befassen“, klagt Winning. Begeisterte Wetter beschäftigen sich für gewöhnlich sehr sorgfältig mit den Erfolgen und Misserfolgen der einzelnen Hunde. „Sie wollen nur auf ihre Telefone starren“ und nicht die nötige Zeit investieren.

    „Ich versuche lieber, sie richtig kennenzulernen“, sagt er. „Ich wette nicht um große Einsätze, aber es ist trotzdem aufregend, wenn man solche Dinge herausfindet und sie so laufen, wie man es sich gedacht hat.“ Er sagt, er habe einmal 10.000 Dollar bei einem Rennen gewonnen.

    Er ist sich nicht sicher, wohin er gehen wird, wenn die Rennstrecke geschlossen wird. Es gibt nichts anderes, das ihm genauso aufregend erscheint.

    Ein Foto von 1937 aus den historischen Archiven der Derby Lane. In der ersten Reihe, von links nach rechts, stehen der Zwingerbesitzer William Art Miller, einer der uniformierten Hundeführer, der die Hunde zur Startbox begleitet, und der Gründer der Derby Lane, T.L. Weaver. In der hinteren Reihe, von links nach rechts, stehen der vorsitzende Richter Heuse Gregory, der Rennsekretär Tom Gregory und der beisitzende Richter Sid Harris. Bei dem Hund handelt es sich vermutlich um Chick Starter.

    Foto von Erika Larsen

    Wenn Winning an Floridas Rennsport-Blütezeit in den Achtzigern zurückdenkt, erinnert er sich an den Hund Keefer, der 1986 die Distance Classic gewann. 12.779 Menschen kamen an jenem Tag, um diesen Superstar laufen zu sehen – die größte Besucherzahl in der Geschichte des Windhundrennsports. Heute kommen am besten Tag, dem Samstag, maximal noch 700 Zuschauer zur Derby Lane, sagt Winning.

    In den letzten zehn Jahren ist der Gewinn durch den Windhundrennsport von einst 117 Millionen Dollar auf weniger als 40 Millionen Dollar pro Jahr gesunken, wie die Zahlen der Bundesstaaten zeigen. Allein in der Derby Lane fiel er von etwa 12 Millionen Dollar auf 3,2 Millionen Dollar im Jahr 2019.

    Die Branche versuchte, sich anzupassen, und erhielt 1997 die gesetzliche Genehmigung, Pokerräume und Simulcasting einzurichten, das den Wettenden ermöglicht, auf Rennen an einem anderen Ort zu wetten. Jetzt sind die Pokerräume voll mit jüngeren Kunden, und auch der Simulcast hat seine Fans. Beides wird nach dem Ende der Hunderennen weitergehen, sagt Winning. Aber es war nicht genug, um die Rennstrecken in Florida zu retten.

    Tierwohl-Kampagne mit Erfolg

    Ein Jahrzehnt lang versuchte Grey2K vergeblich, die Gesetzgeber in Florida davon zu überzeugen, Windhundrennen zu verbieten, sagt Theil.

    Schließlich appellierten sie an die Verfassungsrevisionskommission des Staates, die sich alle zehn Jahre trifft, um die Verfassung zu aktualisieren. Ein Senator des Bundesstaates für die Region Tampa namens Tom Lee – Winning bezeichnet ihn als „unseren idiotischen Gesetzgeber“ – brachte den Änderungsantrag 13 ein. Der Antrag verbietet das Wetten auf Rennen mit lebenden Hunden, aber im weiteren Sinne verbietet er eigentlich auch die Rennen selbst. Ohne Wetten gibt es keinen Gewinn und die Rennbahnen können es sich nicht leisten, offen zu bleiben.

    Grey2K und seine Mitstreiter, darunter die Humane Society of the United States, gaben 3 Millionen Dollar aus, um die Wähler davon zu überzeugen, den Antrag zu verabschieden, sagt Theil. Sie setzten fast ihr gesamtes Budget für TV-Spots mit Bildern von verletzten Rennhunden ein.

    Die Florida Greyhound Association wehrte sich mit Werbeanzeigen, in denen es hieß, Grey2K übertreibe mit seinen Geschichten über Verletzungen und Todesfälle. Außerdem warnten sie davor, dass der Änderungsantrag voll von „Tricksereien“ sei, die irgendwie zu Jagd- und Fischereiverboten führen würden. Auf den politischen Gartenschildern, die in den USA vor allem aus Wahlzeiten bekannt sind, gab es Andeutungen darüber, dass ein Verbot von Rennen auch ein Verbot von Greyhounds bedeuten würde.

    Aber der Verband konnte keine Unterstützung jenseits seiner rückläufigen Fangemeinde gewinnen. Thayer, der Autor von „Going to the Dogs“, sagt, dass die Rennstreckenbesitzer, Züchter und Hundetrainer sich zu lange über ihre individuellen Interessen zerstritten hatten, um eine einheitliche Front zu bilden.

    Der Rennstrecken-Tierarzt Donald Beck und die Trainerin Kelsie Gubbels kümmern sich um BD Wells, der eine leichte Bandverletzung hat. Wenn er wieder gesund ist, wird sich die GST Sun State Adoption darum bemühen, eine Familie für ihn zu finden.

     

    Foto von Erika Larsen

    Fast 70 Prozent der Wähler stimmen für den Änderungsantrag 13. Winning und andere in der Branche bestanden darauf, dass die Wähler irgendwie verwirrt seien. Eine Klage, um die Abstimmung zu kippen, verlief im Sand.

    Das bevorstehende Verbot macht die Zukunft von mehr als 8.000 Rennhunden ungewiss. Organisationen für die Vermittlung von Greyhounds versuchen, ein Zuhause für sie zu finden – aber nicht alle, die helfen wollen, dürfen das auch. Jene Organisationen, die das Verbot unterstützt haben, sind auf den Rennstrecken nicht willkommen. Nur solche, die sich gegen die Änderung ausgesprochen haben, können dort Hunde bekommen.

    70-km/h-Stubenhocker

    Eine davon ist die in Tampa ansässige GST Sunstate Greyhound Adoption von Sharon Dippel. Sie und ihr Ehemann Brian haben selbst acht ehemalige Rennhunde adoptiert.

    Bislang hätten sich laut Dippel viele Menschen für die Adoption der bald arbeitslosen Hunde beworben. Es helfe, dass die Rennstrecken nicht alle auf einmal stillgelegt werden. Einige wurden kurz nach der Abstimmung 2018 geschlossen, während andere Anfang 2020 wegen des Coronavirus den Betrieb einstellten.

    Wer adoptiert diese Hunde? „Jeder, den Sie sich vorstellen können“, sagt Linda Lyman von der Bay Area Greyhound Adoption in Tampa, einer weiteren Organisation, die daran arbeitet, ein Zuhause für die 776 Hunde der Derby Lane zu finden. „Menschen, die früher schon Greyhounds hatten oder einfach nur von ihnen gehört haben.“

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    Es seien keine nervösen Tiere, sagt der langjährige Derby Lane-Tierarzt Donald Beck. Sie sind anhänglich. In all den Jahren, in denen er in der Derby Lane gearbeitet hat, wurde er noch nie gebissen – er wurde nur ein paar Mal von aufgeregten Hunden gekratzt, die an ihm hochsprangen.

    Auch als Haustiere rennen Greyhounds immer noch gerne, wenn sie nach draußen kommen – auch ohne einen mechanischen Köder, sagt Dippel. Aber wenn sie wieder im Haus sind? „Sie sind 70-km/h-Stubenhocker.“

    Viele Menschen sind wegen ihrer Liebe zu Windhunden in das Renngeschäft eingestiegen. Der Trainer und Zwingerbesitzer John Farmer, ein Mitglied des Klamath-Stammes aus Oregon, verliebte sich in die Rasse, als er 11 Jahre alt war. Seine Mutter ließ ihn damals Rennen im Multnomah Greyhound Park anschauen. Heute ist er 55 Jahre alt und hat so viele Erinnerungsstücke an seine siegreichen Hunde, dass er sie in einer überquellenden Tupperdose aufbewahrt.

    Gubbels, die jüngste Trainerin der Derby Lane, besucht zusammen mit ihrem Partner Kenan Culesker, ihrer Tochter Emma und ihrem pensionierten Greyhound, Flying Amity, den Davis Island Dog Beach in Tampa. Sie gehört zu einer Facebook-Gruppe namens Beach Bound Hounds, die einmal wöchentlich einen Spaziergang am Hundestrand für pensionierte Windhunde und ihre Besitzer plant.

    Foto von Erika Larsen

    Sobald die Derby Lane geschlossen wird, muss er in einen der wenigen verbleibenden Staaten umziehen, in denen es noch Windhundrennen gibt: West Virginia, Iowa oder Arkansas – obwohl die Rennstrecken von Iowa und Arkansas voraussichtlich bis Ende 2022 geschlossen werden. (Die letzte Rennbahn in Texas wurde im Juni 2020 aus finanziellen Gründen geschlossen).

    Grey2K leistet auch in dieses Bundesstaaten Überzeugungsarbeit, um der Industrie ein  Ende zu setzen. Auch über die Grenzen der USA hinaus setzt sich die Organisation für solche Verbote in Ländern ein, in denen Windhundrennen noch legal sind: Australien, Irland, Mexiko, Neuseeland, das Vereinigte Königreich und Vietnam.

    Farmer hat weiterhin die Hoffnung, dass er seine indianische Herkunft nutzen kann, um den Rennsport in Florida zu retten. Er hat den Plan, entweder die Seminole- oder die Miccosukee-Stämme davon zu überzeugen, eine Rennbahn zu erwerben. Diese soll dann im Kontext eines ihrer Kasinos betrieben wird und wäre somit von staatlichen oder bundesstaatlichen Vorschriften ausgenommen. Das würde dann „eine Tradition begründen“, sagt er. Bislang haben die Stämme jedoch kein Interesse bekundet.

    Ehemalige Rennhunde spielen im Wasser des Davis Islands Dog Park. Die Mitglieder der Facebook-Gruppe Beach Bound Hounds treffen sich regelmäßig am Hundestrand.

    Foto von Erika Larsen

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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